Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des ORF Landesstudios Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und mit freundlicher Unterstützung der Telekom Austria.

Pressespiegel

Diskussion nach Lesung von Farhad Showghi

Der Deutsche Farhad Showghi las den Text "Die große Entfernung". Der Autor wurde von Ilma Rakusa vorgeschlagen.

"Kann nicht sagen, wovon der Text handelt"

Josef Haslinger: "Wenn sie mich fragen, wovon der Text handelt, kann ich schwer einen Antwort geben. Ich kann Motive nennen, die wiederkehren. Es gibt ein lyrisches Ich, das offensichtlich einer Erinnerung ausgesetzt ist." In diesen Erinnerungen spiele der Vater eine große Rolle, es scheine ein Foto zu geben, zur Unterstützung der Erinnerung. Es könnte so sein, dass der Vater darauf abgebildet ist, von einem Buch aufschauend. Es gibt ein Fenster, durch das häufig der Blick hinausgeworfen wird, an dem wechselnde Landschaften vorbeiziehen.

"Vorbeiziehen deutet an, dass wir es hier mit einer antropomorphisierten Welt zu tun haben. Die Dinge sind in Bewegung, sie tun etwas, das meine ich damit. Der starke Rhythmus machte es mir unmöglich, den Text semantisch zu entschlüsseln. Die starke Metaphorik konnte ich nicht deuten." Der Text habe eine musikalische Sprache, und wenn man der erliege, sei es schwer, auch wenn der Text langsam vorgetragen wurde, den Text auf eine Weise, wie man es von Prosa erwartet, zu entschlüsseln. Man möchte verweilen, versuchen, das eine oder andere Bild für sich zurechtzulegen. Doch der Rhythmus geht weiter und das kleine literarische Stück führt meistens in einer strengen Bauweise seinem Ende entgegen, wie bei Variationen.

Radisch: "Versuch über die Müdigkeit"

Iris Radisch nannte das Traktakt von Handke "Versuch über die Müdigkeit", in dem er versucht, zu erklären, dass man so schreiben muss, als ob man als Autor nicht dabei sei. Quasi im Halbschlaf schreiben sollte. Handke mache das nur noch auf wenigen Seiten. Er propagiere das müde Schreiben. "Hier versucht jemand, das wahr zu machen. Die Gegenstände schlafen, es ist alles halb dunkel, halb fertig. Man kann es nicht richtig sehen, der Text bewegt sich in Halbtönen. Man kann als Vergleich nur nach Frankreich schauen, wo die Natur animiert ist, wo die Bäume etwa tun, die Zimmer Entscheidungen treffen."

Die Frage, die sich Radisch in dieser verdichteten Prosa stelle, sei: wer erzählt das? Wer ist der, der das alles weiß? Wer weiß, wie Schilfgras wispert. "Ich habe den Einwand gegen den Text, dass dieser Text sich ein wenig sehr gefällt in dieser Pose. Dieser Autor sagt nicht, warum der diese quasi göttliche Perspektive hat. Der Text verhält sich zu wenig gegen sich selbst, er feiert sich selbst im Bescheid-Wissen."

Krezen: "Bleib sitzen, die Welt wird kommen"

Friederike Krezen: Machte mit Kafkas Statement weiter "Bleib einfach sitzen, die Welt wird kommen…" "Ich weiß nicht, ob das so prätentiös ist. Diese Position, zu warten und zu sitzen, kennzeichnet diesen Text. Es geht um den Vater, der kommt und geht. Der Vater ist auch die weiteste Entfernung, eine Bewegung der Wörter. Ich dachte, es wird eine Vatersprache versucht, die sich mit der Muttersprache verbindet."

Dazwischen bewege sich der Text. Diese Möglichkeit, durch Schauen und warten, durch hören auf die Wörter eine andere Sprache zu vernehmen. Die Landschaften kommen immer wieder und verschwinden. "Für mich war es der Versuch, was kann so etwas wie Vatersprache sein, das Verlangen nach der Anwesenheit des Vaters, der immer da ist und etwas tut. Ich dachte, es geht um diese Sprache."

"Die Suche nach der Vatersprache"

Ilma Rakusa stimmte Krezen zu: "Es geht um die Suche nach einer Sprache." Das Foto des Vaters wird beschworen. Ein Text, der Entfernung und Nähe vollzieht, kein Text "über" etwas. Er beschwört etwa in seiner Genauigkeit der Wahrnehmung. Es kommt zur Inversion zwischen Objekt und Subjekt, wird ins Passive gewendet. Deshalb dieses Schwebende. Der Text hält die Balance zwischen Suche nach Vatersprache und verlorener Welt.

Das Bild des Teppichs drängt sich auf, ein mäandernder Text, der Fäden auseinander- und zusammenführt, es entsteht ein Teppichgewebe. "Das Tastende und Suchende gefällt mir". An Radisch gewandt: "Er hält das Suchen aktiv, nicht prätentiös. Dieses Wissen sehe sie nicht. Er arbeitet viel mit minimalen Bewegungen. " Rakusa nannte als Beispiel auch den späten Becket, dem Minimales genügt habe.

"Ein Poem en pose"

Norbert Miller: "Mir scheint auch der Text nicht richtig beschrieben, wo man ihn als episch beschreibt. Ich glaube, die Beschreibung ist richtig, es ist ein "poem en pose" als Idee. Ein Text, der eine bestimmte Form der Sprachsuche thematisiert. Ich glaube nicht, dass es ein prätentiöser Text ist, der sich in der Bildkomposition gefällt." Wenn man ihn lesen könne, bestehe eher die Gefahr, dass sich die verdichtete Sprachbewegung auflösen lasse.

"Man kann solange nachdenken, bis sich die Bilder als Teile des Stilllebens herausstellen. Es ist ja ein Stillleben. Möglichkeit, auf zwei Ebenen Sprache zu wirken: über Musik und Metaphorik. Die Länge des Textes behindert den Vorgang des Suchens - bei mehr als zehn Seiten wiederholt sich das Ganze und wird zur Wiederholung der eigenen Grundfigur, darin sehe ich ein Problem."

"Größeres Unbehagen gegen diesen Text"

Ursula März verursachte der Text größeres Unbehagen. "Bei lyrischer Prosa tappt man immer im Dunkeln. Mein Unbehagen: Ich teile die Ambition eines solchen Textes, Material in einen anderen Aggregatzustand zu bringen, aber genau das nehme ich ihm nicht ab. Ich glaube, ein gleich bleibendes Material wird immer wieder umgestellt. Der Text erzeugt keine Turbulenz, er stellt immer das gleich nur um. Der Vater dreht den Kopf, der Sohn dreht den Kopf. Beim fünften Mal des Drehens habe ich nicht den Eindruck, es ändert sich was - das ist zu monoton. Musikalisch ja, aber monoton. Nach zehn Seiten ist das Material erschöpft."

Zwischenruf von Kretzen: "Es geht um den Vater, das ist durchaus eine Form des Erzählens, warum wird das so als lyrisch beschrieben?"

Unbehagen wird geteilt

Thomas Steinfeld teilte das Unbehagen von Frau März. Es sei von Suchen und Tasten die Rede, auch von Beschwören. "Was wird beschworen? Was wird gesucht? Warum ist vom Schweben die Rede und nicht von Fallen - mir fehlt die Richtung. Ein zurückgezogener Text, aber es ist beklemmend und bereitet Unbehagen. Ich vermute einen Rückzug des Poetischen selbst."

"Das Motto Ernst nehmen"

Daniela Strigl: "Ich glaube, man sollte das Motto Ernst nehmen - es geht um seelische Momentaufnahmen. Das Fotographische spielt eine Rolle im ganzen Text. Die Seele und das Hier, Erinnerung aufrufen." Strigl nannte Robert Musils Wort von Genauigkeit und Seele. "Für mich hat der Text viel damit zu tun, in einem nicht sentimentalen Sinn."

Seelische Innenwelten werden mit äußeren Landschaften verkoppelt. Diese poetische Verblüffungskunst sollte gewürdigt werden, auch wenn sie mich stellenweise ratlos macht. Die Bilder sind nicht so steril, wie sie hier beschrieben wurden. Der Text hat schon eine gewisse Sinnlichkeit - er hat auch einen Witz. Das Herbeizwingen von Bildern, der Wert der Erinnerungen, ist für mich ein echtes existentielles Thema.

Steinfeld warf ein: "Hier liegt auch das Problem - man kann genau sein oder Genauigkeit zeigen wollen. Mann kann Bilder herbeizwingen, oder das Herbeizwingen zeigen."

Strigl antwortet: "Die Sprache entwickelt eine eigene Qualität."

"Text ist selbstgenügsam"

Burkhard Spinnen: "Meine Haltung ist in der kleinen Schnittmenge all dessen, was gesagt wurde. Eine Freundin sagte mal, ich sei selbstgenügsam - ich dachte, das sei ein Kompliment, aber das war als Vorwurf gedacht." Nach dem 20. Dreh wisse man in einem Kaleidoskop bescheid - auch wenn es anfangs faszinierend sei. Die Länge dieses Versuchs stehe in einer kritischen Verhältnis zur Absicht. Der Text ist selbstgenügsam, ich weiß nicht, ob das positiv oder negativ ist.

"Ist das ein Text über etwas?"

Josef Haslinger: "Ist das ein Text über etwas, oder ein epischer Text? Der Text tut so, als wäre er ein Text über etwas, er verwendet klare Prosasätze. Damit haben die Sätze ein Subjekt, ein Objekt und ein Prädikat - wenn sie so auftreten und die genannte stetige Suchbewebung und die sprachliche Eigendynamik so im Hintergrund steht, dass sie sich in die gebauten Sätze zwängt, gibt es einen Widerspruch.

Der Leser fragt sich, was heißt das? Die Bilder lassen sich doch entschlüsseln, die Sprache aber gibt sich rätselhaft. Wenn man von lyrischer Prosa spricht muss man sagen, der prosaische Rahmen wird so stark eingehalten, dass der Text auch prosaische Erwartungen weckt."

Ilma Rakusa: "Die Motive geben Auskunft über die Zusammenführung, auch wenn die Bewegung eher kreisend ist. Alle Fäden sind da und werden geknüpft. Am Schluss weiß man mehr als am Anfang." Sie finde den Text nicht zu lang, er halte ein angemessenes Maß. Die Unschärfe gehöre dazu.

Ursula März: "Es geht ja nicht darum, dass die Ränder ungenau sind, sondern eher, dass ich eher die Anstrengung des Gemachten fühle. Es ist mir nicht zu vage, sondern zu gewollt."

Daniela Strigl: Der Text heißt, große Entfernung, es variiert die Entfernung von der Kindheit, vom Vater, von einem Land - Persien." Ich glaube, er hat eine große Entfernung zum Leser und legt Wert darauf. Das hat für den Leser etwas Kränkendes."

"Weit weg vom Leser"

Radisch stellt die Frage, "ist es nicht so weit weg, dass sich alles dort abspielen kann?" Man schlummere im Text so mit, denke an Sati-Musik. "Ich bin nicht aggressiv gegen diesen Text", aber ist hier nicht alles möglich. Das ist die Frage, die ich an ihn stelle. Sie sei nicht sicher, ob die Anstrengung zur Genauigkeit nicht genau alles hineinlässt. "Wie kann ich mich als Leser zur Bewegung verhalten, wenn alles möglich ist?".

"Leser muss entscheiden"

Kretzen: Was ist ein Text - es ist ein Vorschlag, wie wir uns selber lesen können. Will man sich vom Text lesen lassen, oder nicht. Hier muss man sich entscheiden, ob man weitermachen wolle, oder nicht. Das sei die Haltung zum Text - der Text gibt sich nicht einfach, sondern man muss ihn sich erobern. "Das ist auch die Aufgabe eines Textes."

Redaktion: Petra Haas


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