Ludwig Laher

"Fluchtanstalt"

Mit einem Text, in dem er über die überschwappende Informationsflut, die Verdigitalisierung und die globale Vernetzung unserer Welt philosophiert, eröffnete Donnerstagfrüh Ludwig Laher, der einzige Österreicher im Bewerb, den Klagenfurter Lesereigen. "Fluchtanstalt", so der Titel der Geschichte, ist Teil einer Textreihe, die sich auf Zitate von berühmten Schriftstellern bezieht.

Denis Scheck meinte, wenn er an einen österreichischen Provinzpolitiker denke, der vor einem Jahr von Österreich-Vernaderung gesprochen habe, dann sei dieser Text eine Globalisierungsvernaderung. Es erfordere großer Mut, dem Bimbam der Medien ein Wort entgegen zu halten, aber er finde den Satz dagegen dann doch nicht. Der Text unternehme zwar die Anstrengung, ein Draußen zu finden, finde es aber schließlich doch nicht.

Thomans Widmer fand widersprüchliche Stimmen in sich. Bei einer Predigt, denke man, Gott sei Dank, jetzt ist es wieder vorbei, und man kommt nicht so schnell wieder in die Kirche. Die Botschaft, es gab die Antike, die Kirche und jetzt die Globalisierung, BSE und die Erderwärmung, dann verknüpft der Text das mit großem Aufwand, aber der Text schotte sich sehr ab. Die liebe Stimme in ihm sage aber, so Widmer weiter, die Liebe Stimme sagt, es gibt Sachen, die kann man nicht einfach sagen, man muss manchmal Sätze mit vagen Bedeutungen bauen und sie dann schütteln, damit sie ihre Bedeutung offenbaren. Wenn man Gold sucht, dann nimmt man eine Schüssel und schüttelt den Sand und wenn man Glück hat, dann findet man am Schluss Gold. Es gibt im Text einige Momente, wo man Goldkörner findet, aber insgesamt sei doch zu viel Satzsand darin.

Burkard Spinnen nahm das Bild des Goldschürfen auf, er hatte aber ebenfalls einen ambivalenter Eindruck. Man müsse Grundsätzliches zum Text sagen. Texte dieser Art, die in der Tradition stehen, Assoziatives mit Wortspielen zu verbinden, an Montagen entlang schreibende Texte, seien immer von einer sehr grundsätzlichen Überraschungslosigkeit. Man kenne einfach bald Richtung und Bewusstseinszustand dessen, der hier schreibt, man werde nicht aus dem Gewohnten gerissen. Es sei wie bei einer Predigt, man weiß, am Ende wird der Pfarrer gegen die Sünde sein, egal wie er beginnt. Doch in der Tat seien im Text auch Nuggets darunter.

Robert Schindel sah im Text vor allem eine sprachkritische Unterwanderung des Jetztzustandes, an dem die immer leerer werdenden Sprachen nachgewiesen werden. Die Phrase im Inneren werde angeschaut, das werde in der Art einer symphonischen Dichtung ohne Noten gemacht. Die Themen verästeln sich und verbinden sich dann wieder, bauen immer wieder neue Leitmotive auf und bauen daraus neue Wortraster. Zu zeigen, dass an der Unterseite eng Nationalismus, Individualismus hängen, gelinge hervorragend. Schindel wand aber ein, dass sich der Autor manchmal einmische, sein Netz durch eigene Kommentare unterbreche.

Konstanze Fliedl war vom Moment der Komposition beeindruckt, das musikalische und rhythmische Anordnen von Wörter fand sie spannend. Diese Musikalität genüge, es mache nichts, dass inhaltlich nichts passiere, die Spannung entstehe durch die Anordnung der Wörter. Das Mäandern der Form habe eine gute Funktion. Dass hier Sand, Kulturschutt, Müll drin sind, ist die Idee des Textes, betonte Fliedl.

Birgit Vanderbeke mochte nicht, dass der Text mit hoher musikalischem Aufwand arbeite. Der Text wolle alles zeigen, wie alles mit allem zusammenhänge und wie fruchtbar dieser lustige Untergang sei. Sie möge nicht, wenn hier ein Schiller und dort ein Goethe im Text daherkommen, auch nicht die Globalisierung, die der Text selber betreibe.

Elisabeth Bronfen hatte bei der Lesung dran gedacht, wie wunderbar sie den Text für Vorlesungen über die Postmoderne benutzen könne. Er sei klug gemacht, aber doch für sie zu klug. Der Text sage in jedem Satz auch, was er tue, er inszeniere das eigene Phrasenmeer. Sie verstehe, was er macht, warum er es macht, aber die ganze Ideologiekritik, das sei Schnee von gestern. Aber das auch die Schwierigkeit. der Text ist überdeterminiert, ist gut gemacht.

Konstanze Fliedl wandte ein, dass er seine eigene Moral habe, das sei für sie kein Schimpfwort. Der Text sei nie steril, habe Emphase und sei bei aller Disziplin wütend über den Kultur- und Politikschleim.

Robert Schindel konnte den Einwand kann nicht verstehen, denn dann könne man auch bei Mahler einwenden, warum jetzt dieses Motiv, diese Noten.

Bronfen plädiere in ihren Argumenten für eine geheimnislose Literatur.

Thomas Widmer glaubte nicht, dass es um Moral gehe, der Text sage aber immer wie es weitergeht. Das sei ein Text, der alles abschließt und beantwortet. Er hätte auch den Eindruck, das Zelt könne sich nicht sich selbst stützen, Pfeiler seien aber erahnbar. Wer eine Analyse des heutigen Zustandes versucht, so Denis Scheck, für den ist es zwingend Bulimie, Erderwärmung etc. anzuführen. Das sei der Mut des Textes. Der Text produziere aber auch sprachliche Schönheit, das gehe zwar nicht immer gut, aber das sei bearbeitetes Material. Der Text kotzte einem keinesfalls seine Zivilisationsfrust vor die Füße.

Burkhard Spinnen fand, der Autor gehe eine große böse Sache an, wolle mit verzweifeltem Mut das Böses noch einmal zu zeigen, er schwäche aber gleichzeitig damit das Böse ab zeigen. Er gehe alle bösen großen Sachen an, die vorher schon mit Stigma gekennzeichnet waren, das sei positiv, wie er das alles durch die Konstellation anders zum Funkeln zu bringen versuche. Der Text sei aber auch auf die Seite der Komposition gerutscht und unter die Selbstgenügsamkeit.

Birgit Vanderbeke fand im Text nicht wirklich lyrische Qualitäten, das freie Assoziieren mache ihn ziemlich geheimnislos und platt.

Elisabeth Bronfen sah das Poetische und Schöne nur bedingt, bei aller Anerkennung fand sie nicht erstaunlich, was durch die Assoziation herauskomme, sie wollte aber lieber aus der vorgeformten Sprache heraus. Der Text erstaune sie nicht und das lasse sie im Urteil zögerlich sein.

Robert Schindel meinte, der Text müsse der Jury nicht gefallen, aber genau das will der Text, wenn man das nicht wolle, müsse man sich seinen eigenen Text schreiben.

Und dann knabberte Konstanze Fliedl noch daran, dass die Jury vom Text ein Event erwarte, sie halte den Text für außerordentlich erkenntnisreich.

In seinem Schlussstatement erklärte Autor Ludwig Laher, dass der Text gewollt in den Turm führe, schließlich sei er von einem Hölderlinzitat ausgegangen. Der Text wolle keine Konfrontation mit einem Gegner. Ihn habe auch die Gleichsetzung von Autor und assoziativem Ich im Text verblüfft, er halte das für ein bisschen gefährlich.

Alle Fotos: ORF Kärnten


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