Annegret Held

Nach dem Tod wurde in Klagenfurt vom Leben auf dem Dorf und von der Liebe erzählt. Annegret Held trat mit einem Romanauszug an, in dem sie von Berliner Hausbesetzern erzählt, die auf das Land ziehen und dort während eines Sommers ein altes Fachwerkhaus renovieren. Während das alte Haus nach und nach wieder zum Leben erwacht, erwacht in der Ich-Erzählerin die Liebe zu einem äußerlich nicht gerade anziehenden Kollegen aus der Wohngemeinschaft. Held wurde von Robert Schindel vorgeschlagen.

Denis Scheck gefiel am Text, dass es ein sehr sinnlicher Text war, ihm gefiel auch das Sujet, die Figuren, die Psychologie, mit der die Figuren geführt würden. Auch die Dialogträchtigkeit. Nicht gefallen habe ihm die Sprache, diese würde ihn an Archaismen erinnern, daran, wie man Antiquitäten fälscht. Insgesamt bliebe bei ihm ein schizophrener Eindruck.

Birgit Vanderbeke schloss sich dem Urteil von Denis Scheck an. Schön fand sie, dass es ein Portrait einer Zeit sei, wo Dialoge wirklich abgestürzt sind. So hätten die damals schon geredet, das könne man dem Text nicht anlasten. Problematisch sei die Ich-Perspektive und die Ökonomie des Textes, die auch nicht stimme. Das Personal bestehe aus acht Leuten, sechs würden zwar vorgeführt, verschwänden dann aber. Das wäre dramaturgisch und ökonomisch unbefriedigend. Das habe vielleicht damit zu tun, dass es ein Romanauszug sei.

Elisabeth Bronfen fand den Anfang hervorragend, eine kleine Vignette einer Jean Connery Ikone, aber im Rest des Textes fehlten ihr dann diese Vignetten. Ihr Hauptproblem wäre aber, sie habe an Lars van Triers Film "Idioten" gedacht, man wisse, dass das hier ein ironischer Text ist, aber die Ironie ist nicht deutlich genug markiert.

Birgit Vanderbeke warf hier ein, es gebe Stelle, wo die Ironie sehr deutlich gezeigt werde, etwa in der Szene im Stall. Insgesamt sei die Ironie aber zu wenig scharf. Der Text wolle beißen, beiße aber nicht.

Thomas Widmer lobte die Fähigkeit der Autorin, die Diskurse jener Jahre zu zeichnen. Er habe sich selber darin wieder erkannt. Reflexion war ja unser Lebensmotto, so Widmer, deshalb ist diese abschließende Kommentierung der Sätze ganz richtig hier. Er fand die Zeit und die damalige Art des Redens organisch und passend im Text vorgeführt.

Man stelle fest, dass da eine Gruppe aus Kreuzberg die Natur neu entdeckt, so Robert Schindel. Wir werden eingeführt in das Tableau von Figuren und was die jetzt tun. Der Wandel von den Revolutionären, die die Welt verändern wollten, notfalls auch durch Gewalt, die aber nun sagen, wir sind nicht mehr gewalttätig, wir bauen uns unsere Gegenidylle - das werde alles ganz stimmig gezeichnet. Sprachlich werde das auch durchgehalten, dabei zeige es sich, wie die Ideologie des alten Zeit einsickert in die neue Zeit, wo man das doch alles hinter sich lassen wollte.

Der ganze Text und die ganze Sprache sind voller leichten Selbstironie. Das Schöne am Text sei, dass er nie verbissen ist, nie eine seiner Figuren diskriminiert, lobte Schindel. Selten habe er so eine genau und immer wieder überraschende Liebesszene gelesen, die in sich so viele Windungen und Wendungen habe. Es müsste ja nicht immer wieder nachgeknabbert werde, deshalb sei der Text sehr stimmig.

Nostalgie in Ordnung, aber die Sentimentalität wohnt da nicht weit, urteilte Konstanze Fliedl. Es gibt berührend distanzierende Ironie, aber die Erzählinstanz werde fortgerissen und unpräzise. Schön und interessant am Text sei, dass er die Frage, wie liebt man jemand Hässlichen, stellt. Die Antwort sei einfach, erfahre man auch gleich. Es gehe ganz einfach Augen zu und durch.

Thomas Widmer habe fast alle bösen Wörter ausgesprochen, fand dann Burkhard Spinnen. Ihn hat der Text deshalb gerührt, weil er ihn an seine eigene Generation erinnere. Er stamme ja aus der gleichen Jahrgang wie die Autorin. Das Problem sei die Perspektive, man wisse, dass die Bundesrepublik genau so untergegangen ist wie die DDR. Der Text sei ein Zeitbild einer untergegangen Bundesrepublik. Wir alle hatten das Gefühl, wir waren wieder mal die Generation, an der alles lag. Aber wo ist hier im Text die Zukunft, das kommt nun wie eine Idylle aus zweiter Hand. Das zentrale Problem ist, dass der Text sich in der Darstellung der Idylle versucht. Das ist dann teilweise mit Vertrauen auf die Kraft der Naturschilderung versucht. Er glaube nicht, dass das gelungen ist, so Spinnen abschließend.

"Spinnen, Sie unterliegen einem großen Missverständnis", warf Schindel ein . Die Selbstvergewisserung wird ja durch die Ironie gebrochen, auch durch die Genauigkeit der Schilderung der Arbeitsvorgänge und der Natur. Der Text sei schon ein gelungenes Bild eines Soziotops der Bundesrepublik. Die Beziehung der Icherzählerin und Jupp gefalle ihm, das glückliche Gelingen der Liebesgeschichte, aber man sollte die Kirchen im Dorf lassen und die Geschichte nicht auf den Untergang des Abendlands hinzerren. Hier kann das nicht durchschimmern.

Es kam doch am Anfang klar raus, dass wir diesen Stoff und die Figuren lobten antworte Scheck, "aber Schindel, Sie könnten doch die Kritik an einzelnen Bildern und Dialogen nicht durch den Stoff wegdiskutieren". Er, Scheck, glaube, der Text brauche noch ein Läuterungsphase, so wie er hier stehe, sei er nicht gelungen .

Es entspann sich eine kleiner Disput zwischen Scheck und Schindel "Scheck sagt dieser Satz ist schlecht, Schindel sagt, er passt jetzt diskutieren wir jetzt darüber?" Einig wurden sich die beiden nicht. Sie wolle noch einmal auf die Probleme des Erzählgestus hinweisen, ergriff dann Birgit Vanderbeke das Wort und erklärte, Erzählerin und Text seien freundlich, aber Freundlichkeit gehöre für sie nicht in die Literatur.

Die Möglichkeit eines Schlusswortes wurde von Anngret Held wahrgenommen. "Allen Leute recht getan ist eine Kunst die niemand kann", so Held, sie werde die Kritik aber bedenken und vor allem bedanke sie sich, dass man ihren Text so aufmerksam gelesen habe und dass es alle doch nur gut gemeint hätten.

Alle Fotos: ORF Kärnten


PRESSESPIEGEL


Suche in der gesamten Bachmannpreis-Site
ORF ON Kärnten  
powered by FreeFind


Kontakt:
ORF Kärnten Ingeborg-Bachmann-Preis
Sponheimer Straße 13,  A- 9020 Klagenfurt
Tel: 0463-5330-29528 (Binia Salbrechter)
e-mail: bachmann.preis@orf.at

Webmaster:
ORF ON Redaktion Kärnten
Sponheimer Straße 13,  A- 9020 Klagenfurt
Tel: 0463-5330-29191, 29192
e-mail: kaernten.online@orf.at


© 30.06.2001
ORF ON Kärnten Aktuell Jet2Web - Telekom Net4You - VIA Networks