Brigitte Schär

"Stellen Sie sich bitte vor, sie betreten auf einem Friedhof die Leichenhalle", bat zum Abschluss des ersten Lesetages die Schweizer Autorin Brigitte Schär die Jury und das Publikum. "Dort liegt eine tote Frau auf einer Liege. Plötzlich aber wirft ein Stern sein Licht in dem Raum und die Tote erwacht wieder zum Leben. Die Frau klammert sich an Sie, weil doch all ihre Erinnerungen ausgelöscht sind und Sie sind doch schließlich Schriftsteller."

Eine Parabel über das Schreiben, ohne Zweifel, urteilte Konstanze Fliedl. Mit unterschiedlichen Zeiteben und Geschichten und Figuren, kombiniert mit archaischen und Gruselmotiven sei der Text interessant, aber er schleife schlussendlich nur um eine Mitte, die leer bleibe .

Schär war wohl die erste, die versucht habe, die Jury zu hypnotisieren, sagte danach Denis Scheck. Er sei aber froh dass er als Leser nicht geduzt werde. Der Vergleich mit der Geisterbahn dränge sich auf, man werde wie auf Schienen durch den ganzen Vergnügungspark geführt. Während man am Anfang bei dieser Fahrt fasziniert ist´, bleibt einem aber aufs Ganze kein Raum, weil sich das alles von der Wirklichkeit entfernt hat, das ist nur mehr in schalltoter Raum. Man wird zwar vom Erwecken der Toten fasziniert, aber so ganz funktioniert das nicht. Diese Form des postmodernen Surrealismus, ihm komme das nicht so unbekannt vor, aber es spreche ihn nicht an.

Das ist wohl eher ein Puppentheater denn eine Geisterbahn, widersprach Elisabeth Bronfen. Natürlich gehe es um das Schreiben, um den Tod, es sei aber auch eine Frankensteingeschichte, auch hier werde eine Figur geschaffen. Dass sich das Monster nicht hinopfern lässt, war es für sie die doppelte Drehung. Die Leiche erwacht, aber auch der Leser wird wieder erweckt, da sei die Idee des Getriebenseins drinnen. Das ergebe einen ganz neuen Aspekt.

Der Text ist technisch sehr schön und gut gemacht , kommt genau dann an wenn er endet, meinte Birgit Vanderbeke. Am Ende stelle man sich verwundert die Frage, wie konnte ich mich verführen lassen, mich reinziehen lassen in etwas, wo ich nicht hineinwollte. Sie habe das so erlebt und darin liege die Stärke des Textes. Es sei ein Text ohne Welt, aber die Suggestivkraft mache, dass man die Welt doch betritt.

Robert Schindel appellierte an die anderen, erst mal zu schauen, wie dieses Chiffre für das Schreiben funktioniert. Wie ein Mensch verführt wird, selber Literatur zu machen, er vergisst was er war und er erschafft etwas. Wir gehen mit unseren Figuren auch so um, wir verlieben uns in sie, aber dann vernachlässigen wir sie, weil wir schon die Publicity denken. Und was machen wir, fragte Schindel die Kollegen. Dann verraten wir die Figur. Das ist, so betont er, ein Text zur Verführung zur Literatur.

Für Thomas Widmer hatte die Geschichte ausgewühlt weil er sich darin existenziell involviert fand. Der Leser wird während er liest zum Dichter. Es sei wie eine große Synopse, wo alle Facetten dessen, was zwischen den Figuren und dem Leser Passiert, panoramaartig aufgebaut würden. Das erkläre auch, warum der Text keine Mitte habe, er müsse es aber auch nicht, weil gleichwertige Elemente aneinandergereiht würden .

Burkhard Spinnen konnte Schindel bis zu einem bestimmten Blick folgen, aber dann kommen immer wieder neue Figuren und das wäre der Moment gewesen, wo er aus diesem Gruselkabinett ausgestiegen sei. Nun wolle er auch die Hälfte seiner Eintrittskarte wiederhaben. Zugunsten der Struktur seien immer neue Figuren und Geschichten nicht aufgelöst worden. Wenn er einen Schlussziehen müsse, dann ach Gott, es ist alles mit Allem verbunden, alle Fragen, die er gehabt hätte, seien aber unbeantwortet geblieben.

Dem Genre nach sei es ein Text, in dem ein Autor einen Erzähler erfindet und dieser wird dann rebellisch, erklärte danach Birgit Vanderbeke. Der Text sei auch deshalb faszinierend gut, weil die Autorin den Leser erfindet und ihn gleichzeitig aber auch aber als realen Leser anspricht. Diesem mute sie dann allerhand zu, Tabubrüche, Morbidität, schlechten Geschmack, Trivialitäten. Das Interessant dabei sei aber, dass sie mit all dem weit komme, den Leser nicht verliert.

Ihn habe die Autorin schon unterwegs verloren, widersprach Scheck. Vom Licht in der Leichenhalle wäre er schon fasziniert, gewesen, vor allem von der Chuzpe der die Autorin, dieses Bild zu verwenden. Die Transzendenz in diesem Text, man wäre ja hier in Klagenfurt, dazu seien ihm die Anspielungen zu stark, da müsste noch was kommen, habe er immer gedacht. Aber da schien der Autorin doch der Mut gefehlt zu haben. Er habe sich am Ende gefühlt wie bei einer Vorführung eines Kinderzauberers "man gucke hin, aber denkt sich doch im Hinterkopf, mein Gott, albern". Robert Schindel empfahl er dann noch, nicht alle Texte auf sich als Autor zu beziehen, es gebe doch auch noch die Leser.

Alle Fotos: ORF Kärnten


PRESSESPIEGEL


Suche in der gesamten Bachmannpreis-Site
ORF ON Kärnten  
powered by FreeFind


Kontakt:
ORF Kärnten Ingeborg-Bachmann-Preis
Sponheimer Straße 13,  A- 9020 Klagenfurt
Tel: 0463-5330-29528 (Binia Salbrechter)
e-mail: bachmann.preis@orf.at

Webmaster:
ORF ON Redaktion Kärnten
Sponheimer Straße 13,  A- 9020 Klagenfurt
Tel: 0463-5330-29191, 29192
e-mail: kaernten.online@orf.at


© 29.06.2001
ORF ON Kärnten Aktuell Jet2Web - Telekom Net4You - VIA Networks