Philip Tingler

"Umgang mit Konflikten"

Philipp Tingler schilderte in seinem Text "Umgang mit Konflikten" seine Züricher Umgebung, erzählt von den Kollegen an der ETH hin bis zur Vermieterin und Adolf Muschg, der versprochen hatte, das Manuskript des Erzählers zu lesen. Der Autor entwarf damit ein Kaleidoskop unserer von Schlankheits- und Gesundheitswahn geplagten ich- und markenbezogenen Gesellschaft.

Die Jury begann zögerlich.

"Überflüssiger Text"

"Ich mache da die Bekanntschaft mit einem Ich-Erzähler, der offensichtlich den Qualen der Pubertät noch nicht entronnen ist", erklärte Birgit Vanderbeke. Da ist einer, der mir erzählt, dass er morgens keine Post hat, ins Büro geht und dann noch vier Postkarten kauft. Das ist inhaltlich ungefähr das, was in diesem Tagebuch steht. Es ist ein Text, dessen einzige Aufgabe Effekthascherei ist, so Vanderbeke weiter. Der Text bediene sich dazu einer Sprachflut und arbeite damit, dass er erst die Figuren positiv benenne, ums sie dann ins Monströse abgleiten zu lassen. Die Figuren werden kalt geschildert und uninteressant gezeigt. Die Dialoge stimmen in sich nicht, kurzum der Text sei überflüssig.

"Text nicht zu retten"

Denis Scheck war dankbar für diese erste Äußerung, gab aber dann zu bedenken, das sei doch nicht das Tagebuch des Autors, das könnte ein Tagebuch eines ästhetischen Dandys sein, das eines Geschmacksterroristen. Aber auch diese Sichtweise könne den Text nicht retten. Wenn er eines am Text kapiere, dann so Scheck weiter, der Text will unterhalten. Ihn aber langweile er. Das war lustig in den 80er Jahren, aber ob es jetzt nicht Zeit wäre, das ans Fernsehen zu delegieren, fragte Scheck.

"Gut gelungen"

Elisabeth Bronfen war nicht gelangweilt, sie habe sich eher amüsiert. Wenn es um die Frage der Form gehe, sei der Text gewalttätig im doppelten Sinn, weil er vom sympathischen Verständnis der anderen und vor dem eigenen Gefühl abhalte und das in der Sprache der Soap Opera. Das ist gut gelungen, meinte sie.

"Kein Text ist überflüssig"

Robert Schindel wollte erst einmal grundsätzlich festhalten, dass kein Text überflüssig sei. Er sehe das überhaupt nicht so, warf Scheck dazwischen. Robert Schindel sprach davon, dass die Absicht schon stimmen möge, der Text sei aber handwerklich nicht gelungen. Man müsse da wohl zwei bis drei Kilo Adjektive herauswerfen und noch einmal anschauen. Der Autor solle doch versuchen, seine Figuren auch einmal ohne all diesen Ballast reden zu lassen. Der Leser habe so keinen Raum, weil alles überdeutlich gesagt werde. Es bleiben nur die etwas kruden Formulierungen und Denunzierungen der eigenen Figuren übrig. So bleibe ein Text übrig, der nichts anders tue als, den Geschmack des Leser zu decouvieren, weil alles zu redundant, zu übermanifestiert sei.

"Lob auf zwei Ebenen"

Thomas Widmer lobte auf zwei Ebenen. Zunächst sei der Text auf der äußerlichen Showebene gelungen, meinte er. Widmer lobte auch die feine Figurenzeichnung, der Text habe Furor, Sinn für Szene und Komik. Wichtiger sei noch die zweite Ebene fand Widmer, dass hier ein Text über Stil vorliege, nicht der Stil der Ich-Figur. Man müsse den Stil nicht mögen, aber für ihn sei der Text eine Illustration dessen, wie Stil in einer Gesellschaft funktioniere, wie Stil teilweise an die Stelle einer Gesellschaftsanalyse getreten sei. Auf der Ebene funktioniere der Text hervorragend. Die Ausrufungszeichen seien da auch ein bewusst gesetztes Zeichen für diesen Stil.

"Außergewöhnliche Sprachbegabung"

Der Literaturbetrieb ist der Betriebssatire fähig, das hätten die letzten Tage doch gezeigt, meinte Konstanze Fliedl. Eine außergewöhnliche Sprachbegabung sehe sie schon, es gehe aber ohne Selbstdistanz vor sich, mit einer extremer Koketterie und Selbstverliebtheit, da bleibe man als Leser übrig. Gestört habe sie auch die Art und Weise, wie lebende Personen geschildert werden, das habe sie verstimmt.

"Buch nicht mit auf die Insel nehmen"

Es war einmal, da war die Welt geteilt in eine narrative und eine phantastische Prosa meinte dann Burkhard Spinnen. Vor zehn Jahre habe es dann purzel, purzel gemacht und der Betrieb ist ineinandergestürzt. Nun bediene sich die eine Sache der anderen. "Ich sag das böse Wort Popliteratur und die Frage ist, setzt man sich dem aus, macht man mit. Ist das die neue Art oder kommen wir auf das böse humanistische zurück?" Was ihm durch das Ineinanderrutschen nicht ausgetrieben werden könne, sei Erkenntnisgewinn durch Literatur. Diese Buch würde er nicht auf die Insel mitnehmen.

Es gebe sehr wohl Texte, die überflüssig seien, nämlich dann, wenn sie nicht erklären könnten, warum es sie gibt, betonte Birgit Vanderbeke noch einmal.

"Auf Unterhaltungsebene langweilig"

Denis Scheck meinte, hier würden Formen einer einmal geschaffenen Figur wie Alice von American Psycho nacherzählt. Aber wenn der Text von der Eben der Psychologisierung weggehe, werde er schwach und auf der Eben der Unterhaltung langweile er ihn.

"Was einen unterhält, langweilt andere"

Elisabeth Bronfen griff noch einmal den Begriff des Pop auf. Wir feiern doch auch Andy Warhol, warum kann man nicht akzeptieren, dass, was die einen unterhält, andere langweilt. Wenn es im Text um Stilpolizei gehe, dann ist da schon eine Erkenntnis drinnen, so Elisabeth Bronfen, denn man höre im Text genau den Tonfall der Leute die sie unterricht.

Birgit Vanderbeke ging noch auf die Figurenzeichnung ein, von resolut bis überkandidelt sei da alles drin.

"Deine Sorgen möchte ich haben"

Für sie gebe der Roman eine Deutung für die Ursache des Nazismus, meinte dann Konstanze Fliedl. Der Text gebe aber keine Erklärungen, der feiere nur Urständ. Sie könne dem Erzähler nur sagen, deine Sorgen möchte ich haben.

"Bösartige Schilderung"

Die Erkenntnis müsse doch im Text nicht mitgeliefert werde, gab Thomas Widmer zu bedenken. Das müsse er doch nicht noch einmal sagen. Einige sehen Ironie und Witz, andere werden langweilig. Für sie sei die Ironie klar, so Eisabeth Bronfen daraufhin. Das habe aber mit dem Tonfall zu tun und natürlich werden die Figuren bösartig geschildert, aber das sage doch über die Bösartigkeit dessen, der da was schildert nicht aus.

Philipp Tingler bedankte sich in seinem Schlusswort bei Jury und Publikum. Wenn man einen anderen oder gar keinen Humor habe, dann müsse man doch die Dinge nicht abwerten, bat er zu bedenken.

Alle Fotos: ORF Kärnten


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