Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des ORF Landesstudios Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und mit freundlicher Unterstützung der Telekom Austria.

Pressespiegel

Diskussion nach Lesung von Chr. Rinderknecht
Die Schweizerin Christine Rinderknecht, vorgeschlagen von Daniela Strigl, las den Text "Elf Uhr dreiunddreissig" über einen Unfall

"Unerträgliche Weisheiten der Unterhaltungsliteratur"

Iris Radisch: "Die Literatur spielt in verschiedenen Ligen. Hier ist eine Frauenliteratur, die unterhalten will, die simpel und mit einfacher Psychologie arbeitet. Alle, die hier reden, sind Dummerchen. Das ist so, wie Unterhaltungsliteratur funktioniert. Sie darf einen bestimmten Horizont nicht überschreiten. Hier ist es nicht unterhaltend, weil es ja auch so tragisch ist. Alles, was hier unternommen wird, wird halbherzig unternommen." Die Mutter gebe nur Stroh von sich, die Erzählerin ergehe sich in unerträglichen Weisheiten. Dies sei ziemlich beschränkt und könnte auch ein Kunstgriff sein, den künstlich dumm gehaltenen Erzähler. Dieser Kunstgriff könnte viel hergeben, das ist hier nicht der Fall. Es sei kein Fall für Literaturkritik."

"Jetzt trennen sich unsere Wege"

Ursula März widerspricht: "Jetzt trennen sich unsere Wege scharf. Es ist ein Kunstgriff, es ist saubere Jargon-Prosa. Der Jargon sei der allgemeine Frauen-Plapperjargon, der gut gemacht ist. Die Frau hat eventuelle Schuld am Tod des Kindes. Sie rechtfertigt es und beginnt zu lügen. Diese Lüge ist durch den Jargon gut gedeckt, durch plapperndes Sprechen. Der Text führt Ästhetik und Moral eng zusammen."

"Spannende Auseinandersetzung"

Daniela Strigl: "Wir haben heute schon von einer Literatur gehört, weil sie unbedingt eine sein will und von Literatur, die zu wenig Ambition hat. Ich widerspreche Iris Radisch. Ich habe diese Geschichte als eine sehr spannende Auseinandersetzung mit schwer wiegenden Fragen wie Schuld, Sühne und Schicksal gelesen. Der leichte Plauderton ist ein angenehmer Gegensatz zum echten Pathos."

"Immer mehr Beziehungskisten"

Norbert Miller meinte über die Texte generell, es gebe keine Themen mehr, immer mehr Beziehungskisten, Unfälle etc. Dieser Text sei eine Chance, da heraus zu kommen. Flau werde es ihm in den Momenten, in denen der Ernst in der Banalität gesucht werde. Das Ausbeuten der Banalität des Alltags führe wieder zur Banalität.

"Grundkurs für Dialektik"

Thomas Steinfeld: "Ich hatte den Eindruck, im Grundkurs Dialektik zu sitzen." Diese Geschichte komme bar jeden Gedankens daher und solle nun ein einziger großer Gedanke sein. Es gehe ihm ähnlich wie Miller, er frage sich, ob dies tatsächlich stimme. Er denke an eine andere Geschichte über einen Unfall die heißt "Ein Kind töten" - diese andere Geschichte funktioniere, weil sie mit der Verknappung arbeite. Bei dem vorliegenden Text sei das Gegenteil, das Plappern gewählt. Manchmal gebe es keinen Gedanken hinter keinen Gedanken.

"Ansprechpartner irritiert"

Josef Haslinger: "Mich hat der im Text eingebaute Ansprechpartner irritiert." Der ganze Text stelle sich als direkte Personenrede dar, er frage sich, warum. Warum brauche es das Du, das die Plappersprache rechtfertigt. Dies habe eine inhaltliche Folge, es werde eine zweite unbekannte Person eingeführt, die im Lauf des Textes verloren geht. Die Dramaturgie werde begonnen, aber dann fallengelassen. Damit ist eine zweite Geschichte verbunden:

Die Trennung der Sprechenden und des Mannes. Auch diese Geschichte geht verloren. Der Text wechselt das Thema und kommt am Schluss woanders an. Der Anfang geht verloren. Das Du würde verlangen, dass das Ich glaubwürdiger wird.

Friederike Kretzen: Die Ansprache sei ein Mittel, die Schuld zu teilen. Und dann gehe die Figur von der Ansprache wieder weg, das verursache ein Unwohlsein.

Burkhard Spinnen sagte, für ihn sei zuviel drin. Mit beschränkten Mitteln werde eine anspruchsvolle Lebensgeschichte erzählt. Es sei eine Dreiecksbeziehung drin, das alte kleistsche Motiv des Täters, der den eigenen Fall untersucht. Außerdem gehe es um die Begegnung mit einer merkwürdigen Mutter, die ihr Kind erst liebt, als es tot war. Jedes für sich wäre es wert, einen Text zu machen. Vieles davon rutscht hinein, am Schluss hat man das Gefühl, dass gerade das wichtig war, was gerade dran war. Die Schrecken wechseln sich.

"Geschichte nicht unterschätzen"

Daniela Strigl: Es kann nicht der Fall sein, dass kein Gedanke in der Geschichte drin ist. Es ist einiges drin verpackt und man sollte sie nicht unterschätzen, weil sie es nicht vor sich herträgt. Die beiden Stränge haben sehr viel kausal miteinander zu tun. Das Du bleibe blass und werde als seelischer Mülleimer benutzt. Die Figur fürchtet sich vor der großen Liebe, hat Menschen verletzt.

"Dummheit quillt aus allen Knopflöchern"

Iris Radisch: "Ich möchte mit der Frau keine fünf Minuten was zu tun haben. Sie redet unerträgliches Zeug. Die Dummheit kommt der Figur als allen Knopflöchern und nun wird gesagt, sie ist interessant wegen des Jargons. Muss ich mir die Dummheit anhören, um etwas zu erfahren? Das glaube ich nicht. Die Kombination von Plappern und existenziellen Schicksalsfragen geht überhaupt nicht auf."

Für Ursula März sei die Katastrophe das tote Kind und die Assymetrie der Sprache, in der die Geschichte erzählt werde. Derzeit gebe es nichts soviel in den Medien wie etwas, was Kindern passiert. Die Banalisierung der Katastrophe ist doch da. Literatur müsse fähig sein, die Dummheit in die Sprache zu übernehmen.

Ilma Rakusa: Es gebe hier einen Moment der Obsession, eines Traumas, das mit Schuld zu tun hat. Aber das Dessou kriege sie schwer damit zusammen. Sie sei zwiespältig, was den Text betreffe. Es gebe viele Dinge, die in Widerspruch geraten. So starke Obsession, die den Mann vergessen lässt, hätte sie sich noch stärker gewünscht. Es gebe einige Dinge, die keinen Sinn machen, da stimme sie Radisch zu.

Josef Haslinger sah im Ton des Textes ein Schwanken zwischen konsonantem und dissonantem Erzählen. Einerseits soll der Leser mitgehen, sich andererseits wieder distanzieren. Wenn es zu dieser Kindesgeschichte kommt, ist es nicht so, dass der Jargon beibehalten werde. Hier versuche der Text, den Leser auf die Seite der Figur zu ziehen. Hier werde das Sentimentale nicht unterlaufen, sondern ins Spiel gebracht.

Fotos: Johannes Puch

Redaktion: Petra Haas


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