Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des ORF Landesstudios Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und freundlicher Unterstützung der Telekom Austria.

Ebund, Schweiz (Bund Verlag, Bern)

27. Juni 2001

Erklär mir, Leben

Ingeborg Bachmann zum fünfundsiebzigsten Geburtstag am 25. Juni 2001


• ISOLDE SCHAAD

Nun wäre sie eine alte Dame, die man sich kaum beim Patience-Legen vorstellen kann. Man kann sie sich überhaupt nicht alt vorstellen, diese ruhelos Suchende, dichtend auf dem Alters-Diwan. Weil die Intensität ihres Schreibens, diese oft flehende Dringlichkeit, ein Umstand der Jugend ist und ihres Ungestüms, nach den Sternen zu greifen. Daraus sind ihre Gedichte gemacht, «Die Anrufung des grossen Bären» und «Die gestundete Zeit», die zum Wunderbarsten gehören, was die deutsche Lyrik hervorgebracht hat. Auch sie hat ihrem Jahrhundert ein neues, ein anderes Lied gesungen, hundertfünfundzwanzig Jahre nach Heine, einem Geistesverwandten, ein kultureller Nomade wie sie.
Sie ist dabei immer und gegen jedes Gerücht eine Frau von heute, ihre Hörspiele und ihre Prosa prickeln von urbaner Modernität. Dass diese Frau Huldigung durchaus genoss und gern mit der Pelzstola und einem Begleiter ausging, davon wissen Kollegen, Hermann Burger etwa, Hermann Kesten oder Wolfgang Hildesheimer, der sie als Berufsfrau wohl am besten verstand. Die elegante Bewegung ist auch in ihrer Haltung und Kleidung, und dies sehr bewusst, die Zigarette zwischen sprechenden Händen, unweit der Empfehlung der Frauenzeitschrift; das darf auch einmal gesagt sein, gegen das Klischee der unberührbaren Hoheit der Dichtung. Und darüber erhebt sich das Lachen auf einem entspannten Gesicht und der Humor zwischen weit geöffneten Lippen: ein Bachmann-Bild, das ich einer herzerfrischenden «du»-Nummer aus dem Jahre 1994 entnehme, und das allein weiss schon mehr von einem gelebten Leben als all die bemühte Auslegung ihrer Vita, die sie seit ihrem frühen Ruhm begleitet.
Das populärliterarische Klischee will sie zu rasch und zu sehr als die grosse Tragische der deutschsprachigen Lyrik. Dabei haben sie ihr Sensorium und ihre Urteilskraft nicht nur zu einer Seismografin der Primär-, sondern auch der Sekundärliteratur gemacht. Über Musil, Joyce, Wolfe, Kafka und Proust hat sie gearbeitet, als diese Weltautoren bei uns noch unbekannt waren, und Proust und den bedeutenden Italiener Giuseppe Ungaretti ins Deutsche gebracht, bevor sich das Gewölk der Fehlinterpretation zusammenzog, das diesen Autoren leicht hätte drohen können. Ihre überragende Gabe hat sie nämlich ebenso andern Dichtern zukommen lassen, diese Leidenschaftliche der Wahrhaftigkeit, für die das Wort «engagiert» zu bürokratisch klingt, obschon es auch und gerade der Politik galt. Woher also die zähe Fama einer weltfern Entrückten, gegen die sich offenbar nicht anschreiben lässt, wie die Literaturwissenschafterin Sigrid Weigel es versucht hat?
Liegt es an ihrer Stimme, die immer schon alt klang, eine Stimme, in der die Brüchigkeit eines Lebens zittert, das alles schon weiss und erlitten hat? Liegt es an ihrem abrupten Aufbruch von da nach dort, von Wien nach Rom, von Rom nach New York und nach Zürich, von da nach Berlin und dann Klagenfurt, die Kleinstadt, die sie gebar, aber nie beheimatet hat, und wieder Berlin und wieder Zürich und wieder Rom? Aber auch in Rom liegt der Horizont ihrer Arbeit im Norden und ihre Welt bei den Denkern gegen die Katastrophe. Einen Pol hat sie nicht gehabt, und gelebt hat sie in der Sprache, vor allem mit der Sprachphilosophie von Walter Benjamin und Ludwig Wittgenstein. Diesen Ahnvater, Denkvater muss sie lange Zeit wörtlich genommen haben: Denn worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen (zitiert nach dem «tractatus logicus»). Und als sie schon eine reife und in Fülle preisgekrönte Schriftstellerin war, muss er sie von Neuem herausgefordert haben, diesmal zur Widerlegung, Überwindung seiner These. Dennoch, oder sollte man sagen, gerade darum ist ihr Werk voller Humor. Man braucht bloss wieder einmal ihre Erzählungen «Simultan» zu lesen. Die Erzählerin ist auch eine Entertainerin der Superklasse, um das salopp zu sagen, was man von ihr auch wieder nicht will. Das hohe Gericht hat zu diesen Erzählungen dann ein «unzureichend» gesprochen. Weil es «seine» Bachmann ohne das kritische Auge wollte, das auf diese Art Rechtsprechung zurückfallen könnte.
Also bleibt die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann ruchbar als Fall, Todesfall. Und nicht zuletzt hat sie selber dem Mythos zugedient, mit der Versiegelung ihres Lebensrätsels bis ins Jahr 2025, wenn ihre private Korrespondenz zugänglich sein wird. Hat sich selber zu dieser extremen Privatheit verholfen, von der Intimfreunde sprechen, indem sie Beziehungen so penibel voneinander fernhielt, wie man den Dotter vom Eiweiss trennt. Auch die legendäre Gruppe 47 hat die Fama mitgeschrieben und der Feier ihrer «Poeta assoluta» gleich die böse Mär hinterher geschickt. Die Intrigen des Literaturbetriebs müssen dieser Autorin mehr zugesetzt haben, als ihre fatale Heiligsprechung je wahrhaben will. Sie war eine, die mit Sätzen körperlich lebte und an ihnen zugrunde ging, zuerst und zuletzt an ihrem Wahlspruch: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.
Das Denken also die einzige Heimat dieser Philosophin der Empathie, die in ihren letzten Jahren eine «Ethik der Opfer» (Sigrid Weigel) entwickeln wollte. Das hat der Literaturbetrieb nicht goutiert, schon gar nicht ihren Einsatz von Leib und Leben für einen Verfemten der Nachkriegsdichtung, für Paul Celan, der nach Frankreich auswandern musste: kein Platz für einen Verstörten, Unbehausten, dem KZ Entronnenen, im Vaterland deutscher Sprache nach 45, und Ingeborg Bachmann steht mit ihm am Abgrund des «erstgeborenen Landes» und verlässt es mit ihm. So ist ihr früher Tod noch nach achtundzwanzig Jahren wie eine Lohe, nie Asche geworden, ein Unerklärtes, in der alles nachglimmt, was sie wie eine Seherin sah und mit ins Grab nahm, die Vorboten des Unheils, des Unerhörten, das keine Geschichtsaufräumung je beseitigen wird. Doch wer in ihrem Werk nach der Gefühligkeit der «deutschen Seele» sucht, ist an der falschen Adresse. Selbst die reinste Poesie kommt aus glühendem Intellekt, aufregende Verse, wenn sie vom Augenblick des Schaffens berührt und beflügelt wie Vorboten über uns kreisen, ein schimmerndes schwarzes Gefieder der Prophezeiung.
Man würde sie gern unsterblich nennen, wäre das nicht ein Treppenwitz über den tragischen Tod einer Aufklärerin von extremer Diskretion. Manche wittern Selbstmord, andere sagen Mord zu ihrem noch immer ungeklärten Brandtod von 1973 in ihrer Römer Wohnung an der Via Giulia. Und «Mord» hat sie fachlich und stofflich überaus interessiert. Das kriminelle Potenzial des Menschen, und die Gesamtdarstellung seiner Verbrechen war ihr Thema nach dem Inferno des Zweiten Weltkriegs, und dafür hat sie wie eine Reporterin recherchiert in Archiven, an Prozessen.
Um nichts weniger als eine Sprache zu finden für das Unsagbare ihrer Zeit, dem Jahrhundert der Menschen- und Ideenvernichtung. Das mag mit ein Grund sein, weshalb in den Achtziger- und Neunzigerjahren ihr Werk niemand mehr richtig gewollt hat, es war zu unbequem geworden, und auf die Kritik fällt kein Glanz, wenn ihre Göttin freiwillig abdankt, um Forscherin in den tiefsten Niederungen zu werden.
So nahm es die feministische Literaturwissenschaft in ihren Schoss und machte sich mit ein paar Editionen in ihrem Namen verdient. Damit entstand ein nächstes und weiteres Missverständnis um Ingeborg Bachmann: Frauenliteratur, und da kann dann mit dem Finger nach unten gezeigt werden, wie das manche ranghohe Kritiker heute gern tun, im Verkennen einer Autorin, die man als Visionärin einer Gender-Gesellschaft durchaus neben Virginia Woolf stellen könnte. Ihr Manns-Ich, das sie sich zulegt, um die Welt - und das war die Mannheit zu ihrer Zeit -von innen her zu erleuchten, hat man anders gelesen, nämlich als mangelnde Subjektposition. Die Scholastik hat den Roman «Malina» nicht begriffen, dieses Schlüsselwerk eines neuen Schreibens, ein Meisterwerk der Konjugation; wenn «er» «sie»wird, und «sie» «es», dann sind wir schon an der Pforte einer Literatur, die in den multimedialen Raum vorstösst und in ihrem letzten Projekt, dem so genannten «Todesarten»-Projekt, zum grossen Versuch vor der Zeit wird.
Dass «Undine» ein für alle Mal gegangen ist, das müssen wir Hinterbliebenen akzeptieren und immer wieder den Text befragen, der vieles vorausnahm, was heute als Tendenz triumphiert, von der multiplen Persönlichkeit bis zum Inter-und Cybertext, fliessend aus einer schwerelosen Unterwasser- und Himmelsperspektive, in der die Meta-Kreatur lebt, die sich verabschieden kann vom Ungeheuer auf Erden namens Mensch. Die gelernte Philosophin, die über die Auswirkung von Heideggers Existenzialphilosophie promoviert hat, versucht am Ende ihres kurzen Lebens dann das Äusserste, das Schwerste, die Untersuchung des totalitären Herrschaftsprinzips, das über das Naziregime und dessen Vernichtungsmaschine hinauszeigt, vielleicht als Gegenstück zu Hannah Arendts Hauptwerk über den Ursprung der totalitären Herrschaft. Den Eichmann-Prozess hat sie dafür eifrig verfolgt. Doch dieses Werk, das in Fragmenten vorliegt («Der Fall Franza», «Requiem für Fanny Goldmann» und andere Texte), hat sich nicht mehr vermitteln lassen, wohl weil es in der Rezeption dafür noch keine Kategorie gab. Heute würde man wohl von Dekonstruktion sprechen und artig Derrida zitieren. Doch ich fürchte, es geschah, weil die Kritik nichts wissen wollte vom radikalen Intellekt einer «Poeta docta», die dem Abenteuer einer Gattungsschöpfung auf der Spur war. Doch selbst wenn das Todesartenprojekt fehlen würde, und Berlin als Schauplatz ihrer Anstrengung, die kaputte Metropole, wo alles aus den Kellern der Zeitgeschichte zusammenströmt, das Schöne und das Schreckliche, das sie umtreibt, sogar wenn diese umwerfende Prosa wie «Das dreissigste Jahr» nicht existierte: noch immer wäre sie jene grosse deutschsprachige Dichterin, die Adornos Satz zuerst widerlegt: dass nach Auschwitz keine Gedichte mehr möglich sind. Auch da-rum, weil diese Gedichte von Adorno mehr wissen, als die Legendenverwaltung der Ingeborg Bachmann je wahrhaben möchte.
* Isolde Schaad, Verfasserin mehrerer Bücher und Stücke, zahlreicher Essays, Kommentare, Kolumnen, Satiren, lebt als Schriftstellerin und Publizistin in Zürich. Das Schweizerische Literaturarchiv wird in diesem Jahr ein Archiv mit ihrem Werk eröffnen. Im Herbst erscheint der Roman «Keiner wars» im Limmatverlag, Zürich.

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