Jenny Erpenbeck

Denis Scheck fand den Text wunderschön, er fand sich an Shakespeare erinnert. Der Text zeige, wie man erzählen könne, sich Figuren aneignen kann, ohne sie wie Legomännchen hin und her zu schubsen. Die Figuren werden nicht zur Verhüllungsmasse, eine Erzählung sei die wunderbar schlackenlos. Er sei sehr beeindruckt.

Auch Birgit Vanderbeke lobte, es sei eine Geschichte, die geheimnisvoll sei. Es sei ein Geschichte, die aus dem Hörensagen erzählt ist und nicht aus dem Archiv. Durch den Wechsel von direkter und indirekter Rede entstehe das Bild einer Familie zur Zeit des Kriegsendes, das vom Erzähler oder der Erzählerin kommentarlos wiedergegeben wird. Es sei ein Versuch, das Unbehagen des Vaters so aufblitzen zu lassen, dass man das Gefühl habe, dem Großvater der Erzählerin werde nun endlich Gerechtigkeit gegeben.

Robert Schindel war eigentlich unwillig, über die Geschichte zu reden, so beeindruckt sei er von ihr und der Machart. Wie da ein Netz über eine Epoche geworfen werde, im Mikrokosmos die Familiengeschichte unaufgeregt und in lapidarer Sprache erzählt werde, da könne einem vor Aufregung "das Herz herausspringen". Was da an großen Gefühlen, vergebenem Leben, verkaufter Generation im Mikrokosmos erzählt werde, das sei beindruckend. Das Ganze geschehe, ohne dass die Sprache die Lautstärke erhöht, dadurch wäre es möglich die Räume zu öffnen und die Leser können die ganze Geschichte miterleben. Die Bilder, die Stimmung, seien so präzise geschildert, dass wir Leser die Geschichte in uns fertig schreiben können und das wäre das Beste, was Literatur leisten könne.

Auch Thomas Widmer fand die Geschichte perfekt, doch gleichzeitig konnte er die Geschichte nicht leiden. Er selbst arbeite seit kurzen in Zürich in einem Glashaus erzählte er und da fühle er sich exponiert und in der Geschichte finde er das Glashaus wieder. Es sei klar, es gehe um Wahrheit und reflektierte Wahrheit im Zerrspiegel der Nachgeborenen und der Gegenwart. Die Autorin repetierte das auch brav bis zum Schluss. Für ihn habe die Geschichte den Sexappeal einer Fingerarbeit oder die Couragiertheit einer Häkelarbeit.

Das liege wohl daran, dass er eine Ebene der Geschichte nicht sehe, antwortete Denis Scheck Thomas Widmer. Da werden die beschädigten Seelen gerecht dargestellt in so kurzer Zeit, über solche "Häkelarbeiten" wäre er sonst froh.

Sie verstehe Widmer, begann Konstanze Fliedl. Da finde sie den Text ungeheuer anständig, da werde Fairness gegen über den Figuren geübt. Dass die Gewaltsamkeit des Systems in die Sprache der Mutter gefahren sei, habe sie besonders beeindruckt. Auch der Rollentausch, dass da eine Frau vom Panzer klettert, diese Umkehr der Perspektive Mann/Frau, das hat einen Größe, vor der sie enormen Respekt habe.

Birgit Vanderbeke gestand, sie habe beim ersten Lesen ein Unbehagen gehabt, weil sie von dem Erzähler nichts erfahren habe. Aber dann sei ihr klar geworden, anders ginge es nicht, sonst wäre die schwebende Doppelbödigkeit nicht möglich. Ein Trick des Erzählers läge darin, dass der Vater sehr eindeutig erzählt, die Geschichte an sich aber doppeldeutig ist. Dem Vater würden Sätze von großer Poetik in den Mund gelegt

Burkhard Spinnen hatte bislang geglaubt, so wie er den Text gelesen zu habe, dass er sich nicht anmaßen dürfe, etwas über die Ereignisse im Sommer 1947 zu kommentieren. Er habe es als Monolog einer Figur gelesen, die versuche, sich aus irgendeinem Material selbst zusammenzubauen. Es werden Szenen immer wieder repetiert. Hier habe er dann das Gefühl einer zurechtgebauten Lebensgeschichte zuzuhören, die der just gerade erst verstorbenen Mutter bzw. Großmutter. Seiner Meinung gehe es aber fast ausschließlich um den, der hier spricht.

Der Vater und wie er über sein Mutter spricht, ist ein poetisches Subjekt, erwiderte Robert Schindel. Bei der Traumerzählung fühle er eine Zäsur, er müsse auch an Kafka denken und in dem Moment werde auch die erzählerische Gerechtigkeit plausibel, das mache die straffe Durchsichtigkeit aus. Er sei immer für das Geheimnisvolle in der Literatur, aber nur dort , wo es notwendig sei.

Elisabeth Bronfen brachte noch einmal den Begriff des Hörensagen ein, die Geschichten werden doch über mehrere Brechungen erzählt, erklärte sie. Gelungen seien die Details, wie die Sprache sich verselbstständige. Die Bilder vom Vater des Erzählers, der Glas essen möchte, die Mutter, die das Essen der Rivalin wegwirft, die subtile Loyalität für die Rivalin. Das passe alles wunderbar zur Diskretion mit der erzählt werde. Gut gelungen, großartig. Das ist alles so traurig, so ruhig traurig, aber doch auch so hoffnungsvoll - es passe alles zusammen.

Die Mutter werde als Holzschnitt präsentiert, meinte Thomas Widmer noch. Da sehe er keine Gerechtigkeit für den Vater.

Viele nach drei Jahren aus Sibirien zurückkehrende Frauen kenne er in der Literatur nicht. Und dann diese sizilianische, fast opernartige Art, die Rivalin aus dem Haus zu jagen, ergänzte Denis Scheck. Vor allem, wie das erzählt werde, das sei der Trick. Burkhard spinne fügte noch an, er habe vergessen, seine Standartformulierung, dass er einer Meinung mit den Kollegen sei.

Alle Fotos: ORF Kärnten


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