Ralph Boent. Geboren 1963. Lebt in Berlin (D).

Gold

Uns die Stadt: B, denn wir, sagen wir hier, sind nicht ängstlich, und das Schönste am Krieg ist ja die Nachkriegszeit. Das ist in jedem Fall klar, immer, natürlich. Da wird alles gut, wie wir wissen, das ist sicher, wir sind uns sicher, es wird besser, sicher ist sicher, okay, alles geht vorwärts und dann, am Ende: Es wird Gold. Und glänzt, ja, wir befinden uns jetzt halt in solch einer lockeren Situation, die historisch ohne Beispiel ist: Einmalig sind die Möglichkeiten, die erwachsen und die wir nicht leichtfertig verspielen werden. Wir sind gelassen, und bloß Hans Zork hat simultan ganz andere Probleme zur Zeit. Er ist der erste aus einer Handvoll künstlich mißratener Heldinnen und Helden und steht in seinem Zimmer in der B-Stadt, wo er nicht weiß, was er tut. Er weiß es nicht. Schuld an diesem Zustand ist vor allem Anna Plech, die nächste aus jener Gruppe an unserem Rand. Anna ist Zorks Partnerin und sie hat, sagen wir, einen Stricher geknallt, einen bezahlten Jungen genommen, d.h. mit einem Profi geschlafen. Das sagt sie, die Sau, und Hans Zork, verletzt, patzt sofort grob, denn er denkt: Blöde Votze ficken.

Bei Leuten wie Zork und Plech (eigentlich: Plechatsch, Johanna Plechatsch, so steht sie im Telefonbuch) und auch ihrer Freundin oder Bekannten Lotte Müller (eigentlich: Charlotte Müller) samt deren türkischen Geliebten mit Namen: Dorado, bei denen also, da kommen Schweinereien vor und Betrug, wie man leicht sieht. Es ist dann kein Wunder, wenn es da nicht voran geht: bei denen, die zu nichts kommen. Im Zimmer nebenan, von Zork aus gesehen, steht nun diese Anna Plech wie verwurzelt, und es ist offensichtlich, daß die üblichen Verflechtungen vorherrschen wollen, und wir sind es, die da umgehend handeln könnten, von vornherein besser saubere Ordnung halten. Klar. Wir haben ein Programm, in dem für solche Leute wenig Platz ist. Das tut uns leid. Wir, so ist das, bauen D-Land, Berlin, wir machen uns breit.

Gut, Kräne schauen oben heraus aus der Stadt und weisen uns unsere spannende Zukunft. Sie weisen uns aus, und Anna Plech in ihrem Zimmer überlegt nun, immerhin, während wir beschäftigt sind, und Zork weiß nicht, was er tut, wie gesagt, nicht wirklich was er denkt, wie ein jeder, der solche haltlose Vulgarität herausblasen muß. Aber wir wollen das nicht entschuldigen und machen statt dessen uns nichts vor und verbringen unsere Freizeit sinnvoll: mit Vater Zork zum Beispiel, dem ganz natürlich und rundum gelungenen Vater von Hans Zork, der das Leben schon vollständig kennt als die Tragik, die es ist. Er winkt nämlich meistens schnell ab, Vater Zork, der neunzehnzwanziger Jahrgang, und wir können ihm glauben. Gelassen flößt er uns den Respekt ein, den er verdient. Er lebt nicht wie sein Sohn in Berlin, ist aber nach dort momentan unterwegs: Es geht heute rein zufällig auf den Heiligen Abend zu.

Vater Zork ist zum Sohn unterwegs und zwar, na klar, mit dem Auto (plus Frau) und wurde, soviel nebenbei, aufgrund einer Panne verschleppt und mußte erst zahlen und zwar horrend, bevor man ihn (plus seiner Frau) wieder fahren ließ. Zork senior hat aber schon ganz anderes bewältigt, als er so alt war, wie Hans es jetzt ist. Na also: Da hat der Vater so manche Polin genommen, das ging damals umsonst. Jetzt sagt er, da kannste nix machen. Mit Durchreisenden, sagt er, da machen sie, was sie wollen. Er ist ja der Vater und sagt: Da kannste nix machen. Die paar hundert Mark, sagt er, scheiße. Er hat seine Frau mit dabei und fliegt, an das Fest anschließend, in Urlaub. D.h. er hat Stil, und wer hat den nicht?

Hans!

Aber kurz noch zum Vater: Der schwört, seit der Krieg aus war, auf unsere ureigenste Erfindung, unser ideelles Gebäude, genannt: DOM. Mit sich schleppt der Vater dies rum immer und hat mit der Zeit, ja also, er hat schon etwas mitgemacht und was erlebt, nicht lediglich Frauen, und sicher hat er für all das fortlaufend bezahlt. Das haben ja wir eben nicht und wollen es selbst redend alles auch nicht, und nur Vater Zork züchtet Wünsche, die groß sind. Sie wachsen und unterliegen der Inflation. Das weiß auch die Mutter: Ihr Mann arbeitet hart, genau wie sein Vorstand: Merton. Der wird den Roman der Gesellschaft kaum überleben. Und sitzt, kurioserweise oder für dieses Stück jedenfalls mal, im fiktiven Dom, der unseren klassischen Trostspender darstellt, und zu Recht sitze ich hier, sagt er, der Vorstand, als Vorstand, denn ich arbeitete hart und erkannte eines schon früh: Die erste Variante der Instabilität. In Zeitdingen versteht Merton keinen Spaß. Klar. Es hängt auch alles davon ab, ja. Der Vorstand heißt Robert Merton und ist echt. Er hadert mit der Zeit zu Recht. Er verspricht die Blüten schon fürs kommende Geschäftsjahr, denn heute sind wir uns sicher, wie es sonst nur der Tod ist: Super. Kritik, sagt der Vorstand! Wenn wir mit wenigen Opfern, z.B. 200, sagt er im Zweifelsfall, Stabilität schaffen können, Zeit, sagen wir 20 Jahre, da spricht unser Vorstand: Dann werden wir Opfer bringen.

Gut geht es Merton, gerade wie Vater. Der schläft zwar meist schlecht, sagt die Mutter vertraulich: Unter uns, unter vier Augen. Er schreckt im Schlaf hoch und schwitzt fürchterlich. Unter vier Augen. Wir kucken von weitem zu, und er schreit, unter vier Augen, er war ja dabei, heult jetzt die Mutter. Sie jammert (und ist eigentlich durch und durch jämmerlich, aber wir geben das zu) unter vier Augen. Sagt sie, bei allem dabei. Ist ja schon gut. Ihr stellt euch nicht vor, was wir mitgemacht haben. Damals die Bomben, alle Häuser kaputt. Und jetzt gehts allen so gut. Stimmt, das haben wir geschafft, unser Gott, das lassen wir uns sicher nicht wieder nehmen so leicht. Alle denkbaren Methoden. Wir haben! sagt der Vorstand. Den Glauben begründet, den Dom: Baugruppen fügen wir zügig zu Bauten zusammen und Kunstwerke kotzen uns an. Nur Hans ist jetzt zu Hause und empfängt seine Eltern (siehe oben) und die Zeit, wie immer, Ende Dezember, ist kalt und jetzt nimmt alles den Gang, den es geht: Hans Zorks Mutter (Mutter Zork) winkt schon von der Straße und ruft zum leeren kleinen Balkon hoch: Haaahns! Sie sagt zum Vater, d.h. ihrem Mann, hier muß es doch sein, sagt sie zum Vater und kuckt auf einen Zettel und kuckt wieder hoch zum Balkon und dann wieder zum Auto und sagt, hier muß es doch sein, sagt sie zu ihrem Ehemann, Vater Zork. Der parkt grade ein.

Fein: Gott, Golgatha, Gold. Mut, Schwere, Gewicht. Da gehen wir scharf mit (einer derartigen Situation) ins Gericht: Von uns aus soll Hans nämlich schmoren in den Verdrehungen, in denen er lebt, denn wir haben uns lange schon abgeseilt von der Familie zur Freiheit und gut, machen wir, daß wir auch wegkommen von Hans. Er sieht eh immer bloß eng in alles hinein und ist als Held einer Burleske sowieso kaum zu gebrauchen. Das finden auch seine Eltern: Daß wir da keinen Axbruch erlitten, ruft hell und bescheuert die Mutter in bezug auf die Fahrt nach Berlin. Sie setzt die Erfindung vom neuen Auto und wies gleich kaputt ging, d.h. wie ihr Traum (puff!) zerplatzte, mit zahllosen Wörtern im nachhinein nochmals zusammen. Sie malt das Zerplatzen des Traums (wie der Wagen abgeschleppt wird) noch ein weiteres Mal aus. Sie verwendet ausschließlich Bilder, die schräg sind, wir grinsen da dumm. Mutter Zork bemerkt aber nix und erzählt unvollständig in allen Schattierungen, in fast allen Ausführungen und in allen Details. Sie hat eine Leitung, die lang ist, und lange wortlos ist auch ihr Sohn, unser Hans. Was hat denn das Auto gekostet, fragt er kurz drauf, während sein Vater einfach bloß lacht. Er nimmt den Sohn in den Arm und dreht sich zum Haus. Mit Hans zusammen herum und herum. Der Vater dreht sich und dreht sich. Wir stehen und sehen. Vater lacht, das hat wahrlich er verdient und nicht Hans, und wir haben damit schon mal einen drastischen Unterschied herausgearbeitet. Die Schere ist also gut auf, und der Vater sagt: über Geld spricht man doch nicht, Hans, Junge, lacht er. Der Vater: Der Gute. Er lacht Hans an, das ist sein Sohn. Jetzt haut mit der flachen Hand der Vater dem Sohn auf den Rücken. Sowas haben wir schon mal gesehen. Das ist abstrakt, Abstraktion. Sie täuscht nicht, und lachend haut noch immer der Vater, der Hund. Er sagt: Mensch, Junge, Hans, da spricht man nicht drüber, sagt er z.B., Geld, Junge, sagt er zum Hans: Das hat man. Vater Zork grinst, und seine Züge entgleisen kein bißchen. Er befindet sich auf dem Weg in die Sonne, dem häßlichen Winter im D-Land entfliehend: Die paar tausend Mark, sagt er, scheiße, und Mutter Zork ist auch da. Sie steht in der Küche, hat Proviant ausgepackt, sie will helfen und brennt schon vor Eifer. Sie schaufelt im Innern grob Lust und Hans beginnt mit dem Kochen. Vater kuckt fern. Und Hans kocht nun also Pasta. Was, fragt die Mutter, ja mein Gott: Nudeln, sagt Hans schon wieder unlustig und schneidet diverses Gemüse und Knoblauch. Muß das sein mit dem Knoblauch, fragt Mutter und Hansi sagt, ja. Die Wohnung ist blöde, finden Zorks Eltern. Lange hatte Anna nach einer gesucht. Die Suche war hart und alt ist das Haus. Bei Zorks Eltern kommt gleich beides nicht an. Dazu sagt Hans nichts. Zork Mutter tröstet ihn dennoch sehr lieb: Im nächsten Jahr könnt ihr vielleicht in ein besseres Viertel. Hans, ruft Mutter zu Hans, der weghört. Wir haben doch alle mal anfangen müssen, brüllt sie. Hans, alle ganz klein! Ein besseres Viertel, wiederholt sich die Mutter und niemand hört zu. Ein goldiges Viertel, Hans, sagt sie, ein teureres, Mensch! Hans! Eines, das glänzt. Tja. Dies Viertel ist nicht so recht passend, nicht recht ansprechend und anders wärs besser schon besser und auch Mutters Augen tragen jetzt Glanz. Sie zieht sich ins Bad zurück und Anna befindet sich gleichzeitig, also: heut abend, in ihrer Heimat kurz hinter der Stadtgrenze: Bernau. Und Hans ist oft bloß abwesend. Lieber hält er sich in Fantasien auf, wie zum Beispiel in Anna, und zieht sich aber auch dort gleich wieder zurück, was einen leichten, tauben, abscheulich-gräßlichen Geschmack in uns hinterläßt. Aber zurück zum Vater. Er raucht eine Zigarre, was wahrlich er wieder verdient hat und wieder nicht Hans. Die Unterschiede sind also erstaunlich stabil und Vater liest nun, erst im Straßenatlas von D-Land, dann im Stadtplan von B. Alles gehört uns. Zork Vater hat Größe, wie D-Land, das tut ihm nicht weh. Mutter im Bad, die rollt Deo, ins Haar sprüht sie Schpreh. Wir kommen langsam in Stimmung, in Wallung, da zerfällt die Musik. Hans denkt an Anna. Er kocht. Im Fernsehen kommen Bilder der B-Stadt. Sie flimmern. Der Vorstand sitzt schlicht im Dom. Zork Vater erregt sich. Alles ist alt: Es erinnert. Jetzt kommt der Vorstand, Zork Vater kuckt, in der Zeit nach ganz vorne orientiert, gebannt ins Tehfau. Meine lieben Mitbürger, sagt der Vorstand, und Mitbürgerinnen. Unser D-Land, sagt er, der Vorstand und lächelt. Es steht jetzt viel besser da, sagt der Vorstand. Die Wirtschaft zieht an, sagt er, das ist alles ganz klasse und prall. Sie wächst kräftig spürbar. Das ist alles ganz super und toll. Ich ganz allein habs gemacht, alles, denkt er: Der Vorstand und Zork Vater denkt mit. Zwar ist die Krise noch da, sagt er, Vorstand Merton, und andere Regionen und sogar Asien und so holen auf. Meine lieben Mitbürgerinnen, sagt er, der Vorstand, und Mitbürger. Die Kamera fährt an den Vorstand heran und es entsteht Nähe. Die Mutter tritt aus dem Bad, duftend, und trifft in der Küche auf Hans. Ich, sagt Merton, meine lieben Mitbürger und Mitbürgerinnen. Das D-Land steht da. Kochduft knallt in der Küche an Deoduft und Haarschpreh knallt wieder an Kochduft zurück:
Grad holt die Kamera den Vorstand noch näher heran, ganz nah ist er, der, wegen des guten Eindrucks, hinterm Schreibtisch sitzt und vorm Bücherregal, da würgt Mutter heftig am Küchenduft und Hans hustet, ihn kratzt im Hals das Deodorant. Merton erwähnt die Toleranz und das Mitgefühl. Zork Vater kuckt zu. Alles ist Gold und Zork Mutter dreht sich zum Bad, Hans läuft hinaus in den Hof. Fort fährt der Vorstand Merton und fort fährt auch die Kamera wieder. Und wir fahren eh fort, damit alles bleibt, wie es ist. So fügt die Kunst eins ins andre, und wir sind ganz Ohr, jetzt ganz gelassen in der umständlichen Situation. Es ist der 24. Dezember, das Fest der Eintracht und Liebe. Zork Mutter bricht sauber ins glatte Becken und spült gleichzeitig nach, Hans kotzt, wegen des Winterwetters dampfend, ans trockene Haus. Damit sind schon mal ganz schöne Differenzen ausgestellt. Gott sei gedankt, sagt auch der Vorstand, für D-Land, den Frieden, die B-Stadt, unsere Kultur wie in Schickago, meine Partei, meine Frau und vor allem den Dom. Ich danke ihnen. Der Dom. Vielen Dank, sagt Vorstand Merton, Gott schütze den Dom: Unseren schon.

Anschließend kam ein Schpott mit dem Modell der Eltern. D.h. dem Nachfolgemodell. Es hat einen Doppelährbäck zum gleichen Preis wie das einfache Modell der Eltern (mit nur einem ährbäck) und einen adretten Schriftzug wie von echter Hand seitlich hinten am Heck: Gold. Das ist der zusätzliche Name des neuen Sondermodells zum Preis des alten Einfachmodells. Weitere Extras kommen dazu. Wir tun was in D-Land für neue und alte Zielgruppen und sprengen Märkte. Selbst in Berlin. Zorks Eltern setzten sich nach dem Schpott zum Essen an den Tisch, aber die Laune war allgemein versaut wegen dem Angebot. Schade. Aber nicht zu ändern.

Zu lachen gab es also wenig.

Hans dachte an Anna.

Wir erinnern uns langsam, wir sehn in die Zukunft. Ewig ist nur Gott und der Tod. Wir ahnen sacht und laufen schon hin. Und Hans denkt jetzt zum Beispiel an Anna. Und an ein paar Tote von gestern im Fluß Oder, von denen Anna und er kurz gesprochen hatten, und ratlos. Er, Hans, ahnt nicht, daß es heute noch schlimmer, noch weit schlimmer als unlustig, also viel schlimmer kommen kann. Der Heilige Abend wird bei Zorks in der Tat katastrophal, zum Eklat, weil das Auto der Eltern, das neu ist, herabgesetzt wird. D.h. daß, was grade noch neu war, es jetzt nicht mehr ist. So eine Panne (Katastrophe) war nicht geplant, und auch der Held Hans ist jetzt hilflos. Die Zukunft jedenfalls verliert für die Eltern den Sinn.

Sie wird eine Farße.

Sie verliert für die Eltern den Sinn, diese Zukunft, solange das Auto nicht neu ist, d.h. das letzte neue noch nicht gekauft ist. (Wir biegen uns krumm!) Hans macht sich deshalb vom Acker. Er verschwindet zu Recht in die Nacht des Nachkriegs Berlins. Er trifft im Mollie verabredet auf seinen Freund Dorado Tumbaga. (Was für ein Name?) Am Tresen steht Doro, als Hans eintritt, mit Zigarette und Glas steht er da und hebt eine Hand und sagt so lachend wie langezogen: Hee Hansi, sagt Dorado und schließt mit erhobener Hand: Zork! Tumba schlägt seine Hand in die Hand von Hans Zork, wie wir es bei Doppelpartnern im Fernsehen schon eintausend bis zweitausend Mal beobachtet haben: Alle 10 Finger zeigen nach oben, die Handballen prallen zusammen, die Daumen fassen umeinander herum. Alle 8 anderen Finger knicken jetzt ein und greifen um den jeweils anderen Handballen in Richtung der Handfessel, d.h. also jeweils 4 zusammen einander entgegengesetzt, herum. Aha! Eine gelöste Stimmung entsteht für uns sichtbar. Hans lächelt, kuhl. Er haßt seine Eltern, wenn auch nicht richtig. Ist doch kühl, daß die mal da sind, will Tumba den Saufkumpel beruhigen, aber der macht eine wegwerfende Bewegung mit seiner bevorzugten Hand. Kotzt mich an, sagt Hans, und uns kotzen sie auch an, diese Eltern von Hans. Die hier absolut nichts verloren haben außer halt jenen Krieg früher und jetzt ihren Hans, den sie schon lange verloren haben und ganz: Vor stocksteifer Dummheit starren monströs die Eltern von Hans.

So: Fehlen tun von den eingangs erwähnten sozial schwachen 5 jetzt, neben Hans, Anna und Doro, dem Scheiß\-türken, ein Witz, noch zweie: Das sind Lotte, eigentlich: Charlotte Müller, die Lebensgefährtin von Doro, sowie abschließend das Mädchen Sismene, das die Tochter Mertons darstellt. (Sie würde folgerichtig zur Vatermörderin, wären wir für ein ausgewachsenes Drama bloß selber ausgewachsen genug!)

Am Heiligen Abend jedenfalls kam Sismene sich nah mit Dorado und hat Kosungen im Dunkel geflüstert, erdacht. Es wurden Arme um Rücken, um Rümpfe und Beugen geschlungen, Düfte gekostet, Liebe gemacht. Die beiden haben geschwitzt und gelacht.

Was es in Berlin alles gibt: geil! Für Romantik fehlt uns dann letzten Endes aber auch wieder was, z.B. die Zeit, die uns hier abgeht. Dafür sind wir immerhin viele, sind mehr. Das ergibt sich von selbst eigentlich und alles andere dann anschließend auch: Vorwärts geht es, mit Hans. Die Unfigur (unsere Marionette) mußte nach dem Festessen also, wie grade gesagt, noch rausgehen unbedingt. Er hielt das nicht aus, obwohl es doch bloß seine Eltern waren, von denen er eine Menge hätte lernen können ein Leben lang und im Prinzip. Wir legen auf beides Wert. Dann ist es beschwert, aber Hans Zork ging um Ecken herum und an Blöcken entlang. An jenem Abend am Ende des 20. Jahrhunderts, dem Festabend. Wir, avanciert und prädestiniert, wetten, er bekam Unterstützung. Allein jedenfalls trug sich das nicht. Irgendwie fühlte man doch, daß Geschichte in der Luft lag, schwanger schien alles. Es lag wohl am Datum oder am Krieg, der aus war, oder am nächsten, der uns irgendwie zuwinkte, aber das merkwürdig lächelnd, sehr überlegen, oder es lag daran, daß wir dies Winken gerade nicht sehen konnten, sondern bloß spürten wie einen verstohlenen Blick in unserem Rücken in der vollständig weißen Ebene, die vor uns lag ohne denkbare Behausung. Oder es lag an all diesen Randbedingungen, die auf die Stimmung zu drücken sich anmaßten oder so. Und am Vorstand Merton lag es durchaus nicht. Wir spürten ganz klar die Weite!! D.h. uns wurde eng: auch wegen Hans. Der kommt zum Mollie, einem düsteren Ort, wo nichts neu ist und alles nur alt: eine Unterstadt fast, die wir rund ablehnen zwar und dann angesichts anderer, halt existentiellerer Fragen doch tolerant übergehn. Hans Zork tritt also ein, und an der Theke steht Doro. Der hebt wie kodiert eine Hand und fragt, und, und Hans sagt trotz alledem: Scheiß. Doro macht diese wegwerfende Bewegung der bevorzugten Hand, wie wir sie bei diesem großen Schauspieler doch schon mal haben beobachten können. Er, Doro, meint, es sei kühl, daß die mal da wären: So fürn Tag. Hans nickt, und dann trinken die beiden ein paar Biere, zwei Whiskys und gehen anschließend ins Donats. Ob die zwei Whiskys im Mollie jetzt zusammen getrunken haben oder jeder für sich ist nicht gesagt, aber das Donats ist ein Berlin-Treff, wie er typisch ist für junge Leute und wir, elaboriert und informiert, horchen bei Vokabeln immer gleich auf. D.h. Filme laufen ab und wir gaffen. Z.B. Doro: Er trifft dann wirklich die Tochter vom Vorstand, Sismene, wenn es nicht erfunden wäre, und vögelt sie, die Sau, was mit Doros Rausschmiß bei Lotte endet, was ihm recht geschieht. Sowas kennen wir ja. Wir sind beruhigt, vorgegeben, wir sind eine Menge. Die Majorität. Die Majestät ist Merton, mit seinen Kommandanten, den Adjudanten, mit den Agenten, den Präsidenten. Sie bauen Berlin richtig, auch das ergibt sich von selbst. Nebenbei flogen Zorks Eltern dann ab, am nächsten Tag, das war der 25. Dezember, die Zeit floß dahin in Berlin und floß am Ende ab, so daß sie weg war dann. Und weg waren auch die Eltern. Sie flogen fort von der Großstadt, direkt in die Sonne, wo sie ausspannen wollten und lustige Ausflüge machen sowie ein paar Kontakte.
Man kennt das, schön ist das Reisen. Ganz wunderbar, und das frei sein: Ach! Vater Zork atmete durch, als die Maschine aufsetzte, Kontinent zu Kontinent, dachte er, Afrika in Amerika und so weiter, toll, sagte er, kurz bevor die Maschine am Ende der Rollbahn wegen eines Bremsfehlers zerschellte. Wir jedoch, immer unter Druck und gepreßt, sind hingegen enttäuscht aus diversen Gründen, während Mutter Zork auch dachte bestimmt, und den Griff der Tasche mit Proviant umklammerte, als das Flugzeug die Piste zu berühren sich anschickte, und Anna, kommen wir auf ihr Geständnis von oben zurück, war, wie sich jetzt rausstellt, gestern gar nicht beim Prostituierten.
Es wird also betrogen, wo wir hinkommen, gelogen, bloß so. Wir weisen das von uns, denn mit Schlitzohrigkeit (wie bei harten Verhandlungen) hat es nichts mehr zu tun. Es hat niemand mehr davon oder sichtbaren Vorteil davon. Dagegen wir sind noch: Ambitioniert, und verstehen diese Leute nicht. Sie gewinnen nicht an Statur, so sehr sie sich auch bemühen, so zu sein mit der Zeit, wie wir es schon immer gewesen sind. Nein, wir hassen uns nicht unverblümt, sondern andere und knallen Kriminelle immer gleich ab. Kümmern uns, klar, nicht um Anna und ihre unnützen, unverständlichen und komisch ins Leere gehenden Geständnisse, denen offenbar nicht einmal Taten entsprechen.
Sie ist uns zu dumm, Anna, und verläßt jetzt ihr Zimmer, die Wohnung, ihr Haus in Berlin/Ostsüdost. Zu Fuß tut sie das, es ist abend. Die Stadt, B, ist dunkel, während die Zeit läuft und die Leben kurz sind. Resignation macht sich schon breit oder versucht es und ganz allmählich geht sowas zuerst und brennt dann auf unseren Seelen. So bauen wir gegen die Dauer von Zeit an als jeglicher anderer Halt weg ist und Hans bei Lotte sitzt und weint und unser Grinsen groß wird und überproportional: Allen voran zappelt Hans. Wegen Anna, die immer nur anderes im Kopf hat: die Männer. Sie geht aus der Straße weg, in der sie mit Hans wohnt und geht Richtung Gleiskreuz. Oben am Gleiskreuz ist eine Brücke, parallel zu den Gleisen. Anna geht die Brücke hinunter zum Strich, der ist schäbig. Sensationen wie solche lassen uns sicher kalt, wir suchen eher Zerstreuung. Hans spricht mit Lotte, gestern, bis kurz vor dessen Affaire, sprach er mit Doro. Das sieht ihm ähnlich, sagt Lotte, im Donats! Hans rutscht hin und her. Er sagt: öh. Jetzt schließt eine obligate Pause sich an. Lotte kuckt Hans an, er schluckt. Sie auch. Ach klasse, sagt Lotte zu Hans mit dieser wegwerfenden Handbewegung der Nihilistin. Ach superklasse, sagt Lotte, du warst da dabei, sagt sie: Arschloch. Das nickt und antwortet, ich bin aber früher gegangen. Wärst du mal besser geblieben, ruft Lotte: Ihr seid doch wirklich alle gleich. Hans kuckt sie an ohne Pause. Er versagt immer, das genau ist ja so zuverlässig an Hans. Er sagt: Ihr auch. Lotte kuckt einen, sagen wir, angeblich traurigen Hans an. Ja ja, sagt Lotte, scheiße, sagt sie (unflätig) und Anna sehen wir gehen in ihrer Art von Berlin. Stimmt schon, sagt Lotte und Anna sucht ihren Weg und auch Lotte macht selten was vollständig richtig. Hans grinst verlegen. Anna nicht. Sie geht zur Brücke hoch, ihr Herz, klar, das ist schwach. Hansis Grinsen zerfällt. Gar nich so lustig, sagt er und Lotte sagt, nee, und umarmt den Versager. Lotte berührt Hans, Hans wieder Lotte. Haut kommt auf Haut, aber uns,
ha ha, uns ist nichts neu. Haben auch sowas schon mal gesehen: Hans atmet und Lotte atmet auch. In ihren Schädeln Tumult, Gott kaum, und in den Herzen strömt beißendes Blut. Lotte und Hans lassen einander los: Weißt du, sagt Lotte zu Hans, so einer kommt nicht dabei, nie. Ah, sagt kurz Hans und sieht (kleinlich) Schamhaare ineinander verhakt. Eines bewegt sich gerade vom anderen weg, bei Hans, in der bitteren Vorstellung, federn sie blöd auseinander. Und sowieso immer nur mit, sagt Lotte jetzt, macht so einer das, und Hans kuckt seine uralte Freundin an wie, na, wie ein Auto, und Lotte fügt kleinlauter und unsicher an, sie nehme das an. Woanders, weit weg, geht Anna die Brücke hinab. Wieder woanders (weit weg) sagt Hans, wir sollten aufs Land ziehen, aber Lotte winkt ab. Anna geht auf eine der Frauen zu. Es sind Prostituierte, d.h. dieser Fluß gerät jetzt langsam ins Reißen, während Lotte zu Hans sagt, nichts würde sich ändern. Und Hans sagt, hast Recht. Anna spricht mit den Frauen, ihre Stimme ist fest, aber alles bloße Fassade. Sie kriegt eine Nummer, und unsere Republik, die verkommt jetzt. Schwach pocht Annas Herz. Ihre Knospen reiben, ihr Rock schiebt auf den Beinen, die Scheide pulsiert. Wir sind ja angewidert und putzen die B-Stadt, ein Vorort von Florenz oder wenigstens, sagen wir: Wien. Wir blicken über alles hinweg und dulden Schmierereien nicht in der Stadt, lediglich bunte Plakate, smarte Farben, Geld und Verstand, wo Anna allein bangt und hofft. Sonst tut sie nichts. Sie versagt. Sie telefoniert, steigt in ein Taxi. Sie fährt durch die Kulissen der B-Stadt, unser Odessa, demnächst reines Schickago: Berlin. Kräne schauen oben heraus aus der Stadt und signalisieren Hoffnung. Sie steht für unsere Zukunft. Wir denken uns trickreich in die hinein, und Anna Plech weiß das nicht zu schätzen: Achtlos fährt sie durch unsere Baustellen. Wir verleumden sie: Anna, sehen zum Himmel auf, Gott, er sieht uns auch. Uns ist alles schon längstens gesagt, es bildet sich doch nur ab in sich selbst. Kein Problem, sind wir distinguiert. Betonen fast alles auf der erste Silbe, weil es dann mächtiger klingt und dann leichter überzeugt. Die Zwischenklipps drehen wir auf, d.h. laut, weil sie dann lauter sind, wie gesagt, und dann leichter hängen bleiben in uns. So gehts im D-Land, in B, in der Mitte vom Kontinent E, wie er der Zukunft entgegen läuft, in der Anna Plech allein und verlassen dem Auto entsteigt. Sie sieht auf, klingelt und geht in ein Haus. Sicher ist ihr Schritt feucht. Im Innern. Sie drückt im Haus eine Tür auf, der Schritt ist klatschnaß. Der Mann ist ein Sportler, er lächelt ganz nett und sagt: Hi. Doro wandert am Fluß weg, Hans lacht bei Lotte. Annas Sportler ist ganz gelöst, wie es der Job schließlich erfordert. Die Jacke zieht der ihr aus, es gibt ein Glas Sekt. Der Raum ist groß wie die B-Stadt, Schickago allein. Alles ist Frage, die Antwort ist Gold. Geschmacklosigkeiten und grobe Zusammenhänge sind in der Stadt ja überall zu haben, nur glücklich, okay, glücklich, okay: Glücklich: das machen sie nicht. Preisklassen über ihren Verhältnissen ist z.B. der Sportler von Anna, aber das hätte sie früher überlegen sollen. Es paßt zwar zu ihr, ineinander aber paßt nix. Der Sportler berührt sie, sie glüht, als die Eltern von Hansi schon tot sind, auf der Rollbahn im Doppel, und die angebl. Flüchtenden zum Dutzend im Fluß. Da müßte man wirklich was unternehmen, aber jetzt frißt Aufregung Anna auf. Recht so: Anna wird langsam entkleidet und ganz. Der Profi steht nackt und träniert vor dem Lager. Schön ist er schon. Recht gelassen und freundlich. Ein guter Geschäftsmann. Sein Handwerk beherrscht der, ein Lächeln für Anna. Er spannt sich ein Präservativ über, das ist zur Hygiene. Draußen regnets, wie langweilig: Schickago im D-Land, das neue Berlin. Wir sitzen vorm Fernseher und wixen. Der läuft, wir laufen, aber was solls, eh geht die Zeit hin in der Hauptstadt Berlin. Geld ist überall knapp und ob es das wert war für Anna, wir können uns das wie so vieles nicht denken. Es rechnet sich sowieso nicht, ist weg. Annas Problem, wir haben andere, den Dom, kein Bild, keinen Ton, und der Vorstand kommt schon. Er verhindert Aufruhr, was wissen wir. Wir stehn bloß auf Preußen, erwarten was Neues, Sensationen, Berlin. Anna Plech ist froh, daß sies doch, noch, zuwege gebracht hat: Also was denn nun Anna? Entweder du stehst zu dem, was du tust, und zu dem, was du tatest, oder du tust es nicht! Lauf jetzt nur nach Hause, im Regen, durch Straßen, am Fluß: Anna, saustark, hüpft durch die Nacht: Sie liebt Hans und Berlin. Das soll sie andern erzählen, nicht uns.

In der Tat ist Gott müde, denn dies war uns, die wir immer schon Antworten parat halten und das Ende glücklich erahnen, auf das wir seit jeher reduziert gewesen sein wollten, ganz klar nichts auf Dauer. Das war Prostitution.

Oder halt, nein, einen Moment noch: Das war Kapitalismus: Prostitution!

Und: Ich bin ja strunzhetero, würde Hansi, bevor die Nachricht über das Schicksal der Eltern einträfe, wäre er echt, vielleicht zum Schluß gesagt haben: kann auch nix dafür. Bloß wir, ja-nö, finden sterben ganz albern, unser Gott: Daß wir nicht lachen.