Artur Becker

Großes Kompliment, begann Denis Scheck, ein genuiner und talentierter Erzähler und ein großer Stoff haben sich hier getroffen, meinte er. Die Erzählfigur könne man "Winnetou Kowalsky" nennen, die Figur sei gut gewählt. Im Text, der handwerklich gut gemacht sei, sehe er nur eine Gefahr: Das sei doch alles sehr kauzig und schnurrig und auf eine Pointe zulaufend. Ob sich aber dieses Kabinett der Käuze nicht bald auslaufe?

Ein sehr vergnüglicher Text, aus dem Genre des postkommunistischen Schelmenromans, befand Konstanze Fliedl. Eine Geschichte voll Charme mit schönen, verliebten Details. Aber da sei diese Tendenz ins Folkloristische. Da seien ihr zu viel Großfamilie, zu viel Alkohol, Schwarzmarkt und Katholizismus drin. Die kleinen Details seien genau beobachtet, sie würden aber durch die Wucht der gängigen Beobachtungen entschärft.

Auch Robert Schindel fand eine Reihe von bezaubernder Details. Dramaturgisch fehle ihm das Moment des Innehaltens. Die Entwurzelung des Erzählers müsse doch auch im Untergrund spürbar und schärfer werden. Allein hingestellt und ohne Gegengewichte werde sich der Text totlaufen, fürchtet Schindel.

Das habe viel mit dem Rätsel des Zurückkommens zu tun, und gleichzeitig habe sie an Salman Rushdie gedacht, erklärte Elisabeth Bronfen, wenn er etwas erzählt, das sich außerhalb von Indien befindet. Da hier sind zwei, die zwei Orte verlassen haben und sie nehmen da wie dort dieselben und unsinnigen Versatzstücke auf. Die Identitäten sind doch immer angenommen, das ist eine große ins sich geschlossen Tragödie,so Bronfen weiter. Es gebe das Glück des Weggehens, hier im Text sehe sie eine doppelte kulturelle Entfremdung, die das Folkloristische als Gegengewicht nütze.

Der Text sei durch die Lesung durch den Autor mit einem östlichen Tonfall des Deutschen ausgestattet worden. Die Summe der Tonfälle werde insgesamt in der deutschen Literatur wieder größer und als Teil der Geschichte wieder als Klang hörbar, das sei schön, führte Denis Scheck aus. Beim Lesen müsse man diesen Tonfall dann für sich selber machen. Wie der Autor mit großer Distanziertheit diesen Klang der Sprache hineinbringe, das sei gut gemacht. Es gab im 19 Jahrhundert die Kunst der Genremalerei, die uns ausgetrieben wurde. Hier finde sich wieder die Idylle. Man müsse große Ohren machen, wie junge Autoren vom Rand unseres Sprachgebietes sich wieder an Genres versuchen, die wir mit Verdikt belegt haben. Der Text sei ein Versprechen, dass hier die Kunst der Genremalerei geleistet werden kann.

Thomas Widmer fand den Zusammenprall der Kulturen gut vorgeführt. Hier Frank Sinatra, dort die wodkasaufenden katholischen Polen. Er sehe auch kein Problem zwischen Tragik und Komik. Der Text habe starke kindliche Qualität. Er habe erst gedacht, das gehe nicht auf, aber es funktioniere erstaunlich gut, weil der Erzähler blockiert ist in seiner Entwicklung durch diesen monströsen starken Onkel. Das sei gut gelungen, eine bestechende Tom Saywer Geschichte mit Slapstik -Ton.

Da komme gut raus, wie des nach der Wende war, befand Birgit Vanderbeke in diesem "let's face it". In diesen Onkel Jimmy und diesem kindlichen Neffen, in die hätte sie sich schnell verliebt. Die Geschichte sei großartig und ein Genreproblem sehe sich nicht, weil sie Verdikte grundsätzlich nicht beachte. Vom Katholizismus und Saufen hin bis zu den Indianern werde man hier in eine mutige Geschichte geführt, die komisch erzählt werde.

Wir haben hier die Schwierigkeit eines Romananfanges, gab Scheck zu bedenken. Er sehe hier stark die Nummernrevue drin. Der Sound sei ihm da nicht ganz eingängig. Das Element der Popkultur rette für ihn dann den Text.

Das Lob der anderen hätte nun ihre Bedenken verstärkt, meinte Konstanze Fliedl. Vor allen durch die Gleichsetzung von Polen und Indianern, diesem cast out, das seien Dinge voll hohem Risiko und trage damit zur Zwiespältigkeit ihres Eindruckes bei.

Es sei doch wunderbar, dass ein Text ein Risiko eingehe. Vor allem, das traue sie sich nach den Seiten zu beurteilen, müsse sie daran erinnern, dass hier der Text der Vorlage zu beurteilen sei, und nicht der ganze Roman, erwiderte Birgit Vanderbeke.

Auch sie habe Schwierigkeiten mit großen Texten, die dann scheitern, sagte Elisabeth Bronfen. Die Popkultur im Text sei für sie ein tieftraurige Sequenz. Zum weiteren Verlauf des Romans meine sie noch, der Onkel überschatte ja den Erzähler und das finde sie vielversprechend für den Verlauf des Textes. Sie interessiere, was aus diesen Figuren noch werde.

Alle Fotos: ORF Kärnten

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