Auszüge aus Pressetexten zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt 2003. Aus Urheberrechtsgründen dürfen wir die vollständigen Texte leider nicht mehr veröffentlichen.

Die Welt
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Es war schon mal schlimmer
Ein Brief vom Wörthersee: Vom 27. Wettlesen um den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis

Liebe Tante Ingeborg,
viele Grüße aus Klagenfurt.
Wir haben es uns ja lange überlegt in diesem Jahr, aber dann sind wir doch wieder zum Bachmann-Wettbewerb gefahren. Nicht aus Masochismus. Nicht nur.
Jaja, ich weiß. Wie haben wir geschimpft. Wie haben wir uns (und Dich) nach jedem Mal mehr gefragt, ob wir uns deutschsprachiger Gegenwartsliteratur dieser Art aussetzen würden, würde sie nicht im Juni am Wörthersee, sondern im März am Möhnesee vorgelesen (neinneinnein!). Verzweifelt sind wir. Über die Literatur, die Juroren, den ganzen Bewerb, wie man ihn hier nennt. Klagenfurt-Bashing war eine unserer Lieblingssportarten.
Aber erstens geben wir, Du kennst uns gut genug, die Hoffnung auf Besserung selten auf, bevor es zu spät ist (gerade wenn es darum geht, Literatur an die Öffentlichkeit zu bringen, und wo kriegt sie denn heute noch einen Sendeplatz vor Mitternacht mit mehr als 30 Minuten). Und zweitens kann man die Literatur schlechterdings nicht den Haiders überlassen. Denn der will den Wettbewerb nicht erst abschaffen, seitdem er Landeshauptmann von Kärnten ist, weil er "totgelaufen" sei. Weswegen wir unser alljährliches Erscheinen im ORF-Studio von Klagenfurt als eine Art widerständischen Akt begreifen. Dieser Widerstand tut auch deshalb Not, weil der Preis selbst im ORF anscheinend nur mit Mühe gerettet werden konnte.
Gleich noch eine gute Nachricht: Unser Bachmannpreis-Bashing, das uns langsam sehr fad wurde, hatte Erfolg. Weil sie selber merkten, dass es nicht weiter gehen konnte wie bisher, haben sie sich Erneuerung auf die Fahnen geschrieben in Klagenfurt. Wie die aussah? Ein bisschen vorsichtig. Die öffentlich heftig verprügelte Jury wurde fast komplett ausgewechselt (von der alten blieb eigentlich nur Burkhard Spinnen übrig) und auf neun Mitglieder erweitert. Auch eine Ursache für die vielen schlimmen Texte meinen sie gefunden zu haben: die Übermacht der Schriftsteller in der bisherigen Jury. Die hätten halt allzu sehr eine Binnenperspektive, zur wahren Beurteilung literarischer Texte bedürfe es aber vor allem des Blicks von außen. So gab es diesmal nur 2,5 Schriftsteller in der Jury und eine Übermacht der Kritiker. Die sollten dafür sorgen, hatte Iris Radisch gefordert, die von heuer an die Juryvorsitzende geben darf, dass die Texte ein gewisses Mittelmaß nicht unterschreiten.
Und Du wirst es kaum glauben: Sie taten es auch nicht.
Nun wissen wir alle, dass Mittelmaß in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ein furchtbares Maß sein kann. Auch dafür gab es wieder einschlägige Beweise. Es war halt wie immer. Viel Literaturliteratur, viel Kunstwollen, viel behauptete Welt und wenig erschaffene, ganz wenig, was sich einkrallte in Kopf und Herz.
Wobei man sich nicht wirklich oft ärgern musste. Die meisten der Texte ließen einen auf literaturtechnisch hohem Niveau ziemlich kalt.
Immerhin gab es ein paar Texte, die über dieses flache Niveau herausragten: Feridun Zaimoglus unheimliche Geschichte von einer Begegnung der Kulturen in einem türkischen Dorfantikshop. Die geradezu altmeisterliche Kurznovelle von Gregor Hens über einen Staatsbesuch von John F. Kennedy in Costa Rica 1963. Und vor allem Inka Pareis beängstigend genaue, beängstigend langsame, von einer glühenden Düsternis, von Grauen grundierte Geschichte über das Hinsterben eines alten Mannes in Frankfurt Rödelheim (das geht!). Das war der einzige Text, der eine neue Welt eröffnete und, bis auf einen Juror, kaum einen unberührt ließ.
Du fragst nach Trends? Die deutschsprachige Literatur schreibt sich an die Arbeitswelt heran (und meistens gleich wieder an ihr vorbei). Sie nähert sich der Kapitalismuskritik (und bleibt ihr noch allzu weit fern). Sie entdeckt das Dorf und die Provinz und vor allem den deutschen Wald. Der schon mal totgeglaubte Ich-Erzähler feiert fröhliche Urständ. Über Liebe will keiner mehr schreiben.
Auch wenn die Jury ernsthafter, engagierter, nachvollziehbarer und weniger bildungshubernd argumentierte als sonst. Auch wenn Iris Radisch eifrig mit polemischen Bonmot-Bomben um sich warf und sich kleine Scharmützel mit dem bildgewaltigen Burkhard Spinnen lieferte, auch wenn man Norbert Miller gut und gerne zwei Stunden pro Tag am Stück hätte zuhören mögen: So recht den Beweis antreten, warum nun neun Juroren besser als sieben und 18 Schriftsteller besser als 16 sein sollen, konnte der erneuerte Bewerb nicht.
Und sonst? Vom Betriebsausflug der Literatur brauch ich Dir ja inzwischen nicht mehr viel zu erzählen (kennst Du alles von uns und den alljährlichen Klagenfurt-Feuilletons). All die Sehenswürdigkeiten, mit denen wir sonst unsere Bachmann-Briefe bebildert haben, sie gibt es noch: Das Strandbad in Maria Loretto, wohin der Betrieb mit Leihrädern schwimmen fährt nach den Lesungen (und manchmal statt ihrer), der dortige Speiselokal genannte Spesenzentralfriedhof der deutschsprachigen Büchermacher (er bleibt uns sogar erhalten, die Stadt hat die komplette Halbinsel Maria Loretto für 13 Millionen gekauft).
Und auch wenn vor uns ein Schulmädchen seufzte "Bin ich froh, dass es die Amerikaner gibt": Es hätte alles schlimmer kommen können. Es war schon mal schlimmer. Ich weiß: Das ist kein Argument. Aber wir fahren trotzdem wieder hin.
Klagenfurt 2003
Den Ingeborg-Bachmann-Preis (22 500 Euro) erhält die Berlinerin Inka Parei. Auch der Publikumspreis (5000 Euro) ging an sie. Den Preis der Jury bekam Feridun Zaimoglu, den 3sat-Preis Farhad Showghi (beide Auszeichnungen dotiert mit 7500 Euro). Mit dem Ernst-Willner-Preis (6000 Euro) wurde Ulla Lenze ausgezeichnet.

von Elmar Krekeler

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