1. Lucky und Hilal kehren nach dem Baden heim Lucky liebte Rehe. Und Hilal empfand das Geschlecht zwischen ihren Beinen als Wunde. Rehe, das waren Frauen, deren Beine eine handbreit auseinanderlagen und ein ganz zartes O formulierten. Lucky und Hilal hatten Zeit. Auf dem Frühstückstablett lag ein Berg ausgedrückter Zigaretten. Lucky saß auf einem gewendeten Stuhl, rauchte hastig die Glut in das gedrehte Papier, während Hilal wie verrückt durch das winzige Hotelzimmer stierte. Sie überfiel ihn und preßte ihre Scham auf seinen trockenen Mund. "Du weißt, daß ich davon Herpes bekomme." Lucky blies den Rauch zwischen ihre Beine. Rehe sind Frauen, die niemals Röcke tragen dürfen. Hilal war nackt. Sie wippte von einem Bein auf das andere, drehte sich um und bot Lucky ihre zusammengekniffenen Pobacken. Hilal klagte, "Ich laufe aus." Lucky drehte den Stuhl und umfaßte ihre Taille mit der Linken. "Laß es doch." Hilal stellte sich breitbeinig. Mit der Rechten hielt Lucky seine Zigarette in die einsame Dreieckigkeit ihrer inneren Schenkelflächen. Hilal schrie, ein paar Schamhaare machten Zischgeräusche. Wie eine Balletteuse winkelte sie Stand und Schwungbein weit auseinander und begann, den geneigten Kopf leicht in Bewegung zu bringen. Rehe sind ziemlich schnell auf den Beinen. Lucky versuchte ein Spiel. Ob er ihre sprachlosen Lippen auseinanderziehen konnte, ohne sie zu verletzen. Er forschte: "Du hast Angst vor mir." Hilal schloß, ohne noch einmal Luft zu holen, ihre Schenkel und ließ sich lautlos nach vorne fallen. "Verdammt!" Lucky stürzte den Stuhl um und beugte sich über ihren Körper. "Bist du bescheuert?" Lucky versuchte, sie umzuwenden und ihre Beine auseinanderzulegen, sie aber hielt sie zusammen, als stünde ihr eine Vergewaltigung bevor. Hilal öffnete ihre Augen nicht. Lucky bemühte sich, ihre Lider hochzuziehen. Sie drehte die Pupillen ins Weiße. "Sprich mit mir!" Er geriet in Panik. Verwirrt stolperte Lucky zum Telefon und wählte die Null. Als sich der Hotelservice meldete, legte er beschämt auf. Hilal kicherte und zeigte ihm die tote Zigarette, die sie aus ihrer Scham hervorgeholt haben mußte. "Ich schlage dir eine Wette vor", Hilal lachte, "ein Jahr lang bleiben wir zusammen, jede Minute, und wer als erster aufgibt, hat verloren." Lucky glitt mit dem Rücken an der Wand zu Boden. Er war selten nachdenklich. Mit ungefähr achtzehn Jahren hatte er zum letzten Mal das Gefühl gehabt, sich für etwas entscheiden zu können. Er entschied sich, den Kriegsdienst nicht zu verweigern. "Und was verliert der, der aufgibt?" Hilal hatte angefangen, sich die angesengten Schamhaare auszureißen. "Habe ich dir schon erzählt, warum ich nie einen Beruf erlernt habe?" Hilal schien nicht zuzuhören. Lucky war liegengeblieben und versuchte, mit den Füßen eine ebenfalls liegengebliebene Dose Bier zu erreichen. "Einmal haben wir mit der Schule einen Besuch bei der Bundeswehr gemacht. Die Jungs waren so gelangweilt, daß sie sich sogar über Würstchen mit Kartoffelsalat freuten. Eigentlich wollte ich mich verdrücken, aber dann kamen wir zu den ABCPanzern. Das sind Amphibien, mit denen man eine ganze Zeit lang noch Schwimmen und Herumfahren kann, wenn draußen nach dem Fallout schon alles verschimmelt." Hilal saß mit gespreizten Beinen, vertieft in die eigenartige Lust, mit der man die Haut von einer frisch verheilten Wunde wieder abzieht. Auf je einem Bein hatte sich ein kleines Häufchen von seidigen Haaren gebildet. Links lagen die, die von der Glut gekräuselt waren, und rechts die, die von Natur aus so wuchsen. Sie riß sie aus, weil sie anfingen zu wuchern. "Und, hast du einen?" Sie brauchte für ihr fanatisches Werk noch Zeit. Lucky schluckte Bier. "Ist dir eigentlich klar, daß es damals ziemlich sicher war, daß die Welt in ein paar Jahren untergehen würde. Heute schämen sich die Leute vielleicht für ihre Atombunker. Ich fand das prima. Ich habe mir immer vorgestellt, daß ich Ende Zwanzig bin und in das nächste Jahrtausend mit so einem ABCPanzer fahre. Das hätte einiges vereinfacht. Ich hätte so lange gesucht, bis ich irgendwo ein Mädchen gefunden hätte, das auch überlebt hat. Man denkt es nicht, aber es ist ziemlich klar, daß wir zusammengepaßt hätten." "So?" Hilal blies einen Teil der Schamhaare von ihren Schenkeln und strich die verbliebenen über ihren entzündeten Lippen glatt. Ihr Geschlecht sah erschöpft aus. Sie betrachtete es zufrieden. Lucky erhob sich und ging langsam auf sie zu. "Es ist viel einfacher, in der Not zusammenzupassen. Ich finde es schade, daß die Welt nicht untergegangen ist." Sorgfältig goß er das restliche Bier über ihren Schenkeln aus, es lief an ihnen entlang und spülte die wehrlosen Haare zu den Teppichflusen, wo es zwischen den Beinen versickerte. "Na gut, eine Strafe muß der Verlierer erhalten." Hilal drehte sich um und brachte Lucky zu Fall, indem sie in seine Kniekehlen schlug. Wie zum Zweikampf lag sie über ihm. "Hast du Angst, der Verlierer zu sein?" Hilal hielt Luckys Beine zusammen. Durch die Jeans spürte sie seine Erregung. Sie küßte sich langsam in den Mund des Jungen. Es war drei Uhr morgens, als sich ein dünner Blutfaden zwischen seinen Lippen abzeichnete und Hilal aus dem Hotelzimmer verschwand. Lucky träumte, daß eine endlose Reihe von Rehen seinen Körper wie ein Hindernis übersprang, als er im Halbschlaf erwachte. Das Zimmer war in einem solchen Zustand, daß er sich schämte, es der Putzfrau zu überlassen. Er fühlte sich schmutzig und seinem Vorsatz, Hilal nicht mehr zu treffen, einen Schritt näher. Rehe, dachte er, sind zu stolz auf ihre Beine. Er spülte seinen Mund aus und fluchte über die Wunde, die Hilal in seiner Mundhöhle zurückgelassen hatte. Es war das vierte Mal, daß sie sich getroffen hatten in diesem schrecklichen Hotel, das dem Bund christlicher Hotels angehörte und als Hospiz für moderne Pilger die Bibel in jeder Nachttischschublade vorhielt. Jedesmal hatte Lucky sich schlechter gefühlt als vorher und einen neuen Versuch gemacht, sich zu entscheiden. Lucky drehte den Wasserhahn auf und erdachte die Geschichte, die er seiner Freundin erzählen würde. Da schob Hilal sich durch den Duschvorhang. "Ich habe alles erledigt." Lucky nahm sie ungewöhnlich klar in den Arm, während Hilal in sein Ohr flüsterte: "Denk an dein Versprechen." Alles, was sie besaß, hatte sie bei sich. "Und was ist mit ihm?" Lucky war sich nicht sicher, ob er sich freuen oder lieber weglaufen sollte. Er beruhigte sich damit, daß es auch für Hilal nicht einfach sein konnte, alles hinzuschmeißen. "Ich habe mich von ihm getrennt." Hilal begann, ihre beiden Körper sorgsam einzuseifen. Er mußte herausfinden, was sie vorhatte. "Ich muß morgen sehr früh aufstehen." Wie zur Antwort hatte sie sich hingekniet und ihren Mund gefüllt. Sie sah ihn an und blieb ohne Bewegung. Lucky spürte, daß ihre Zähne bissig wurden. Sie hätten eine Ewigkeit so verharren können. Ihre nassen Blicke unter dem gekachelten Wasser ließen alle Zeit verschwimmen. Hilal bestand auf einer Antwort. In diesem Moment traute er ihr alles zu. Hilals schwarze Haare wurden ganz platt unter dem anhaltenden Duschstrahl. Sie sah aus wie irgendein ekliges Meereswesen, das nur aus Augen bestand. Ohne seinen Blick aus den Pupillen zu verlieren, schob Hilal ihren Mund, soweit es ging, über Luckys Geschlecht und verkrallte sich in seine angespannten Hinterbacken. Wie ein Parasit, der den Körper auf eine sehr fiese Weise zerstört. Erst saugt er sich fest und dann muß man auch noch mit ihm verhandeln. Lucky schloß seine Augen und glaubte, im nächsten Augenblick in einem tropischen Wasserfall zu stehen. Es regnete von allen Seiten in seinen Körper. Ihm war nicht klar, ob er dem Strom folgend den Wasserfall hinabgestürzt oder von irgendeinem heimtückischen Biest aus dem Dschungel angegriffen worden war, aber jetzt war alles gut, er hatte überlebt, das Wasser kühlte seinen Körper. Vor seinem Gesicht tauchten Hilals Augen und Mund auf. Sie sah eigentümlich aus. So als wüßte sie jetzt ganz sicher, was zu tun sei. Hilal legte ihre Hände um Luckys Kinn und Kopf, zog seine Lippen an die ihren heran, und er schmeckte zum ersten Mal, wie salzig sein Sperma war. Ohne ein weiteres Wort trockneten sie einander ab. Sie verließen das Hotel der modernen Pilger, ohne zu frühstücken. Lucky und Hilal nahmen die Landstraße. Sie besaßen ein Auto, eine Riesentasche mit Klamotten, die Hilal angeschleppt hatte, und eine kleine schwarze Reisetasche, in der sich auch ein paar Bücher fanden, darunter Swedenborgs "Himmel und Hölle". Hilal las Lucky aus dem Kapitel "Höllisches Feuer und Zähneknirschen". Zähneknirschen, erklärte Swedenborg, entstehe, wenn man die Aussage des heiligen Wortes nur materiell verstanden habe und sie deswegen, wie bei der Kommunion die Hostie, aufessen wolle. "Du knirschst nachts wie eine Gebetsmühle", alberte Hilal. "Ich knirsche nicht", versuchte Lucky ihr den Unterschied zwischen Aufessen und Ausscheiden klar zu machen, "ich würge". Hilal hatte ihren Sitz heruntergedreht und verlangte, daß Lucky, während sie schlief, seine Hand auf ihre Scham legte. Er schaltete mit Links und lenkte mit den Knien. Er dachte daran, was in seiner Vorstellung folgen würde, wenn er das Mädchen in den Trümmern gefunden und in seinen ABCPanzer aufgenommen hätte. Das war damals die ethische Frage schlechthin. Denn der Skandal aller Endzeitvisionen war ja, daß es selbst im Atombunker der öffentlichen Schulen nicht Platz für alle gab. Da man aber in einer solchen Situation nicht mehr die Noten der Schüler zugrunde legen konnte, mußte man andere Gründe dafür finden, wem die Bunkertür geöffnet werden dürfe. Ein Kriterium wurde für Lucky die Liebe. Er hatte sich nie vorgestellt anzuhalten. Das war ja auch nicht mehr möglich, weil alles radioaktiv verseucht war, und gerade deswegen, so seine Idee, konnte sich das Leben neu entfalten und sagen: "Mal sehen". Er hatte sich entschieden, Richtung Norden zu fahren, bis es nicht mehr weiterginge. Es würde nicht möglich sein, gleichzeitig mit Hilal am Meer zu sein und morgen im Büro anzutanzen. Er fragte sich, ob er etwas im Stich ließ. "Wo sind wir?" Hilal streckte sich, schob ihren Schoß vor und verzog ihr Gesicht in alle Himmelsrichtungen. Lucky sah, wie das Reh seine Beine in OStellung brachte und hatte Lust, sich dazwischenzulegen. Sie entschieden, beim Fahren einander abzuwechseln, wie zwei, die glauben, daß Huckepacktragen auf Dauer Kraft spare. Lucky hielt an einer Tankstelle und kaufte Bier und Ziga-retten. Er steckte sich zwei Filterlose in den Mund und zündete sie an, bevor er Hilal eine abgab. Sie hatten es sich zur Angewohnheit gemacht, nur gemeinsam zu rauchen. Ihr Ziel war es, die Zigaretten gleichzeitig auszudrücken. Dazu mußten sie sich beobachten und das brachte sie jedesmal zum Lachen. "Wenn geraucht wird, wird nicht gesprochen", sagte Lucky immer, kurz bevor er Hilal die brennende Zigarette zwischen ihre geöffneten Lippen legte, und Hilal nickte. Fünf Minuten lang blieben sie so ineinander mit Lachen und Augen und freuten sich, wenn sie es geschafft hatten. Gleich darauf küßten sie sich, daß ihnen die Zungenbänder weh taten. Als Lucky den Wagen auf den Strand zusteuerte und sich einen Scheißdreck darum kümmerte, daß sie wahrscheinlich gleich im lockeren Sand stecken bleiben würden, fing Hilal vor Freude an zu schreien. Es war schon fast dunkel und der Himmel machte keine Ausnahme mit ihnen. Sie konnten hören, wie das Meer um sich schlug. Aber Hilal wollte einfach lauter sein. Es machte einen Ruck und Lucky mußte kräftig Gas geben, um den Wagen wenigstens noch rückwärts zu steuern. Mit jeder Bewegung machte er es schlimmer. Als er sich umdrehte, sah er die Autospuren nicht mehr, auf denen er zurücksetzen wollte. Und während der ganzen Zeit kreischte Hilal so über alle Kräfte, daß er Angst hatte, wenn sie nicht schnell das löschende Wasser erreichten, könnte sie daran ersticken. Er hatte kein Gefühl mehr für das Gaspedal. Erst saßen sie vorne auf, dann hinten und endlich hingen alle Räder in der Luft. Statt sich einzugraben, hatte der Wagen eine kleine Sandburg gebaut, auf der er nun bewegungslos thronte. Lucky fluchte und schlug selbst voller Unruhe gegen die Windschutzscheibe. Vorsichtig fing seine Rechte an zu bluten. "Komm", nahm Hilal ihn bei der eingeschnittenen Hand und führte sie unter ihren Pullover. Sie blieben eine ganze Weile so sitzen. Die mit Blut verschmierte Hand an Hilals, dem leichten Fingerdruck dargebotenen Brust, die die roten Blutkörperchen in ihrem Hof versammelte und die weißen auf die umliegenden gleichfarbigen Hügelpigmente verteilte. Lucky versuchte, sich klarzumachen, daß es zu spät war umzukehren. Er hatte keine Ahnung, was das bedeuten mochte, aber der Gedanke gefiel ihm. Das Wasser war weder warm noch kalt zu dieser Jahreszeit. Es schien den beiden Badenden gegenüber gleichgültig zu sein. Es rauschte oder versuchte zu rauschen. Lucky und Hilal standen bis zu den Knien im Meer. "Ein Panzer reicht nicht", erinnerte Hilal, "Kannst du dir vorstellen, alles sein zu lassen?" Während sie sprach, streifte sie ihren Pullover, der schon ziemlich nach einer Wäsche verlangte, über ihren Kopf, wie es nur Frauen können, indem sie die Arme verschränkte und an beiden Seiten den Saum hochzog. Anschließend war der Pullover links herum gewendet. Sie ließ ihn ins Wasser fallen. Lucky und Hilal hatten sich vor etwa zwei Monaten kennengelernt. "Schenkst du mir deinen Finger?", hatte Hilal ihn beim Abendessen gefragt, als ihr Freund für ein paar Minuten in der Küche verschwunden war und er sich äußerst dumm angestellt und seine Hände angestarrt hatte. Eigentlich hatte er nur einen Platz zum Übernachten gesucht und die Adresse von einem Freund zugesteckt bekommen, dessen Schwester die Schulfreundin von Hilal war und diese schon seit über fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er wußte also nichts, als er am Samstag abend vor ihrem Klingelschild wartete. Hilal stieß Lucky ins Wasser. Sie merkte ganz genau, wann er ihr zuhörte und wann nicht. Sie hatte nur noch ihre an den Beinen klebende Jeans an und kam auf ihn zu wie eine Furie. Noch ehe sich Lucky wieder aufrichten konnte, versetzte sie ihm eine Ohrfeige. "Du hörst mir gefälligst zu, wenn ich mit dir rede." Lucky schüttelte sich sorgfältig und drückte das Wasser in aller Ruhe aus seinem Jackett. Manchmal findet man ja Waffen, von denen man noch gar nicht weiß, wozu sie gut sind und was sie außer Gefecht setzen können. Lucky wußte, daß er es mit einer Gegnerin zu tun hatte, die erstens schneller war als er und zweitens nie lange genug in seinem Blickfeld blieb. Doch die ganze Zeit mit dem Rücken zur Wand zu stehen, hätte ihn an diese Waffen nicht herankommen lassen. Er ging das Risiko ein. "Ich habe noch nie jemandem zugehört", sagte er. Es war nicht so, daß Hilal Lucky überlegen war, er war größer und hätte in einem fairen Wettbewerb jedes Armdrücken gewonnen. "Los komm, du Feigling!", brüllte Hilal ihn an und machte mit ihren Fäusten Zeichen, die zu einem Boxkampf aufforderten. Lucky warf den Kopf hin und her wie ein nasser Hund. Hilal war schlank, etwa ein Meter siebzig groß, hatte tiefschwarzes langes Haar, das sie jetzt in rhythmischen Abständen in den Nacken warf. Sie war nicht wirklich zierlich, das Verhältnis von Armen und Beinen aber so geglückt, daß sie jetzt, wo sie beide Hände äußert frech in ihre Seiten stemmte, wie aus einem Superheldencomic ausgebüxt schien. "Was soll das, du verrücktes Stück?", versuchte Lucky sich in Stimmung zu bringen und fand endlich einen vernünftigen Halt auf dem Meeressand. Ein Boxkampf, versicherte er sich selbst, ist sicherlich das Erotischste, was eine Frau einem Mann antun kann. Da hatte Hilal schon ihren Gürtel geöffnet, abgezogen, mit zwei Schritten Platz zum Ausholen gemacht und Lucky mit der Gürtelschnalle am Kopf getroffen. Sein Körper wankte, verlor den sicheren Halt, und er stolperte durch das Wasser. Das war kein Spiel mehr, dachte er, fühlte an der linken Seite seines Kopfes Blut, als Hilal ihm wie eine Krake von hinten auf den Rücken sprang und sich verbissen festhielt, bis so beide hinfielen. Lucky hatte Mühe, nicht allzuviel Wasser zu schlucken. Als er wieder sehen konnte, war Hilal verschwunden. Es kam ihm vor, als hätte sie alles geplant, aber ihm fiel verdammt noch mal nicht ein, warum. Sie wußten fast nichts voneinander. An dem Nachmittag, als er mit Hilal und ihrem Freund unterwegs gewesen war, hatte Lucky die ganze Zeit nur sie angesehen und einen Gedanken gehabt, den er nicht zu Ende denken konnte. "Warum kann nicht ich an seiner Stelle sein?" Das hatte ihn die Unterhaltung vermasseln lassen. Bis sie dann plötzlich seine Hand gegriffen und ihn gebissen hatte, so fest, daß er aufwachte und verstand, daß es kein Traum war. Nicht er hatte sie, sondern sie ihn die ganze Zeit beobachtet. Völlig durchgefroren und durcheinander bewegte Lucky sich in die Richtung, in der er das aufgebockte Auto vermutete. Rehe, sprach er sich ein paar Mal halblaut zu und wiederholte das Wort, bis es leer wurde. Mitten auf dem Strand stand Hilal mit einem breiten Grinsen, in der einen Hand noch immer den Gürtel und die andere in ihrer Jeans. Lucky sah ganz deutlich, daß sie sich rieb. Hilal starrte in den dreckigen Nachthimmel. Sie ließ den Gürtel fallen, öffnete den Reißverschluß ihrer Hose und schob sie bis über ihren Hintern hinunter. Voller Ruhe legte sie alle zehn Finger an ihr Geschlecht und suchte, ihren Kitzler von allen Seiten zu massieren. Sie sah in diesem Moment aus wie eine Eisheilige, der nichts passieren kann außer aufzutauen. Das war der Punkt, an dem Lucky stehen blieb, ganz nah bei Hilal, die ihn aber nicht zu bemerken schien. "Du Miststück." Keine Antwort. Lucky schien es, als stünde er vor dem SesamöffnedichTor und das Losungswort hätte sich geändert. Das Zauberwort hieß nicht "Bitte". Ohne zu zögern, riß Lucky Hilal die Jeans und den dunklen Slip über beide Knie. Swedenborg empfiehlt in solchen Momenten, da das Scheusal sich an der Höllenpforte zeigt und einen entsetzlichen Wutausbruch ankündigt, nicht zu vergessen, wie gern es sich in Menschengestalt versteckt. Es ist Barmherzigkeit, daß die Ungeheuer sich nicht so sehen müssen, wie sie im Himmelslicht tatsächlich erscheinen. Lucky schleuderte Hilal auf den nassen Sandboden, wo sie unbeweglich liegenblieb und seinen Sprung erwartete. Er empörte sich gegen seine geängstigte Lust, ihr die Kehle abzudrücken, und tat es. Lucky verteilte ihren Körper unter dem seinigen und kam sich vor wie ein Raubtierbändiger, der das zweifelnde Kratzen von Hilals Fingernägeln nur als absurde Bestätigung empfand. Ihre Beine gefesselt in der verknoteten nassen Jeans, drängte sich Lucky zwischen ihre Schenkel. Die Selbstliebe, schleuderte Swedenborg peitschende Sätze dazwischen, ist selbst die Hölle. Sie kennt nur, indem sie Diener kennt. Sie liebt nur in dem, in dem sie geliebt wird. Hilal lag reglos neben dem Erleuchteten und blutete nicht wenig. Lucky blinzelte in die Sonne. Bevor er sich die Mühe machte, seine Augen zu säubern und höflich zu öffnen, tastete er nach Hilal. Ihr Bein war glitschig. Der Geruch an seinen Fingern ließ ihn nicht darauf kommen, daß es Blut war. "Du läufst schon wieder aus." Keine Antwort. "Und ich habe nicht einmal Zigaretten." Lucky machte alle Bewegungen, die einem Kater und einer schiefgelegenen Nacht angemessen waren. Endlich blinzelte er ein zweites Mal und sah die wunderschöne Hilal auf dem uferlosen Strand. Er beugte sich über ihren zitternden Körper und versuchte, die Auseinanderliegende aufzurichten. Er wußte, daß nichts in Ordnung war. "Hilal, bitte", flehte er, "sei brav, ich bringe dich nach Hause, und laß dich von mir gesund pflegen." Das Blut war ziemlich dunkel und quoll nur noch langsam. Er suchte nach einem einigermaßen sauberen Stück Stoff an seinem Körper und riß und wickelte Hilals Schoß ein. Bemühte sich mit einem heftigen Anfall von Zärtlichkeit, ihre Jeans hochzuziehen, ganz langsam, um sie nicht unnötig durchzurütteln. Alles, was er entbehren konnte, zog er ihr an, die Strümpfe, das Hemd, das Jackett, sie mußte auf jeden Fall warm werden. Lucky rannte, mit Hilal in den Armen, jenen Satz, der ihm in den Sinn kam, verfluchend, ohne genau zu wissen, wohin, und stotterte ihn doch mit der ausgestoßenen Atemluft immer wieder hervor: "Wie kann man nur, wie kann man nur." Wenn er inne halten mußte, hörte er an Hilals Mund ein ganz dünnes Röcheln und sprach so lieb mit ihr, daß er selbst daran glaubte, damit müsse sie eigentlich durchkommen. "Meine Liebste", sagte er in einem Ton, wie ihn Swedenborg sicherlich allen rechtschaffenen Menschen empfahl, "ich weiß, du kannst mich nicht hören, aber sobald du gesund bist, suche ich uns eine Wohnung, die nach Süden sieht." So erreichten sie ein Dorf, das den beiden entgegensah, als wären sie gerade der Apokalypse entkommen. "Ein Unfall, wir hatten einen Unfall", rief Lucky einem Einheimischen zu, der, ohne ein Wort zu verlieren, in aller Seelenruhe in einer Eingangstür verschwand. Die Minuten, die Lucky jetzt weder laufend noch ruhig stehend verbringen konnte, machten ihm erst klar, was er Hilal angetan hatte. Was sollte er den Ärzten oder besser der Polizei sagen? Hilal fing plötzlich zu husten an und spuckte Lucky ein Gemisch aus Blut und Raucherschleim ins Gesicht. Er freute sich so sehr darüber, als er merkte, daß ihre Arme liebevoll seinen Hals umschlungen hielten, daß er den dörflichen Bewohner, der auf irgend etwas zu deuten schien, nicht wahrnahm. Der Krankenwagen kündigte sich seinem Opfer mit einer ziemlich unwilligen Betätigung der Hupe an. Lucky saß, notdürftig mit einem weißen Patientenhemdchen bedeckt, im Gang zur Inneren Abteilung. "Ihre Frau hat eine starke Lungenentzündung", weckte der behandelnde Arzt ihn aus seinem Grübeln. "Ist sie bei Bewußtsein?", sprang Lucky auf die Glastür zu. "Es geht ihr gut, aber wir müssen uns dringend unterhalten, bevor Sie zu ihr gehen." "Ich muß mich nur mit ihr unterhalten", klärte Lucky kurz. Hilal trug das gleiche weiße Hemd und lächelte bis über beide Ohren, als Lucky eintrat. "Da bist du ja, mein Kleiner", streckte sie ihm ihre Hand entgegen. Lucky nahm sie wortlos in die seine und führte die tastenden Finger unter sein Hemd an seinen Bauch. Jetzt waren sie wieder vernabelt. "Ich habe dem Arzt gesagt, daß du mein Mann bist. Es wird keine Schwierigkeiten geben." Der Dunst, der aus der Hölle aufstieg und anreizte, Böses zu tun und der Dunst, den der Himmel aushauchte und der auf die beiden niederfiel, um sie zum Guten zu verführen, hielten sich im Gleichgewicht. "Sobald du wieder ganz gesund bist, fahren wir nach Hause und ich besorge mir einen neuen Job." Hilal tastete mit ihrer Hand nach Luckys Geschlecht und nachdem es ihr gelungen war, es zu umfassen, sagte sie zufrieden, "Tu das", und schlief schnell wieder ein, als hätte man ihr Kuscheltier zurückgebracht. Lucky kämmte ihr das Haar und machte sie schön, bevor er das Krankenzimmer verließ. Draußen wartete wieder der Stationsarzt. "Wissen Sie eigentlich, was Ihrer Frau zugestoßen ist?", fühlte Lucky sich bei den Vorbereitungen für den nächsten Schritt aufgehalten. "Das geht Sie nichts an." Der Arzt stellte sich ihm in den Weg, als hätte er die Soldaten der Heilsarmee hinter sich. "Ihre Frau braucht Ruhe." Mit einem Ruck hatte Lucky den Mann an eine Wand geschoben und einen Ellbogen gegen den Hals gedrückt. "Ihre Frau hat vor einer Stunde ihr Kind verloren", setzte er mühsam und leise hinzu. Lucky ließ ihn los und rückte den Arztkittel zurecht. "Dann ist die Wunde geschlossen." Lucky ließ ihn hinter sich: "Behandeln Sie sie gut, bis ich wieder zurück bin." |