Der Schweizer
Michael Stauffer wurde vorgeschlagen von Friederike Kretzen,
er las einen Auszug aus einem längeren Text.
"Das hätte ich mich nie getraut"
Burkhard Spinnen: "Ich habe
mich bislang immer bemüht, mich an den Text heran zu
denken", sagte Spinnen an den Autor gerichtet. Diesmal
fiel es ihm schwer, den Text auch gegen den Autor zu verteidigen.
Er habe etwas Unerhörtes getan, er sei in die Sprachrolle
des anderen Geschlechts geschlüpft. "Das würde
ich mich im Leben nie trauen." Der Eindruck aus dem Auszug
sei der eines vor sich hin sprechenden Bewusstseins, das diffus
verfasst ist. Die meisten von uns sind diffus verfasst, aber
die Aufgabe der Kunst ist es, eine Art Ordnung hineinzubringen.
"Das ist hier nicht gelungen. Der Text hat eine eingängige
Struktur, ist eine Abschiedsklage über das Verlassenwerden.
Ein altes Motiv. Aber um es mit einer Metapher zu sagen, ich
kriege keinen Henkel an diesen Text geschraubt, an dem ich
ihn packen könnte."
"Es geht um Liebe"
Friederike
Kretzen: "Versuchen wir das mit den Henkeln, obwohl die
hier nicht helfen. Der Text will alles auf den Tisch legen
und kann nicht anders. Er weiß aber nicht, wo der Tisch
ist und was er darauf legen will. Im Grund geht der Text immer
ans Publikum, an den Leser. Er vollzieht etwas, was eine Aufmerksamkeitsform
der Liebe ist. Es geht um die Liebe, aber darum, wie sie sich
herstellt. Das 'Du' wird im Text konstituiert und bearbeitet
den Leser. Ohne das funktioniert er nicht. "
"Man versteht, warum der Mann der
Frau davongelaufen ist"
Iris Radisch: "Ich habe das
Gefühl, man versteht im Lauf des Textes, warum ein Herr
dieser Dame davongelaufen ist. Das muss nicht gegen den Text
sprechen. Es ist offenbar ein Dummerchen, bewusst inszeniert.
Es soll eine skurrile Bewusstseinsebene darstellen, das gibt
einen leichten absurden Schmierfilm, der sich über die
Weltwahrnehmung der Figur legt. Das ließ uns ja auch
lachen. All diese Beschreibungen der Schmerzensfigur, das
guckt nicht über den Tellerrand der Skurrilität."
"Verlassene Frauen hören auf
Männern die Haar zu schneiden"
Daniela Strigl: "Offenbar gehört
es zu den nahe liegenden Konsequenzen für eine verlassene
Frau, dass sie beschließt, ihm nicht mehr die Haare
zu schneiden", bezieht sich Strigl auf den Text von Christina
Griebel. Mir kommt der Text unschlüssig vor und macht
auch mich unschlüssig. Eine solche unzusammenhängende
Figur ist realistisch, wir alle sind inkoherent im Denken.
Aber ich weiß nicht so recht, wie die Konturen gezeichnet
werden sollen.
"Kenne andere Texe von Stauffer"
Ilma
Rakusa:" Ich kenne Texte von Michael Stauffer, die mir
gut gefallen haben. Er ist ein ungewöhnlicher Monteur
von Alltagsszenen. Ich halte den Versuch, in die Haut einer
Frau zu schlüpfen, für schwierig. Im Vergleich zu
anderen Texten, die ich von Stauffer kenne, bin ich unschlüssig.
Ihm geht es um Montage, Surrealität, nicht um Psychologie.
Das kann interessant sein. Als Ganzes geht es hier nicht auf.
Eine klare Montagetechnik wäre mir lieber, oder eine
Radikalisierung der Verfahren. So ist es unschlüssig,
der Text hat ein Defizit."
Ursula
März: "Ich habe einen dubios klingenden Eindruck.
Es gibt einen Text, der nicht auf dem Papier steht. Ich frage
mich, woher der Eindruck kommt. Das stärkste Pfund dieser
Geschichte, ihre Komik, habe ich weggenommen. Das, was übrig
bleibt, ist seltsam wenig. Ich habe den Eindruck, dass der
Autor die Komik als Alibi benutzt, um sich weder der Figur
noch der Konstruktion auszuliefern."
Thomas
Steinfeld: Mir kommt der Text überhaupt nicht
unerschlossen oder zweideutig vor. Er ist so eindeutig, dass
er mit der Liebe ins Haus fällt. Das ist ein Text über
Liebe, leider tut er das ohne Witz und Hintersinn.
"Sprachmotor wird angeworfen"
Josef
Haslinger: "Der Text wirft einen Sprachmotor an, der
das Ende sinnfällig macht. Der Motor hat zur Folge, dass
hier viele Themen abgehandelt werden könnten. Es sind
ja auch viele Themen. Ich bin skeptisch gegen die Aussage
von Frau Rakusa, dass man den Grund dieses Textes auf einem
Prinzip sehen könnte, der die Psychologie ausklammert.
Er ist eingebettet in eine psychologische Konstruktion. Der
Text will keine Geschichte erzählen, das ist klar. Dennoch
ist ein Sprachmotor, ein ironischer Sprachmotor da, der aber
eine Beliebigkeit hat. Die Figur stellt sich ja bloß,
man lacht über die Figur."
Ursula
März warf ein, dieser Text habe den Humor als
Bindemittel instrumentalisiert. Auf die Frage von Iris Radisch,
ob dies Slapstick immer mache, verneinte März.
Norbert
Miller: "Auffallend scheint die Inkohärenz
zu sein, die der Text beabsichtigt. Die Form der wildgewordenen
Aufzählung ist ein altes Muster, ist sicher Slapstick."
Ilma
Rakusa: "Mir hat es gefallen, dass Sie Sprachmotor
sagen. Es erinnert mich an den Textrythmus von Lederach. Sprachspiele,
Witz, Humor sind nicht undankbar, aber wie fügt sich
das zusammen. It doesn' t stick together."
Friederike
Kretzen: Das "Du", das sich im Text bewegt,
könnte das Bindeglied sein. Diese Lücken sind es,
wodurch sich andere Zusammenhänge erschließen können.
Was Liebe als sprachliche Form sein kann, hat damit zu tun.
Er setzt Liebe in Szene, legt sie auf den Tisch, wartet ab
und macht dann weiter."
"Leiden ist ebenso lächerlich
wie rührend"
Daniela Strigl: "Das Leiden
ist beides - lächerlich und rührend. Die Figur zeigt
das vor. Hypochondrie ist lächerlich aber auch eine ernsthafte
Krankheit."
Für Burkhard Spinnen
wurde zuviel von Slapstick gesprochen. Im Slapstick werden
die Protagonisten von der Umwelt instrumentalisiert. In diesem
Text ist das andersrum.
Redaktion: Petra Haas
Fotos: ORF/Johannes
Puch
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