Inka Parei wurde
von Ursula März eingeladen und las den Anfang eines längeren
Textes, noch ohne Titel.
"Danke für diesen Text"
Haslinger: "Ich habe in dieser
Veranstaltung schon einmal einem Autor für einen Text
gedankt, ich möchte das auch diesmal tun. Wir hatten
gestern ein Gespräch, ob es möglich sei, als Mann
aus der Perspektive einer Frau zu schreiben. Mit einigem Abwägen
wurde das für möglich befunden. Dieser Text hat
mehrere Qualitäten: Der eine ist, dass er langsam, genau
ist, sich Zeit lässt, dass er uns in die Welt eines alten
Mannes führt, die wir Schritt für Schritt, Gefühl
für Gefühl kennen lernen. Wie macht das der Text?
In der personalen Erzählperspektive. Sie ist uns nicht
neu, wir kennen sie von Franz Kafka. Wir sind bereit, uns
in den Kopf eines Ungeziefers hineinzusteigern. Dieser Text
ist damit nicht identisch, die Erzählerin tritt einen
Schritt zurück. Es gibt an einer Stelle eine Außenansicht
auf den Mann. Es geht um unscheinbare Dinge, die aber eine
enorme Dimension haben."
"Unerträglich brav, knochentrocken"
Steinfeld: Es gibt eine ironische
Erzählung aus der Zeit der französischen Revolution
- die Leute lachen über die Idee, eine Karte Frankreichs
1:1 zu zeichnen, in der Größe, wie sie auch in
Wirklichkeit ist. Diese Literatur erinnert mich stark an diese
Frankreichkarte. Die Idee ist lustig, aber auf Dauer hat sie
etwas unerträglich Braves, Knochentrockenes.
"Sie haben kein Herz für Literatur"
Iris
Radisch: "Wer so was sagt, hat kein Herz für Literatur,
hört nicht, was literarische Sprache ist" (Applaus).
"Ich habe das Gefühl, hier zum ersten Mal Literatur
gehört zu haben. Der Text behauptet nicht etwas über
die Welt, sondern sie überträgt sie in Literarische."
Thomas
Steinfeld: "Sie dürfen Sentimentalität
und Empfindung nicht verwechseln."
"Unglaubliche Leistung"
Iris Radisch: Nicht nur der Mann
stirbt, sondern auch wir verlieren die Welt, wie wir sie kennen.
Alles, was an Sinnlichkeit vorkommt, ist so was von….mir
bleibt der Atem stehen, so genau und präzise ist das
gemacht. Das ist Kafka, obwohl es weicher und lyrischer ist.
Man ist auf einer anderen Spur. Eine unglaubliche Leistung.
"Langsamkeit des Alters in der
Sprache"
Daniela
Strigel: Ganz lustig finde ich an diesem Text gar nichts.
Das ist ein Text, den man Ernst nehmen muss. Die Bewegung,
die der alte Mann durch den Text trägt - die Langsamkeit
des Alten zieht der Text nach. Es ist einfach spannend, die
Details für sich genommen, mögen mühsam sein.
Es sind kleine Signale gesetzt, die zeigen, dass aus ihnen
etwas Bedrohliches wächst. In einem Thriller ist der
Held üblicherweise ein dynamischer Mensch, hier gibt
es einen hinfälligen Mann, der mit einem Verbrechen umgehen
muss. Die zweite Ebene ist die Zeit als Soldat - da kommt
im Text wohl noch was.
"Thema der Verwandlung"
Friederike Kretzen: Das würde
auch das Thema der Verwandlung bedeuten. Es ist eine Portraitform
der Autorin als alter Mann. Man spürt die Arbeit der
Sprache. Ein Text behält die Mittel bei sich, im hohem
Bewusstsein Wirklichkeit beschreibt. Man kann sich nicht entziehen.
Die hohen Themen braucht es nicht.
Verteidigung Steinfelds
Norbert Miller: Kann mich dem anschließen.
Ich meine, es steckt in Steinfelds Bemerkung etwas, das wohl
nicht gegen den Text gerichtet war. Die Vorstellung dabei,
dass dieses Element des Betrachtens und sich Schritt für
Schritt der Sache
versichern, hat als Erzählbewegung, dass sich die Wirklichkeit
ihrer selbst versichert. Ich möchte das Buch lesen, ich
finde den Text wunderbar. Da stimmt alles.
Ilma
Rakusa: Mir gefällt der Text auch sehr, ich mag
seine Langsamkeit, die leisen Töne und Zwischentöne.
Der Text hat ein Maximum an Diskretion und dennoch eine große
innere Spannung.
"Erregend, mit Frau Radisch einer
Meinung zu sein"
Burkhard Spinnen: "Es ist immer
wieder befruchtend, nicht der Meinung von Frau Radisch zu
sein. Verstörend und erregend ist es aber, Ihre Meinung
zu teilen. Wir tun uns in Klagenfurt immer schwer mit Textauszügen,
das spricht dann häufig gegen den Text. Hier ist das
sehr sauber gemacht, es ist einfach ein Anfang. Er leistet
ein Ouvertüre, schlägt einen Ton an. Das ist großartig
gelungen - es wird eine Art der Nähe zu der Figur, Respekt,
Takt, Diskretion angeschlagen. Sogar das Unwort Rödelheim
macht Lust, weiterzulesen."
Ilma
Rakusa: "Wichtig im Text, hier gibt es den alten
Mann und den Fremden, da ist Diskretion drin."
Iris
Radisch ergänzte, es gebe mehr, als das Hineingehen
in Bilder. Eine Spannungsspur in Richtung Kriminalistik -
man weiß nicht, wie es mit dem Fremden weitergeht. Hier
wird ausgewählt, Spannung erzählt. Eine raffinierte,
literarische Struktur.
"Dieser Text hat literarische Notwendigkeit"
Ursula März: Ich führe
die literarische Notwendigkeit in die Diskussion ein. Dieser
Texte hat sie. Hier wird etwas gesagt, was Wahrhaftigkeit
besitzt, was stimmt. Man legt den Finger drauf und sagt Literatur.
An was erinnert mich der Text? Es fielen mir Modelle in Schulbüchern
ein, wo das Leben des Menschen vom Baby über das Kind
bis zum Erwachsenen hin zum alten Menschen gezeichnet wird.
Das letzte Lebensprojekt
wird geschildert, aber nicht 1:1 sondern in einer Parabel.
Sie muss genau sein, jedes Detail muss da sein. Das ist das
Gegenteil, Herr Steinfeld, von 1:1. Das Haus ist eine Parabel
der Lebenszeit. Es wäre aufdringlich, wenn man das gleich
merken würde. Sie werden die Szene des alten Mannes,
der sich zehn Minuten an einem Teppich festhält, nicht
vergessen.
Thomas
Steinfeld: "Ich kann nicht einsehen, warum ich
vor einem Haus in Rödelheim in die Knie gehen soll. Der
Text ist handwerklich wunderbar gemacht, aber wo ist der Mut,
wo ist die Kühnheit? Wahrhaftigkeit ist nicht eine literarische
Kategorie. Liebe Kollegen, Sie stehen fest im 19. Jahrhundert."
Burkheim Spinnen:
"Das muss ein Stachel im Fleisch aller bleiben. Aber,
Herr Steinfeld, solange Sie mir nicht die Literatur des 21.
Jahrhunderts zeigen, bleibe ich im 19. Jahrhundert unter Umgehung
der Fehler der Literatur des 20. Jahrhunderts."
Redaktion: Petra Haas
Fotos: Johannes Puch, ORF |