FAZ Net
2. Juli 2001
Klagenfurt
Fazit des Bachmann-Wettbewerbs: Mehr Einsatz,
bitte
Von Uwe Ebbinghaus
2. Juli 2001 Drei Tage wurde gelesen und diskutiert, schließlich
gefiebert und abgestimmt. Im Finale des Bachmann-Wettbewerbs gab
es dann eine kleine Sensation: Norbert Müller, den keiner auf
einer Höhe mit Michael Lentz und Jenny Erpenbeck gesehen hatte,
blieb lange im Rennen und unterlag erst im Stechen.
Den Bachmann-Preis erhielt Michael Lentz,
den Preis der Jury Jenny Erpenbeck. Antje Rávic Strubel wurde
mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet, und Katrin Askan gewann
den 3Sat-Preis. Harte Kritik zogen in diesem Jahr die Kritiker auf
sich: Die Jury wirkte insgesamt temperamentlos und uninspiriert.
So kann es nicht bleiben
Was man nicht mehr hören kann: Die Diskussion,
ob ein vorgetragener schlechter Romanauszug durch den gesamten -
noch unbekannten - Roman aufgewertet werden könnte. Und die
Diskussion, ob Langeweile und Frustration am besten durch langweilige
und frustrierende Prosa abgebildet werden.
Was man dringend aus dem Wettbewerb entfernen
müsste: Die Fernseh-Kurzporträts über die Autoren.
Sie gehen den Lesungen jeweils voran, und die Juroren schauen zu.
Die Filme sind von solch unterschiedlicher Qualität und Suggestionskraft,
dass die Wettbewerbsgleicheit gefährdet wird.
Text: @uweb
2. Juli 2001
Medienschau
Klagen über Klagen
2. Juli 2001 So richtig glücklich ist eigentlich niemand. Nachdem
der Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb, der dieses Jahr immerhin sein
25-jähriges Jubiläum feiern konnte, am Sonntag mit der
Preisverleihung zu Ende gegangen ist, mehren sich die kritischen
Stimmen.
Ein Blick in die Feuilletons der aktuellen
Tagespresse wirft die Frage auf: Steckt der deutsche Literaturpreis
in der Krise?
Autoren leiden an Fantasiemangel
Glaubt man den Kritikern, geht den Literaten
offensichtlich langsam aber stetig die Fantasie aus. Die Inspiration
scheint zu versiegen und nur noch eine billige Kopie des Altbekannten
zu erlauben. So heißt es in der Süddeutschen Zeitung
spöttisch über die Klagenfurter Texte: Aber zu Beginn
war beinahe alles ABBA. Retro ohne Bewusstsein. Geschrieben, vorgetragen,
als wäre neu, individuell, was man da hört. Auch
für Die Welt drängt sich der Verdacht auf,
dass die Autoren sich in Wiederholungen ergehen und sich an das
scheinbar Bewährte klammern: Erzählerischer Furor
war Mangelware, kaum einer der Autoren wagte sich aus der Deckung
seines Handwerks.
Gut ist und bleibt, was gut war? Offensichtlich
leider nicht. Denn auch die Frankfurter Rundschau zieht
das Fazit, dass die von der Jury ausgewählten literarischen
Stücke zum Teil von einem erschütternden Niveau
waren. Die österreichische Tageszeitung Der Standard
sieht es gar als weiteren Trend der Gegenwart, dass
die leicht eingängigen, realistischen, formal des Öfteren
erschreckend simplen Erzählungen dominieren. Offensichtlich
wird es immer schwieriger, Geschichten zu erzählen, die spannend
und zugleich literarisch anspruchsvoll sind.
Juroren entdecken die Nachsichtigkeit
Gescholten werden allerdings nicht nur die
Autoren, sondern vor allem die Juroren: Zu wenig Profil, zu geringe
Risikobereitschaft, kaum Spontanität lautet der Grundtenor
der Anklage. Für die Süddeutsche zeigt sich
das Versagen der Jury vor allem darin, wie umständlich sich
die Experten um spontane Urteile drückten. Brav wird
eine halbe Stunde gefüllt, auch, wo das Wort 'schwach' genügte.
Auch Die Welt beklagt den Mangel an Mut zur Kontroverse:
Mit einer unglaublichen Sanftmut übten sich die
Juroren im Umarmen eines jeden auch nur einigermaßen
zu rettenden Textes. Offenbar hätten die Juroren ihrem
eigenen intuitiven Gespür für einen guten Text misstraut.
Reformbedarf angemeldet
Unisono fordern die Medien eine Reform. Die
Welt fordert: Überhaupt muss anstelle literaturliebhabender
oder bürokratischer Bücherbefummler wieder mehr literaturkritisches
Temperament auf die Bühne. Und die Süddeutsche
beharrt: Die Zeit scheint reif für eine Rückkehr
zur Spontankritik, die die Wahrnehmung von Publikum und Jury einander
angleicht, die keine Gerechtigkeit vortäuscht, wo es keine
gibt. Die Tageszeitung sieht bestätigt, dass
Klagenfurt (mal wieder) in der Krise steckt und gerade Gefahr läuft,
zum reinen Marketinginstrument der Verlage zu werden.
Ende gut trotz Klagen
Einigkeit herrscht jedoch in der Beurteilung
des Siegers. Michael Lentz hat nach einhelliger Meinung zurecht
den ersten Preis erhalten. Mir rhetorischer Ironie fragt die Süddeutsche
erst: Hat die Schwemme peinlicher Autobiographien selbst Klagenfurt
erreicht, dieses verschrieene Reservat germanistischer Kopf-Texte?
Um gleich vehement zu widersprechen: Nein. Lentz macht es
besser als viele vor ihm. Für Die Welt hat
mit dieser Entscheidung die Vernunft letztlich doch noch gesiegt.
Auch die Frankfurter Rundschau bekräftigte, die
Jury habe sich hierbei von ihrer verlässlichen Seite
gezeigt.
Und Der Standard bestätigt
Michael Lentz, wenn er schreibt: Schreiben heute (...) muss
sich formal wie inhaltlich mit dem beschleunigten Rhythmen der Gegenwart
auseinander setzen, will es nicht in waldschratsartiger Nostalgie
erstarren. Sein Fazit lautet: In Anbetracht der stilistischen
Souveränität, der außergewöhnlichen Qualität
seines Textes 'Muttersterben' wäre auch jede andere Juryentscheidung
einem Fehlurteil gleichgekommen.
Text: @eves
2. Juli 2001
Interview
Bachmannpreis-Gewinner Michael Lentz:
Keine Scheu vor der Probe
2. Juli 2001 Michael Lentz, geboren 1964 in Düren, hat den
Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Der Wahl-Münchner setzte
sich im Stechen gegen Norbert Müller durch. Lentz hatte nach
dem Abschluss der Lesungen zusammen mit Jenny Erpenbeck und Antje
Rávic Strubel als Favorit gegolten.
Wenn man Michael Lentz, der nach 1998 zum
zweiten Mal am Bachmann-Wettbewerb teilnahm, in Klagenfurt beobachtete,
hatte man den Eindruck, dass sich hier einer richtig wohl fühlte.
Das von vielen Autoren als unangenehme Belastung empfundene Wettlesen
ist für den Poetry Slam-erfahrenen Lentz Erprobungszustand.
Offensichtlich gibt es auch Autoren, die Klagenfurt als Betriebsausflug
der Literatur schätzen. Nach Georg Klein im letzten Jahr
hat sich auch in diesem Jahr der Typus des abgeklärten Literaten
durchgesetzt. FAZ.NET sprach mit Michael Lentz in Klagenfurt.
Herr Lentz, Gratulation, Sie haben den 25.
Bachmann-Preis gewonnen.
Danke.
Ihr Text Muttersterben hat einen
autobiografischen Bezug, wie Sie der Jury bestätigt haben -
der Text verarbeitet den Tod Ihrer Mutter. Wie hat sich dieser Bezug
auf Ihr Schreiben ausgewirkt? Sie sind ja eher für Ihre lautmalerischen
Arbeiten bekannt.
Der autobiografische Bezug hat sehr stark
gewirkt. Es konnte nicht sein, dass durch eine bestimmte Hervorkehrung
von Sprachmaterialität das Thema aus dem Blick gerät.
Das heißt also, das Sujet wirkte völlig disziplinierend.
Ich habe aber neben den sprachexperimentellen Texten immer auch
Prosa mit eher konventionellem Zuschnitt geschrieben.
Muttersterben wirkt wie ein großer
Wurf. Wie entsteht so ein Text?
Zunächst habe ich ihn komplett runtergeschrieben.
Dann, nachdem er ganz runtergeschrieben war, weggelegt, dann noch
mal angeschaut, dann für komplett unbrauchbar gehalten, weil
er zu nah an dem Erlebten dran war. Schließlich habe ich versucht,
ihn Stück für Stück umzuarbeiten. Das habe ich dann
auch wieder gelassen und ihn schließlich ganz neu geschrieben.
Eine vielleicht ungewöhnliche Frage:
Ist der Text, den Sie gelesen haben, jetzt fertig, oder werden Sie
weiter daran arbeiten?
Im Grunde ist er fertig, muss nur noch ein
bisschen nachlektoriert werden. Da vergebe ich mir nichts, wenn
ich das sage. Es müssen noch Einzelheiten verändert werden.
Welche sind Ihre literarischen Vorbilder?
Bei diesem Text hatte ich keine. Mit Texten,
die von Todeserfahrungen handeln, habe ich mich bisher nicht auseinandergesetzt.
Aber sicher, es gibt Vorbilder. Robert Walser zum Beispiel verehre
ich sehr. Über die Maßen schätze ich Samuel Beckett.
Thomas Bernhard lese ich gerne.
Werden Sie jetzt weitermachen mit den Klein-Formen
in Prosa?
Der Text, den ich vorgelesen habe, gehört
zu einem abgeschlossenen Zyklus, es gibt noch drei andere in der
Art. Momentan in Arbeit habe ich aber etwas Romanartiges. Aus Ökonomiegründen
habe ich das aber vor Klagenfurt nicht sehr entschieden in Angriff
genommen.
Wenn man Sie die letzten Tage beobachtete,
hatte man den Eindruck, Sie fühlen sich in Klagenfurt richtig
wohl.
Absolut richtig.
Mit den Juroren hatten Sie kein Problem?
Überhaupt nicht, ich habe keinem etwas
vorzuwerfen. Hier braucht man Sportsgeist.
Jetzt hätten Sie gestern, beim Fußballspiel
des Literaturbetriebs gegen den ORF, eigentlich nur noch ein Tor
schießen müssen.
Hauptsache, wir haben stark gespielt, mit
System. Nur so konnten wir den historischen Sieg erringen - am 25.
Jahrestag der erste Sieg gegen den ORF. Tore schießen können
ruhig die Mannschaftskameraden, man muss sich da nicht so egomanisch
reinhängen. Ich habe gestern eher offensives Mittelfeld gespielt,
in der zweiten Halbzeit sogar eher defensiv
Fußball scheint eine weitere Leidenschaft
von Ihnen zu sein.
Für Fußball habe ich ein absolutes
Faible. Ich bin glühender Anhänger des 1. FC Köln,
ein großer Verehrer von Toni Polster. Manchmal hat meine Fußball-Begeisterung
schon fast was Asoziales.
Wie würden Sie die Atmosphäre des
Wettbewerbs beschreiben?
Klagenfurt ist eine Herausforderung. Das ist
wie ein Formel-1-Rennen. Es kann viel passieren. Der eigene Motor
kann plötzlich ausfallen. Man sitzt da und bekommt plötzlich
Muffensausen, es spielt die Psyche verrückt, oder man wird
unerträglich müde. Wegen der Herausforderung habe ich
auch sehr viel Slam Poetry gemacht. Ich mag solche Erprobungszustände.
Das Gespräch führte Uwe Ebbinghaus in Klagenfurt.
Der Sieger-Text von Michael Lentz kann unter www.bachmannpreis.at
heruntergeladen werden. Die Lesung, die anschließende Jury-Diskussion
und ein Porträt Lentz' sind als Video abrufbar.
Text: @uweb
29. Juni 2001
Interview Marcel
Reich-Ranicki: Wollte nie ein Bad Boy sein
Viele Etikettierungen wurden Marcel Reich-Ranicki im Laufe seines
Lebens angeheftet. Er wird - nicht immer ehrfürchtig - Literaturpapst
genannt oder als notorischer Verreißer geschmäht. Dass
man dem Kritiker mit solchen Charakterisierungen nicht gerecht wird,
erfuhren viele erst als Leser seiner anrührenden Biografie
Mein Leben.
Seit Donnerstag findet in Klagenfurt der 25.
Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb - bedeutendster Wettbewerb für
un- oder kaum veröffentlichte deutschsprachige Gegenwartsautoren
- statt. Reich-Ranicki hatte ihn 1976 mitbegründet. Aus diesem
Anlass sprach FAZ.NET mit dem Kritiker über Ingeborg Bachmann,
Klagenfurt und das Fernsehen.
Herr Reich-Ranicki, welche Erinnerungen haben
Sie an Ingeborg Bachmann, die heute 75 Jahre alt geworden wäre?
Ich habe die Bachmann von Anfang an als eine
große Lyrikerin geschätzt. Mein Verhältnis zu ihrer
erzählenden Prosa war hingegen doch etwas skeptisch. Nur wenig
gefiel mir und das wenige, das mir damals gefiel, gefällt mir
heute überhaupt nicht. Aber sie hat zwei herrliche dünne
Gedichtbände publiziert: Die gestundete Zeit und
Die Anrufung des großen Bären.
Der Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt ist
ein Medienereignis geworden - 3sat überträgt das wenig
massentaugliche Ereignis seit Jahren live. Die Autoren müssen
ihre Texte vor laufender Kamera von Kritikern beurteilen lassen.
Hatten Sie manchmal Mitleid mit den Autoren?
Es wurde mit harten Bandagen gekämpft,
aber es wurde auch viel Gutes für die Literatur getan.
Als Gesprächsleiter in Klagenfurt sollen
Sie noch recht zurückhaltend gewesen sein. Heute, im Literarischen
Quartett, haben Sie hingegen kein Problem, ihre Mit-Diskutanten
vehement zu unterbrechen.
Ja, Lieber, ich muss im Literarischen
Quartett darauf achten, dass innerhalb von 75 Minuten fünf
Bücher besprochen werden. Außerdem muss dafür sorgen,
dass das Ganze nicht langweilig wird.
Es wird Ihnen aber auch unterstellt, Sie kokettierten
gezielt mit dem Image des bärbeißigen Verreißers
und eigenmächtigen Tyrannen.
Alles Quatsch. Hören Sie, ich habe ein
Buch geschrieben: Lauter Lobreden! Wenn Sie mich fragen,
ob ich als Kritiker 40, 50 Jahre lang zu viel gelobt oder getadelt
habe, dann antworte ich: Viel zu häufig gelobt.
Gab es denn eine Zeit, in der Sie das Image
des Bad Boy bewusst platziert haben?
Um Gottes Willen! Ich bin damit immer sehr
unzufrieden gewesen. Aber ich konnte nichts dagegen machen. Ein
Verriss prägt sich stärker ein. Bei uns gibt es eine Sitte:
Ein Herr trägt grüne Krawatten und die hat er jetzt zwei-
oder dreimal getragen, nicht öfter. Selbst, wenn es schon ein
Jahr zurückliegt, wird von diesem armen Mann nun immer gesagt:
Ah, das ist der Mann mit den grünen Krawatten!
Gibt es Bücher, bei denen Sie keine Lust
haben, zu einem abschließenden Urteil zu kommen, bei denen
Sie einfach nicht sagen können, ob es gut oder schlecht ist?
Natürlich gibt es solche Bücher,
aber die kommen im Quartett zumindest selten vor. Man
sollte anstreben, zu einem Buch ja oder nein
zu sagen. Aber es gibt solche, da muss man jein sagen.
Wie gefällt Ihnen das Etikett des genialen
Vereinfachers?
Vereinfachung strebe ich an. Der Kritiker
muss mit Vereinfachungen arbeiten. Wissen Sie, Novalis, ein fabelhafter
Kenner der Kritik, hat mal gesagt: Die Aufgabe des Kunstrichters
- so nannte man damals den Kritiker - ist, Formeln zu finden. Und
eine Formel ist immer eine Vereinfachung.
Die Zuschauerzahlen Ihrer neue Sendung Lauter
schwierige Patienten lassen - im Vergleich zum Literarischen
Quartett - zu wünschen übrig. Woran liegt es?
Wie viele sind es denn?
Die erste Folge hatte bundesweit 60.000, die
zuletzt ausgestrahlte 90.000.
Aha. Naja, das ist ja auch nach 23 Uhr im
dritten Programm. Menschenskind, was erwarten Sie da?
Peter Voß, der Sie in der Sendung zu
bereits verstorbenen, bedeutenden Autoren befragt, die Sie persönlich
gekannt haben, ist sehr zurückhaltend. Brauchen Sie einen starken
Gegenspieler, um wirklich gut zu sein im Fernsehen?
Nein, nein. Manche Gegenspieler stören
eher, Sie wissen, was ich meine.
Man hatte beim Zuschauen im alten Literarischen
Quartett manchmal das Gefühl, dass dieses Gegenspielertum
abgesprochen ist und Sie den Widerspruch brauchen.
Nein, das war noch nie abgesprochen. Niemals.
Das ist eine freie Erfindung, auch wenn es überall rumgeistert.
Momentan schreiben Sie wieder an einem Buch.
Worum geht es?
Das Buch ist betitelt: Die Meister des
20. Jahrhunderts. Es sind Essays über sieben große
deutsche Schriftsteller. Ich kann Sie Ihnen aufzählen: Thomas
Mann, Franz Kafka, Bertolt Brecht, Arthur Schnitzler, Alfred Döblin,
Robert Musil, Kurt Tucholsky.
Sie berücksichtigen keine neueren Autoren?
Nein. Es gibt keine Neueren, die zu den Größten
im 20. Jahrhundert zählen.
Planen Sie etwas Neues im Fernsehen?
Ja, aber das ist noch nicht spruchreif.
Seit wann interessieren Sie sich eigentlich
für das Fernsehen?
Mein erster wichtiger, ganz grundsätzlicher
Beitrag übers Fernsehen stammt aus dem Jahre 1961: Das
Fernsehen und die Literatur. Hier habe ich gegen die damaligen
Attacken gegen das Fernsehen protestiert und sagte, das Fernsehen
könne für die Literatur außerordentlich nützlich
sein. Damals hat sich überhaupt kein ernster Kritiker mit dem
Fernsehen beschäftigt.
Wie muss man Literatur im Fernsehen heute
vermitteln?
Man muss anschaulich werben für die Literatur.
Das Gespräch führte Uwe Ebbinghaus
Text: @uweb
Literaturwettbewerb
Der zweite Tag - Erinnerungsarbeit und Kitsch-Vorwürfe
Von Uwe Ebbinghaus
29. Juni 2001 Kritisch über Klagenfurt berichten heißt
gelegentlich auch, die literaturkritische Jury zu kritisieren. Die
hat es zwar wegen der permanenten Kameraüberwachung nicht leicht,
bedarf aber gleichfalls der kritischen Beurteilung, da ihre Mitglieder
die Autoren einladen und so für einige Tage zu Mitgestaltern
des SAT-Programms werden.
Zum Programm selbst: Zwei starke Texte waren
an diesem zweiten Lesetag zu hören. Bei sechs vorgelesenen
keine fette Beute.
Emotionalisierende Sterbe-Thematik
Michael Lentz aus München, der bereits
1998 am Bachmann-Wettbewerb teilgenommen hatte, las mit geübter
Stimme einen Text namens Muttersterben, der von der
Jury mehrheitlich als sehr gelungen bezeichnet wurde.
Birgit Vanderbeke und Denis Scheck gratulierten dem Autor sogar
- diese Unsitte hat sich in Klagenfurt in den letzten
Jahren eingebürgert. Obwohl der Text unbestreitbar ein Wurf
ist, schienen einige Juroren von der emotionalisierenden Sterbe-Thematik
so sehr beeindruckt, dass sie stilistische Manierismen Lentz' unerwähnt
ließen, über deren Sinnhaftigkeit man streiten kann.
Mit Jupp im Stall
Einen kontrovers diskutierten Romanauszug
las Annegret Held aus Frankfurt. In uneinheitlichem Ton - teils
ironisch, teils liebevoll-bejahend - schildert eine Ich-Erzählerin
in Hesters Traum das Zusammenleben in einer WG, Anfang
der 80er Jahre. Einige Juroren lobten die Sinnlichkeit des Textauszugs
und die genaue Wiedergabe eines einstigen Mode-Diskurses. Birgit
Vanderbeke stieß sich jedoch an der Schwierigkeit, die Perspektive
der Erzählerin zu verorten. Denis Scheck monierte die vielen
redundanten Nachkommentierungen im Text - ein einigermaßen
vernichtendes Urteil. Robert Schindel meinte, selten eine derart
gelungene Liebesszene gelesen zu haben wie die am Schluss des Romanauszugs
- ein großes Wort.
Bodenlose Erinnerungen
Tanja Langer aus Berlin präsentierte
einen Auszug aus ihrem erst 2002 erscheinenden Roman Der Morphinist.
Eine feinfühlige Ich-Erzählerin blickt zurück auf
die eigene Familiengeschichte sowie die deutschen Vergangenheit
und macht sich nach Proustschem Vorbild gleichzeitig Gedanken übers
Erinnern. Beweggründe dieses Erinnerns werden hier erklärt.
Birgit Vanderbeke fand den Text gnädig gut gemeint,
Schindel und Spinnen bezeichneten ihn milde als unfertig,
Denis Scheck gebrauchte das Wort Kitsch. Eilsabeth Bronfen
hatte den Text, wie sie sagte, ausgewählt, weil sie dessen
Erinnerungsarbeit wichtig findet.
Theoretisch aufgepeppte Campus-Pornographie
(Birgit Vanderbeke)
Einen Romanauszug aus Sex kills
präsentierte Robert Fischer aus München. Sexuell freizügige
Beschreibungen werden in seinem Text durch platonische Dialoge über
Geschlechterdifferenzen ergänzt. Der Text wurde von allen Juroren
außer von Elisabeth Bronfen, die Fischer eingeladen hatte,
als komplett misslungen bewertet. Burkhard Spinnen bemängelte,
der Text sei von einer selbgenügsamen Souveränität,
die nicht zeitgemäß sei. Zum zweiten Mal fiel das Wort
Kitsch, diesmal aus dem Mund von Konstanze Fliedl.
Meine Mutter, eine Erscheinung
Zum Publikumsliebling avancierte nach der
Mittagspause Jenny Erpenbeck mit ihrem Prosatext Sibirien.
Eine textinterne Erzählerin schildert die Irrungen und Wirrungen
in dem Haus ihrer Großeltern, aus der Sicht ihres Vaters.
Nach dem Krieg ist der Großvater hin- und hergerissen zwischen
seiner Frau und seiner Geliebten. Mit der Zeit zerbricht er an diesem
Konflikt. Birgit Vanderbeke mochte den Text, wies aber darauf hin,
es sei unwahrscheinlich, dass der Vater der Erzählerin dieser
die Vorgänge in seinem Elternhaus bereits poetisiert wiedergegeben
habe. Fliedl fand den Auszug großartig, Scheck
wunderschön, Widmer perfekt mit der
Einschränkung, dass ihm nicht wohl bei der Lektüre war.
Hasenbraten mit Tücken
In unendlich umständlicher Form beschreibt
ein Waidmann in dem sprachspielerischen Text Ulrich Schlotmanns
die allmähliche Verfertigung eines Hasenbratens - von der Jagd
bis zum Backofen. Fliedl fand den Vortrag ermüdend, für
Spinnen hat der Text kaum Substanz. Scheck verteidigte seine Einladung
mit dem Argument, die sprachsensibilisierende Literatur, die eine
wichtige Funktion erfülle, sei im öffentlichen Bewusstsein
unterrepräsentiert. Trotzdem muss erlaubt sein, zu fragen,
was den sprachschwachen Waidmann in Schlotmanns Text von Piet Glockes
Kabarettfigur des umständlich formulierenden Volkshochschuldozenten
unterscheidet. Die Sprechweisen beider waren zeitweilig austauschbar,
Schlotmann untermalte seinen Vortrag sogar ähnlich wie Glocke.
Resümee des Tages
Scheck gab auf den Vorwurf, der Schlotmann-Text
sei unlesbar, weiterhin zu bedenken, die Klagenfurter Jury habe
keinen verkaufsstrategischen Überlegungen anzustrengen. Sie
hat aber auch nicht die Aufgabe, literarische Nischenprojekte zu
fördern, für die sich nur schwerlich nachvollziehbare
Maßstäbe finden lassen. Zum Download auf der Bachmannpreis-Homepage
sind die Texte von Lenz und Erpenbeck zu empfehlen
Text: @uweb
29. Juni 2001
Der Bachmann-Zirkus?
- alles ein abgekartetes Spiel.
Aber schaden kann es nicht, dass du eingeladen bist.... Über
den Klagenfurter Literaturwettbewerb gehen die Meinungen bekanntlich
auseinander, aber die Worte des Verlegers Erich Maas klingen mir
noch heute im Ohr.
Was man in meinem Fall hätte abkarten
können, war mir allerdings schleierhaft: Als krasser
Aussenseiter des sogenannten Literaturbetriebes verdankte
ich meine Nomination einer Literaturwissenschaftlerin. Meine sonstigen
Kontakte zur Verlagswelt beschränkten sich eher auf liebenswürdige,
aber bestimmte Absagen. Ich hatte auch nicht den Häschen-Kurs
absolviert, eine Art Inaugurationsseminar, das als Sprungbrett zum
Wettbewerbserfolg betrachtet wird. Um ehrlich zu sein, bis zuletzt
glaubte ich, alles würde sich als Verwechslung herausstellen,
ein anderer Kunkel, vielleicht mit einem C vorne, würde an
meiner Stelle zum Wettlesen fliegen. Aber der 20. Juni kam - und
ich flog.
Klagenfurt: Wenn man seit zehn Jahren in Amsterdam
lebt, muss einem die Stadt in Kärnten zwangsläufig wie
ein Relikt der Heilen Welt erscheinen: Urlaub auf dem
Lande, dachte ich beim Einchecken. Anschließend schlenderte
ich zum O.R.F.-Theater in die Sponheimer Straße. In einem
Abstellraum neben der Garderobe wurde ich von Robert Schindel begrüßt.
Es klang ganz locker. Fast kollegial. Alles Unsinn mit dem abgekarteten
Spiel, dachte ich noch.
Aber schon beim ersten gemeinsamen Abendessen
mit allen Teilnehmern und Juroren in der malerisch gelegenen Loretta
am See herrschte eine politisch geladene Atmosphäre zwischen
den von Verlagshäusern angeführten Lobbies. Das geklüngelt
wurde an den Tischen, war deutlich, aber da ich damals fast niemand
kannte, ignorierte ich das Tuscheln und die Seitenblicke und konzentrierte
mich stattdessen auf mein Zanderfilet.
Was habe ich nicht alles falsch gemacht: Anstelle
wie zum Beispiel Stefan Beuse, der nach eigenen Auskünften
einen auf Klagenfurt zugeschnittenen Text fabriziert hatte, glaubte
ich einfach, den Anfang meines Romans vorlesen zu müssen. (Hauptsache,
ich finde es gut!) Anstelle wie viele andere erfahrene Autoren
den Kontakt, ja, das Tischgespräch mit den Juroren zu suchen,
schaffte ich es, mich quasi hermetisch abzuschirmen. (Was
soll ich hier? ich hasse smalltalk...)
Anstelle meinen Text einzustudieren und zu
üben, erschien es mir ratsam, am Tag meiner Lesung wandern
zu gehen. Als ich um zehn vor fünf im Studio auftauchte, verkehrte
mein Lektor am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Bei der Lesung
handelte es sich also wirklich um eine Premiere.
Die Reaktionen der Jury hatte keiner voraussehen
können: Der 36-jährige Autor Thor Kunkel gilt am
Ende des dreitätigen Wettlesens als klarer Favorit. (dpa)
Wie bekannt, wurde es aber nicht der 1. sondern nur
der 2. Platz. (Wärste mal nicht wandern gegangen...,
seufzte mein Lektor nach der Preisverleihung.)
Fazit: Ja, sicher gibt es Lobbies in Klagenfurt
- wie überall auf der Welt. Es gibt Klüngelparteien und
Rufmord-Kampagnen, bornierte Juroren und Autoren, die versuchen,
ihre Karten zu zinken. Es gibt vieles, was menschlich ist und sich
aus der Natur des schreibenden Primaten erklärt, und doch hat
Klagenfurt die immanente Tendenz, Qualität zu begünstigen.
In einer Zeit, in der selbst seriöse
Verlagshäuser den Büchermarkt mit literarischen Mogelpackungen
überschwemmen, steht der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb als notwendige
Form der literarischen Selbstbesinnung fernab von Show-Literaten
und Fräuleinwundern. Gerade die Verlage brauchen dieses Momentum
der Besinnung dringend.
Klagenfurt ist ein Ort, an dem sie sich überzeugen
können, dass sich Texte, die eine Seele haben,
mit spielerischer Leichtigkeit gegen Intrigen, Kabalen und Lobbyismus
durchsetzen können und natürlich auch gegen abgekartete
Spiele.
Thor Kunkel wurde 1999 für Das Schwarzlicht-Terrarium
(2000) mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet.
28. Juni 2001
Klagenfurt
Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb wird 25
Die 25-sten Tage
der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt haben begonnen.
Besser bekannt ist dieser Bewerb, wie die Österreicher
sagen, als Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb.
Ins Leben gerufen wurde er 1976 unter anderem
von Marcel Reich-Ranicki, der in den ersten zehn Jahren Sprecher
der Jury war. Mittlerweile sind die Literaturtage ein
kleines Medienereignis: 3 SAT überträgt live.
Ein wenig erinnert das Wettlesen an eine Container-Show
unter verschärften Bedingungen: 16 von einer siebenköpfigen
Jury ausgewählte junge und weniger junge deutschsprachige Autoren
lesen unter permanenter Kameraüberwachung einen unveröffentlichten
Text oder Textauszug und werden unmittelbar anschließend mit
der Jury-Kritik konfrontiert. Das hat dann häufig etwas von:
Zeig mir Dein Gesicht!.
Dem Gewinner winkt der Bachmann-Preis, dotiert
mit ATS 300.000. Drei weitere Preise werden von der Jury unter den
restlichen Autoren verteilt. Einige Lesende haben bereits vor Wettbewerbsbeginn
Verträge mit großen deutschen Verlagen in der Tasche.
Zu den bisherigen Preisträgern gehören:
Gert Jonke, Ulrich Plenzdorf, Katja Lange-Müller, Birgit Vanderbeke
und Georg Klein.
Verfolgt werden kann das Spektakel nicht nur
vor dem Fernseher bei 3 SAT, sondern auch live im Internet. Auf
der Homepage des ORF kann man sich darüber hinaus die vor Ort
gelesenen Texte herunterladen. Autoren-Porträts, Lesungen und
anschließende Diskussion können als Video abgerufen werden.
Die Bachmannpreis-Homepage des ORF entspricht einer kleinen Datenbank
über 25 Jahre Klagenfurt.
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