Basler Zeitung, Schweiz
29. Juni 2001
25. Ingeborg-Bachmann-Preis
Wenig Gutes wissen Klagenfurts Söhne
und Töchter über ihre Heimatstadt zu sagen: «Jeder
Ort schien mir besser als dieses traurige Nest am Wörthersee»,
schreibt Endo Anaconda, Sänger des Berner Duos «Stiller
Has», über seinen Geburtsort. Und Ingeborg Bachmann urteilte:
«Man müsste überhaupt ein Fremder sein, um einen
Ort wie Klagenfurt länger als eine Stunde erträglich zu
finden.»
Wie ein bösartiger Winkelzug des Schicksals erscheint da, dass
seit mittlerweile 25 Jahren ausgerechnet im Namen jener Autorin
ein ganzer Tross Fremder alljährlich den Weg in die verschlafene
Kärntner Landeshauptstadt auf sich nimmt, um an einem Event
teilzunehmen, das den einen als «schönster Betriebsausflug
der Literaturbranche» gilt und von anderen als «literarischer
Billigurlaub» geschmäht wird: am Ingeborg-Bachmann-Preis.
Die Zeiten, als Autoren das vermeintlich unwürdige Wettlesen
mit Herzblut und Entschlossenheit bekämpften, die Schaukämpfe
teils gar boykottierten, sind lange vorbei. Heutige Autoren kokettieren
wie selbstverständlich mit den Medien. Er werde selbst in die
Diskussion über seinen Text eingreifen, kündigt etwa Philipp
Tingler an, der heuer gemeinsam mit Brigitte Schär die Schweiz
vertritt. Denn: «Das hier ist schliesslich eine Show.»
Genau davon wünschen sich viele Klagenfurt-Veteranen nach den
behäbigen letzten Jahren wieder mehr. Manche trauern den wilden
Jahren nach: Vor zehn Jahren sei die Auseinandersetzung härter
gewesen, die Etikette «Schlachtfest» berechtigt und
der Anlass überhaupt unterhaltsamer, war an einer Diskussionsveranstaltung
am Mittwoch zu hören. Die Autoren hingegen freuen sich über
die «behutsamere und differenziertere Rezeption», die
Einzug gehalten habe. Und darüber, dass dieses Jahr schon drei
der ihren in der Jury sitzen.
Es geht in Klagenfurt jedoch bei weitem nicht nur um Literatur.
Es geht, vielleicht vor allem, um Geselligkeit: Das belegt unterdessen
sogar eine Dissertation, aus der am Mittwoch das frühere Jurymitglied
Klaus Amann zitierte. Danach reist die Mehrheit der Teilnehmer in
erster Linie deswegen nach Klagenfurt, um vor Ort soziale Kontakte
zu knüpfen und zu pflegen. Dieser Kupplerfunktion ist sich
die Organisatorin des Anlasses - der österreichische Rundfunk
ORF - sehr wohl bewusst und tut alles, damit der Rahmen stimmt:
Die Teilnehmer wurden etwa brieflich daran erinnert, doch Badehosen
mitzubringen. Und nach der Auslosung der Lesereihenfolge am Mittwochabend
stürzte man sich gleich ans riesige Buffet vor dem ORF-Theater
und unterhielt sich mit seinesgleichen über Gott und die Branche:
Über 400 Beobachter haben sich in diesem Jahr akkreditiert,
ein neuer Rekord.
Im Getümmel ist auch der Schweizer Neu-Juror, «Facts»-Redaktor
Thomas Widmer anzutreffen, am Vorabend seines ersten Auftritts verständlicherweise
etwas nervös. Die siebenköpfige Runde unter dem Vorsitz
des Wiener Autors Robert Schindel hinterliess dann aber am ersten
Tag einen mehrheitlich soliden Eindruck. Positive Überraschung
des eher langweiligen ersten Tages war die Berlinerin Antje Rvic
Strubel, für deren starken Text «Das Märchen von
der selbstgewählten Entführung» fast nur lobende
Worte abfielen. Tiefpunkt des ersten Tages war ausgerechnet der
Auftritt der Zürcherin Brigitte Schär. Ihr Text «Bloss
ein Wintertag» erwies sich als der mystisch wabernde Versuch
einer Gruselgeschichte, die eher peinlich berührte, von der
Jurs aber überraschend milde beurteilt wurde. Mathieu von Rohr
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