Tanja Langer

Mit einen Auszug aus ihrem Roman "Der Morphinist" trat dann Tanja Langer an. Eine junge Schriftstellerin arbeitet an einem Stück über Diethard Eckhart, einem Zeitgenossen und Wegbegleiter Hitlers. Historische Ereignisse und Gegenwart werden ineinandergewoben.

Der Text setze einen Kritiker durch sein Thema in Verlegenheit, wenn er Kritik üben wolle, meinte Birgit Vandebeke. Der Text setze den Leser einer Gefühlslage aus, die am Beginn von Einsamkeit, Trauer, Unglücklichsein spricht, aber beim Leser keine Emotionen entstehen lasse. Er habe nur das Gefühl, er werde von Emotionen überfallen. Schroff gesagt, man werde von den emotionalen Innereien einer Autorin überfallen, so Vanderbeke. Das Amalgam sei hochkonzentriert gesetzt worden , erweckt aber keine Effekt.

"Wir müssen in der Analyse scharf bleiben", er habe sich auch erst über Eckhard informieren müssen, gab Denis Scheck zu bedenken. Wenn man wohlwollend sein wolle, könne man erklären, das ist ein Text über Mutterschaft. Der Text gehe ihm physisch nahe, denn er verbinde das Thema mit Kitsch in der Sprache, das sei Mutterschaftsprosa, das geht nicht auf und deshalb sei es einfach schlecht .

Sie habe ganz anderes gelesen, das sei schon interessant, wie unterschiedlich man Texte lesen könne, antworte Elisabeth Bronfen. Es sei der Versuch der Nachgeborenen, mit ihren Nazieltern und Großeltern umzugehen. Wichtig sei, wir könne unser historisches Haus nicht aufräumen, es bleibe immer ein Gemurmel. Es werde nicht gesagt, ich bin gerecht und ihr seid schlecht, das gefalle ihr. Die Unsicherheit, wie man etwas bewerten soll, was in einer früheren Zeit lag, da changiere der Text zwischen historischen Nostalgie und Emotion.

Gegen den Ausdruck "Mutterschaftsprosa" protestiere sie schärfstens, sagte Kosntanze Fliedl. Frau Bronfen hätte einen Vorsprung, weil sie wohl weitere Teile des Romans kenne würde. Hier werde aber durch eine enge Führung der eigenen Geschichte mit der Weltgeschichte etwas Schiefes vermittelt. Hier sei alles ungenau, im Roman werde man das wohl genauer erfahren, aber hier erfahre man nicht, warum Hitler einen Rucksack und gelbe Schuhe trägt. Der Text hier habe zwei Ebenen, die noch nicht zusammenpassen, es sei wohl auch ein Problem der Textauswahl.

Birgit Vanderbecke warf kurz ein, sie bezweifelte, ob sich das im Roman befriedigend klären würde, das Problem läge ja in der triefenden Sprache .

Schwierig, wenn man Gestalten denkt, statt Gedanken zu gestalten, begann Robert Schindel seine Kritik. Die Frau beschäftigt sich mit einem Schriftsteller, hochbegabt, der zum Antisemiten und Wegbegleiter Hitlers wurde. Natürlich seien das auch anziehende Figuren, die gegen die junge Republik auftraten. Die waren ja auch Abenteurer, aber auch Spießer, aber insgesamt in der Geschichte doch wohl anders zu sehen. Er könne nur empfehlen, die Sache noch einmal durchzugehen, das Verhältnis von historischen Figuren und Ich-Erzählerin zu hinterfragen. So, wie es jetzt sei, entstehe ein Brei. Er kritisierte auch die Rührseligkeit der Sprache.

Schindel habe alles genau so gesagt, wie er es habe sagen wollen, meinte danach Burkhard Spinnen. Das wäre auch sein zentraler Eindruck gewesen, eine Materialsammlung und noch kein Text, deshalb wolle er sich zurückhalten. Eines müsse er Bronfen im Namen der Nachkriegsliteratur aber doch sagen, es gibt eine beinahe ausufernde Beschäftigung mit dem Nazismus. Hier in dem Text sehe er keine. Heute sei man auch längst über die Generationsauseinandersetzung hinaus, es gebe nur mehr Bewussstseinsauseinandersetzung. Damit sei für ihn der Text ein Versuch in der zweiten oder dritten Reihe.

Bronfen antworte, ihr wäre eben wichtig, dass es aus dem Blick der dritten Generation gesehen werde. Es könne nur mehr um die Auseinandersetzung mit den Geistern gehen. Es gehe auch um das Problem, dass man es mit Legenden zu tun habe.

Robert Schindel antwortete, er würde die Autorin nicht verführen, auf diesem Weg weiterzufahren. Das sei ein Weg des Scheiterns. Bei diesem Thema geht dieses Konzept schief, das könnte man an diesem Text schon beweisen.

Denis Scheck ergänzte, Sebald habe doch die junge Autoren ausdrücklich aufgefordert, in die Archive zu gehen und Gott sei Dank sind sie in die Archive gegangen. Das Vorgehen der Autorin sei vollkommen legitim, das Problem hier sei aber die Ich-Erzählerin, die nicht das Maß an Ich-Vergessenheit habe, das man auch der Geschichte gegenüber brauche.

Tanja Langer erklärte in ihrem Schlusswort, sie habe in ihrem Roman all das Angesprochene schon aufgezeigt. Es sei ihr Risiko gewesen, dass hier mit Emotionalität heftig reagiert worden sei.

Alle Fotos: ORF Kärnten

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