Ich, ich, ich
In Klagenfurt: Scharfsinnige Juroren und einfältige Autoren
"Der jüngste Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
in Klagenfurt demonstrierte einen völligen Sieg der Kritik
über die Literatur, den die Kritik nicht gewollt hat und dessen
sie nicht froh werden kann", schreibt Ulrich Greiner am 3.
Juli 2003 in der Zeit. In den letzten Jahren sei die Inkompetenz
der Jurymitglieder so oft bemängelt worden, dass die Inkompetenz
der eingeladenen Autoren im Hintergrund verschwand. Seit heuer habe
man aber die Jury erneuert und um zwei Personen erweitert, und nun
sei die "Schwäche der vorgelesenen Texte gnadenlos sichtbar,
und je scharfsinniger die neun Kritiker argumentierten, umso einfältiger
wirkten die achtzehn Autoren." Greiner führt elf Zitate
aus elf typischen Texten an, die folgenden Text ergeben:
"1. Ich muss alles auf den Tisch legen. Ich kann nicht anders.
Ich liebte dich, so weit ist es klar.
2. Draußen ist es finster, bis auf das Licht aus hundert blinden
Fenstern. ich sitze am Tisch in meinem Raum.
3. Dann habe ich mich hingelegt, du wirst müde sein, hat er
gesagt, ich habe gelächelt.
4. Gierig schnappte ich nach dem Schlaf, der immer seltener bleiben
wollte. Ich hatte es aufgegeben, mich morgens vom Bett zum Sofa
und abends wieder zurückzuschleppen, also blieb ich auf dem
Sofa liegen.
5. Ich lag mit einer Lampe unter der Decke,
als sich durch die Hitze der Glühbirne kleine schweißige
Fetttröpfchen auf meiner Brust bildeten.
6. Auf die Toilette war ich geflüchtet,
um endlich zu Atem zu kommen und einen klaren Gedanken zu fassen.
7. Ich musste einfach etwas tun. Bin deshalb
ins Bad gegangen und habe die Waschmaschine eingeschaltet, dachte,
Maria werde meinen Eifer loben, und kam gar nicht darauf, dass er
vielleicht nicht warten wollte, bis die Unterhosen trocken sind.
8. Ich habe ein Bad genommen, die Haare
gewaschen, neue Unterwäsche, orange Spitzen. Mögen Sie
so was?
9. Lukas ist vor mir wach, steht unter
der Dusche und pfeift eine Melodie.
10. Aber jetzt weiß ich nicht mehr,
wie ich am Fenster stand, Gestalt annahm, leichte Schwierigkeiten
und Zerstreuung im Rücken. Ich werde einen Spaziergang machen.
11. Ich laufe die Straße hinunter.
Das Dorf erkennt mich am Gräusch meiner Schritte. Sie machen
ein zärtliches Geräusch auf dem Schotter."
"Zu den wenigen Texten, die
dem begriffslosen Narzissmus entkamen, gehörten das zeitlupenhaft
eindringliche Porträt eines alten Mannes und seiner letzten
Tage, geschrieben von Inka Parei, die den Bachmann-Preis bedrohliche
Erzählungen vom Zusammenprall moderner und vormoderner Kultur",
so Greiner. Das sei auch der Text, der den Preis der Jury bekommen
habe.
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