Berliner Morgenpost
23.
Juli 2001
Schreiben für den Briefkasten
In weiter Ferne so nah: Die Ernst-Willner-Preisträgerin Antje
Rávic Strubel, die eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte
schrieb, versteht sich als Ost-Autorin
Ihren
ersten Roman vergleicht Antje Rávic Strubel gerne mit einem
Briefkasten. Vorne drauf steht, für alle gut les- und sichtbar,
ihr Name. Auch hat sie wohl einen Schlüssel dazu. Aber immer,
wenn die in der Nähe von Potsdam aufgewachsene und heute in
Kreuzberg lebende Schriftstellerin ihn dann öffnet, erlebt
sie eine Überraschung. Vielleicht, weil sie ihr Debüt
«Offene Blende» bewusst in einer Sprache geschrieben
hat, die vieles mehrdeutig lässt. Damit die Magie des Augenblicks
nicht durch Worte entzaubert wird. Vielleicht aber auch, weil die
27-Jährige, die vor wenigen Wochen beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb
mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet worden ist, immer wieder
erstaunt feststellen muss, wie sie nur haarscharf am eigenen Leben
vorbeischreibt. Eine offene Blende benutzt man schließlich
entweder bei Porträtaufnahmen oder schlechten Lichtverhältnissen.
Darauf
angesprochen, reagiert sie jedoch empfindlich - denn in der Schublade
Tagebuchprosa möchte sie nicht landen: «Ich schreibe
doch nicht autobiografisch», sagt Strubel voller Empörung,
greift zur Gabel und hackt auf den Erdbeerkuchen ein, der vor ihr
auf dem Teller liegt. Sie sitzt in einem Gartencafé am Landwehrkanal
und während sie beim Sprechen wild mit der Gabel in der Luft
gestikuliert, funkeln die braunen Augen angriffslustig unter dem
kurzen Schopf hervor. Dabei bestreitet sie gar nicht, dass es ihr
beim Schreiben um sehr persönliche Erfahrungen geht. Nur formuliert
sie es zurückhaltender: «Bei mir müssen Erinnerungen
eine Weile liegen bleiben, damit ich aus der zeitlichen Distanz
mit ihnen spielen kann.» So will sie - angelehnt an eine Idee
Christopher Isherwoods - mit dem Material der eigenen Biografie
spielen: wie ein Fotograf, der mit offenem Verschluss fotografiert.
Die
Idee geht auf einen achtmonatigen Studienaufenthalt 1996 in New
York zurück, wo sie auch als Beleuchterin an einem Off-Off-Broadway-Theater
gearbeitet hat. Nebenbei feilte sie am Konzept ihres Romans. Darin
geht es um Christiane, eine junge Deutsche, die gegen Ende der achtziger
Jahre aus der DDR nach Amerika reist und gemeinsam mit einem Liebhaber
ein Theater in New York eröffnet. Die erfolgreiche Regisseurin
glaubt sich am Ziel ihrer Träume, als sie Jahre später
eine junge Fotografin aus Marburg, also aus dem Westen trifft. Während
sich die beiden Frauen langsam näherkommen, denkt Christiane
an die Zeit zurück, die sie jahrelang verdrängt hat -
Erinnerungen an eine Kindheit in Eisenach, an das Leben in einem
Hospiz und das Fähnchenschwenken am 1. Mai.
«Offene
Blende» ist also ein Ost-West-Roman in Amerika, zugleich auch
eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte und ein Künstlerroman.
Im Vordergrund steht jedoch das Ost-West-Thema, das Antje Rávic
Strubel, die zum Zeitpunkt des Mauerfalls gerade 15 Jahre alt war,
nach wie vor stark beschäftigt: «Die Leute tragen den
Osten noch mit sich herum», meint sie. Sie wundere sich nur
über den angeblichen Gedächtnisverlust. Sie jedenfalls
fühle sich als Ost-Autorin, die allerdings nicht mehr in der
Tradition der DDR-Literatur stehe. «Uns jüngeren Autoren
aus dem Osten erscheint die DDR eher als skurrile Welt, die wir
als Kinder zwar noch erlebt haben, aber nicht mehr ernst nehmen
müssen, vielleicht weil wir sie nicht mehr als persönliche
Bedrohung empfunden haben.»
Auf
der Leipziger Buchmesse präsentierte sie sich erstmals einer
größeren Öffentlichkeit. Und auch wenn sie zurzeit
noch in den Abschlussprüfungen ihres Studiums steckt, erscheint
bereits im Herbst «Unter Schnee», eine Art Episodenroman,
der im tschechischen Riesengebirge spielt und von dem sie nun einen
Ausschnitt in Klagenfurt präsentiert hat.
Bleibt
eigentlich nur noch ein Rätsel: Wie kommt sie nur zu ihrem
ausgefallenen Namen? Antje Rávic Strubel ist ja kein Doppelname.
Es sind zwei Vornamen und ein Nachname. «Das haben schon die
Leute in Klagenfurt falsch gemacht, die mich immer mit Bindestrich
geschrieben haben», sagt sie und lacht. Rávic sei ein
Künstlername, den sie sich fürs Schreiben ausgedacht habe.
Und warum? «Ach», sagt sie da, «weil er so schön
klingt». Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn so gelingt
es ihr, eine Distanz zwischen sich als Autorin und als Mensch zu
schaffen. Und wohl deshalb ist Antje jedes Mal überrascht,
wenn sie wieder zum Briefkasten geht und sieht, was ihr Antje Rávic
Strubel wieder alles geschrieben hat.
Antje
Rávic Strubel: Offene Blende.
Roman.
dtv, München 2001, 315 S.,
28
DM (14,50 Euro).
Lesung:
Literarisches Colloquium,
Am
Sandwerder 5, Wannsee. Tel.: 816 99 60. Morgen, 20 Uhr.
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