Frankfurter Rundschau
1. Juli 2001
Wegsterben
in Düren
Die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt:
25. Juni 2001
Bachmann-Preis: Lesungen werden live übertragen
Herz aus Stein
Ingeborg Bachmann fand ihren Geburtsort Klagenfurt
unerträglich. Am 25. Juni wäre die große Schriftstellerin
75 Jahre alt geworden - die Kärntner Landeshauptstadt begeht
den Tag auf ihre Weise.
Von Roland Mischke
Die Fenster sind funktionslose Torsi, die
Fassade ist verwittert. Vom einst stattlichen Gründerzeithaus
in der Klagenfurter Durchlaßstraße blieb nur eine Teilfassade.
Der Eigentümer ließ sie aus wirtschaftlichen Erwägungen
stehen. Denn er baut Appartments neben der Fassade. Und die Wohnungen
lassen sich besser verkaufen, wenn der neue Eigentümer erfährt,
dass in dem Haus 1926 Ingeborg Bachmann geboren wurde und sieben
Jahre mit Eltern und Geschwistern lebte. Österreichs größte
Dichterin als Zugpferd der Bauindustrie. Zehn Jahre lang konnten
sich Klagenfurts Stadtobere nicht entscheiden, ob sie das Haus kaufen
und zum Bachmann-Museum umwandeln sollten. Dann hatte der Baulöwe
sie besiegt. Hatte die Missgunst obsiegt. Denn in Kärntens
Landeshauptstadt hat man nicht vergessen, dass die Bachmann einst
schrieb: "Man müsste überhaupt ein Fremder sein,
um einen Ort wie Klagenfurt länger als eine Stunde erträglich
zu finden..."
Dachte sie an die Durchlaßstraße,
erinnerte sich Ingeborg Bachmann an die Atmosphäre. "In
dem Mietshaus müssen die Kinder die Schuhe ausziehen und in
Strümpfen spielen, weil sie über dem Hausherrn wohnen.
Sie dürfen nur flüstern und werden sich das Flüstern
nicht mehr abgewöhnen in diesem Leben. In der Schule sagen
die Lehrer zu ihnen: Schlagen sollte man euch, bis ihr den Mund
auftut... Zwischen dem Vorwurf, zu laut zu sein, und dem Vorwurf
zu leise zu sein, richten sie sich schweigend ein." So heißt
es in dem Prosastück Jugend in einer österreichischen
Stadt. Wer am anderen Ende der Stadt im Geburtshaus von Robert Musil
landet, in dem es eine kleine Abteilung für die Bachmann gibt,
kann dort alte Fernsehbilder sehen und hören, wie dünn,
zaghaft, brüchig ihre Stimme war.
Als die Familie in den 30er Jahren umzog in
die Henselstraße, in "ein Haus ohne Hausherr, in eine
Siedlung, die unter Hypotheke zahm und engherzig ausgekrochen ist",
war das ein enormer Fortschritt. Die Zimmer "geräumig
und zentralgeheizt", "links eine Nachbarschaft mit Boxerhund
und rechts Kinder, die Bananen essen, Reck und Ringe im Garten aufgemacht
haben und schwingend den Tag verbringen", nur "eine Straße
weit von der Radetzkystraße, durch die, elektrischrot und
großmäulig, die Straßenbahn fährt".
Die Straßenbahn ist abgeschafft, die
Radetzkystraße gehört den Autos. Wer stadteinwärts
flaniert, geht den Weg der jungen Ingeborg in die Ursulinenschule,
ein früheres Kloster. Man sieht, wie sie, die "blassen
genesenden Häuser unter dunklen Ziegelschöpfen" und,
neben dem Jugendstil-Stadttheater, den "Baum, der vor jenen
dunkelroten Kirschbäumen steht, die keine Früchte bringen".
Noch heute ist er in mancher Jahreszeit "entflammt... ein so
unmäßiger goldner Fleck, dass er aussieht, als wäre
er eine Fackel, die ein Engel fallen gelassen hat". Rechts
geht es ab in die Ursulinengasse, Ingeborgs Schule ist immer noch
Schule, dass Portal sieht noch genau so aus wie zu ihrer Zeit, nur
vor den Lehrern haben die Schüler keine Angst mehr und keiner
von ihnen flüstert auf dem Schulhof. Den Lärm grundieren
Glocken der Domkirche, ab 1581 als protestantisches Gotteshaus errichtet
und später von den Jesuiten übernommen, mit ihrem dumpf
nachhallenden Klang.
"In diese Stadt ist man selten aus einer
anderen Stadt gezogen, weil ihre Verlockungen zu gering waren",
schrieb die Bachmann. Und vergaß die barocken Häuser
mit ihren Arkadenhöfen, die Passagen und die kurvenden Gassen,
die Plätze mit ihren Denkmälern, die pompösen Palais,
die Berge ringsumher, die sich wie ein Theaterbild aufbauen, und
den Wörthersee, an den die Stadt grenzt und den die Familie
an Sommersonntagen wandernd über das Kreuzbergl erreichte,
weil die Kinder im wärmsten Alpensee Europas das Schwimmen
lernen sollten.
Das Haus in der Henselgasse mit seinen bunten
Holzläden vor den Fenstern, dem Garten mit Phlox und Flieder,
Apfel- und Birnbäumen und dem Keller mit seinen Gerüchen
und dunklen Geheimnissen hat die Bachmann bis zum Lebensende inspiriert.
Hier lernte sie Französisch, spielte Klavier, sinnierte über
die Liebe, über "einen nächtlichen Streit im Elternzimmer"
und erfand mit Schwester Isolde und Bruder Heinz "eine Sprache,
die sie toll macht. Mein Fisch. Meine Angel. Mein Fuchs. Meine Falle.
Mein Feuer. Du mein Wasser. Du meine Welle. Meine Erdung. Du mein
Wenn. Und du mein Aber. Entweder. Oder. Mein Alles... mein Alles..."
Bruder Heinz ist Manager und pendelt zwischen
London und Madrid. Schwester Isolde, verheiratete Moser, hat sich
aufs Land zurückgezogen. Ihr Sohn Michael Moser, 46, Drogist
am städtischen Krankenhaus, pflegt den Garten des großelterlichen
Hauses, das leer steht und in dem sich mal der eine, mal der andere
der Familie auf Heimbesuch für ein paar Tage einnistet. "Die
Inge liebte Kinder abgöttisch", sagt er und hantiert mit
dem Schlauch. "Wir haben unsere Tante nur selten zu sehen bekommen,
aber wenn sie hier war, dann war sie ganz für uns da. Als sie
starb, war ich achtzehn, kurz zuvor war mein Vater bei einem Verkehrsunfall
ums Leben gekommen. Das war eine ganz schlimme Zeit, damals, 1973."
Ingeborg Bachmann hatte in ihrer römischen Wohnung Verbrennungen
davon getragen, als sie mit einer glühenden Zigarette im Bett
döste und die Kissen Feuer fingen. Als sie, 47-jährig,
ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatten die Ärzte den Eindruck,
dass sie nicht mehr leben wollte. Nach einigen Wochen war sie tot.
Es war nicht das Feuer, das ihr den Tod brachte.
Es war die Einsamkeit. "Mit meinem Mörder Zeit bin ich
allein." Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten,
dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch, floh die Bachmann nach
Berlin, musste sich in die Psychiatrie begeben, war seitdem abhängig
von Drogen ("die Gnade Morphium"), ging dann nach Rom,
war dort allein, fühlte sich verschmäht, plötzlich
alt. "Es war hart für die Inge, als meine Mutter 1970
meinen jüngsten Bruder Christian zur Welt brachte, ihr sechstes
Kind", berichtet Michael Moser. "Sie hatte immer so gern
heiraten wollen. Erst schrieb sie an meine Mutter in gespielter
Empörung: Schon wieder ein Kind! Dann kam sie angereist und
nahm das Baby auf ihren Schoß, als wollte sie es nie mehr
hergeben." Und litt wie ein Hund darunter, dass Frisch und
andere Liebhaber - von Hans Werner Henze bis Paul Celan - keinen
Nachwuchs mit ihr wollten. "Ja, wussten Sie denn nicht, dass
alle Männer krank sind", verblüffte sie einen Freund.
Und vier Jahre lang nervte sie Max Frisch mit dem berühmt gewordenen
Satz: "Erklär mir Liebe, was ich nicht erklären kann."
Doch der schrieb danach schlecht über sie, nannte sie ein kleines
Mädchen aus der Provinz. Noch in ihren letzten Lebensjahren
litt sie so sehr an dieser Demütigung, dass ihr kein Gedicht
mehr gelang. "Adieu, ihr schönen Worte mit euren Verheißungen.
/ Warum habt ihr mich verlassen. / War ich euch nicht wohl?"
Und dann, nach dem Spott, die Trauer. "Ich habe euch hinterlegt
bei einem Herzen, aus Stein."
1945 hat Ingeborg Bachmann Klagenfurt verlassen.
Sie ging nach Wien, wo sie sich schnell als Lyrikerin einen Namen
machte, nach Italien, München, Amerika. Doch obwohl die Bachmann
mit Klagenfurt gebrochen hatte, kam sie nicht los von der Stadt.
Zum Schlüsselerlebnis war der Einmarsch der Nazis geworden
und deren frenetischer Empfang durch den überwiegenden Teil
der Klagenfurter. "Bei Tisch sitzen die Kinder still, kauen
lang an einem Bissen, während es im Radio gewittert und die
Stimme des Nachrichtensprechers wie ein Kugelblitz in der Küche
herumfährt und verendet, wo der Kochdeckel sich erschrocken
über den zerplatzten Kartoffeln hebt. Auf den Straßen
ziehen Kolonnen von Marschierenden. Die Fahnen schlagen über
den Köpfen zusammen. ... bis alles in Scherben fällt',
so wird gesungen draußen." Noch heute, erzählt Christian
Moser, 31, ihr jüngster Neffe, wirft man ihr vor, dass sie
den Einmarsch gar nicht erlebt haben könne, weil sie an diesem
Tag mit Diphterie im Krankenhaus gelegen hätte. "Man nimmt
immer noch übel, nach so vielen Jahren", wundert er sich.
Und grämt sich darüber, dass er seine Tante nicht bewusst
wahrgenommen hat. "Ich war einfach zu spät dran."
Da nützt es ihm auch nichts, wenn ihm alle erzählen, dass
sie stundenlang mit ihm gespielt habe. "Sie konnte herzhaft
lachen", glaubt er sich zu erinnern. Heute organisiert er mit
Schauspielern Bachmann-Lesungen, arbeitet mit dem Komponisten Dieter
Schnebel zusammen, der die Bachmann-Verse vertont, und er war auch
der Wortführer des Bachmann-Clans, als es gegen Haider ging.
Nach dem Wahlerfolg der FPÖ gehörte Christian Moser zu
denen, die in Wien Mahnwachen organisierten. Seine Familie brachte
er dazu, zu intervenieren, der Name Bachmann sollte nicht mehr vom
Kärntner Landeshauptmann in den Mund genommen werden. Haider
reagierte scharf, der Bachmann-Wettbewerb sei eine tote Leseveranstaltung,
gehe am Land vorbei, interessiere nur ein paar Intellektuelle. Die
organisierten für dieses Jahr, in dem der Wettbewerb zum 25.
Mal stattfindet, im Stadthaus die Fotoschau "Klagenfurt und
kein Ende", in dem Isolde Ohlbaums Bilder von der Bachmann-Preis-Ehrung
gezeigt werden.
Bachmann musste Klagenfurt verlassen, um sich
zu retten. Aber ihre sterblichen Überreste sind zurück
gekehrt. Auf dem Friedhof am Flughafen hat man sie bestattet, das
Grab säumt eine schlichte Steinwand, die zu wuchtig ausgefallen
ist. "Sie hat bis zuletzt pro Woche zwei bis drei Briefe an
Mitglieder der Familie geschrieben", erzählt Christian
Moser. Gemeinsam mit seiner 73-jährigen Mutter und deren Bruder
verwaltet er den Nachlass. Im vergangenen Herbst gab er unter dem
Titel "Ich weiß keine bessere Welt" unveröffentliche
Gedichte der Bachmann heraus. Die prekären Teile des Nachlasses,
etwa der umfangreiche Briefwechsel mit Max Frisch, dürfen vor
2025 nicht publiziert werden. Der Erbe ist sicher, dass es auch
dann noch eine große Bachmann-Gemeinde geben wird. In diesem
Jahr bringt es seine Tante zum Jubiläum erstmals zu einem Denkmal
in Klagenfurt. Die sechs Meter lange "Welle" mit eingravierten
Texten der Dichterin wird nicht im Zentrum aufgestellt, sondern
in einem Außenbezirk.
Aber immerhin: Die Stadt muss mit ihrer Chronistin
leben, sie kann sie nicht mehr ausgrenzen. Obwohl das Kunstwerk
nicht von der Stadt, sondern von der österreichischen Stahlindustrie
gestiftet wurde. "O Stadt. Stadt. Ligusterstadt, aus der alle
Wurzeln hängen", schrieb Ingeborg Bachmann. Und berichtet,
dass sie den Mantelkragen höher zog, wenn sie "blicklos"
die Durchlaßstraße querte. "Wo die Stadt aufhört,
wo die Gruben sind... kann man sich niederlassen einen Augenblick
und das Gesicht in die Hände geben. Man weiß dann, dass
alles war, wie es war, dass alles ist, wie es ist, und verzichtet,
einen Grund zu suchen für alles. Denn da ist kein Stab, der
dich berührt, keine Verwandlung... Nichts rührt dir ans
Herz... Das Wenigste ist da, um uns einzuleuchten, und die Jugend
gehört nicht dazu, auch nicht die Stadt, in der sie stattgehabt
hat. Nur wenn der Baum vor dem Theater das Wunder tut, wenn die
Fackel brennt, gelingt es mir, wie im Meer die Wasser, alles sich
mischen zu sehen."
ServiceIngeborg Bachmann und Klagenfurt
ANREISE: Von Frankfurt im Direktflug mit Tyrolean
Airways nach Klagenfurt. Bahnverbindungen von allen deutschen Städten.
Mit dem Auto über Innsbruck oder Salzburg; für österreichische
Autobahnen wird eine Vignette benötigt, die an der Grenze erhältlich
ist.
BACHMANN-TERMINE: Rund um den 75. Geburtstag
der Bachmann wird in Klagenfurt folgendes geboten: Vom 21. Juni
bis zum 15. Juli zeigt die Alpen-Adria-Galerie im Klagenfurter Stadthaus
(Theaterplatz 3, Mo-Fr 10-19, Sa 10-17, So 10-15 Uhr) die Ausstellung
"Klagenfurt und kein Ende. Der Ingeborg-Bachmann-Preis. Bilder
aus 25 Jahren". Die "Tage der deutschsprachigen Literatur"
in Klagenfurt sind auf die Zeit vom 27. Juni bis 1. Juli gelegt
und enden mit der Verleihung des Bachmann-Preises zum 25. Mal. Im
Robert-Musil-Literatur-Museum (Bahnhofstr. 50, Mo-Fr 10-17, Sa bis
14 Uhr) wurde vor fünf Jahren ein "Bachmann-Raum"
eingerichtet, in dem vor allem ihre Klagenfurter Zeit dokumentiert
ist.
BACHMANN-STADTRUNDGANG: Der Direktor des Klagenfurter
Literatur-Museums, Heimo Strempfl, hat einen Rundgang "Auf
den Spuren von Ingeborg Bachmann" zusammengestellt. In einem
Prospekt listet er die wichtigsten Orte innerhalb des Stadtgebiets
auf, die mit Ingeborg Bachmann in Verbindung zu bringen sind . Der
Prospekt ist im Museum erhältlich (Adresse s.o.)
LITERATUR: Ingeborg Bachmann, Ich weiß
keine bessere Welt. Unveröffentlichte Gedichte. Piper Verlag,
München 2000, 195 Seiten, 38 Mark. Einsam sind alle Brücken.
Autoren schreiben über Ingeborg Bachmann. Piper Verlag, München
2001, 128 Seiten, 28 Mark.
AUSKUNFT: Klagenfurt Tourismus, Rathaus, Neuer
Platz, A-9010 Klagenfurt, Tel. 0043/463/537223, Fax 537295, Internet
www.info.klagenfurt.at, E-Mail tourismus@klagenfurt.at; Österreich
Werbung, Mannheimer Str. 15, 60329 Frankfurt, Tel. 069/24242521,
Fax 250741, Internet www.austria-tourism.at, E-Mail info@oewfra.de
Herz aus Stein
Ingeborg Bachmann fand ihren Geburtsort Klagenfurt
unerträglich. Am 25. Juni wäre die große Schriftstellerin
75 Jahre alt geworden - die Kärntner Landeshauptstadt begeht
den Tag auf ihre Weise.
Von Roland Mischke
Die Fenster sind funktionslose Torsi, die
Fassade ist verwittert. Vom einst stattlichen Gründerzeithaus
in der Klagenfurter Durchlaßstraße blieb nur eine Teilfassade.
Der Eigentümer ließ sie aus wirtschaftlichen Erwägungen
stehen. Denn er baut Appartments neben der Fassade. Und die Wohnungen
lassen sich besser verkaufen, wenn der neue Eigentümer erfährt,
dass in dem Haus 1926 Ingeborg Bachmann geboren wurde und sieben
Jahre mit Eltern und Geschwistern lebte. Österreichs größte
Dichterin als Zugpferd der Bauindustrie. Zehn Jahre lang konnten
sich Klagenfurts Stadtobere nicht entscheiden, ob sie das Haus kaufen
und zum Bachmann-Museum umwandeln sollten. Dann hatte der Baulöwe
sie besiegt. Hatte die Missgunst obsiegt. Denn in Kärntens
Landeshauptstadt hat man nicht vergessen, dass die Bachmann einst
schrieb: "Man müsste überhaupt ein Fremder sein,
um einen Ort wie Klagenfurt länger als eine Stunde erträglich
zu finden..."
Dachte sie an die Durchlaßstraße,
erinnerte sich Ingeborg Bachmann an die Atmosphäre. "In
dem Mietshaus müssen die Kinder die Schuhe ausziehen und in
Strümpfen spielen, weil sie über dem Hausherrn wohnen.
Sie dürfen nur flüstern und werden sich das Flüstern
nicht mehr abgewöhnen in diesem Leben. In der Schule sagen
die Lehrer zu ihnen: Schlagen sollte man euch, bis ihr den Mund
auftut... Zwischen dem Vorwurf, zu laut zu sein, und dem Vorwurf
zu leise zu sein, richten sie sich schweigend ein." So heißt
es in dem Prosastück Jugend in einer österreichischen
Stadt. Wer am anderen Ende der Stadt im Geburtshaus von Robert Musil
landet, in dem es eine kleine Abteilung für die Bachmann gibt,
kann dort alte Fernsehbilder sehen und hören, wie dünn,
zaghaft, brüchig ihre Stimme war.
Als die Familie in den 30er Jahren umzog in
die Henselstraße, in "ein Haus ohne Hausherr, in eine
Siedlung, die unter Hypotheke zahm und engherzig ausgekrochen ist",
war das ein enormer Fortschritt. Die Zimmer "geräumig
und zentralgeheizt", "links eine Nachbarschaft mit Boxerhund
und rechts Kinder, die Bananen essen, Reck und Ringe im Garten aufgemacht
haben und schwingend den Tag verbringen", nur "eine Straße
weit von der Radetzkystraße, durch die, elektrischrot und
großmäulig, die Straßenbahn fährt".
Die Straßenbahn ist abgeschafft, die
Radetzkystraße gehört den Autos. Wer stadteinwärts
flaniert, geht den Weg der jungen Ingeborg in die Ursulinenschule,
ein früheres Kloster. Man sieht, wie sie, die "blassen
genesenden Häuser unter dunklen Ziegelschöpfen" und,
neben dem Jugendstil-Stadttheater, den "Baum, der vor jenen
dunkelroten Kirschbäumen steht, die keine Früchte bringen".
Noch heute ist er in mancher Jahreszeit "entflammt... ein so
unmäßiger goldner Fleck, dass er aussieht, als wäre
er eine Fackel, die ein Engel fallen gelassen hat". Rechts
geht es ab in die Ursulinengasse, Ingeborgs Schule ist immer noch
Schule, dass Portal sieht noch genau so aus wie zu ihrer Zeit, nur
vor den Lehrern haben die Schüler keine Angst mehr und keiner
von ihnen flüstert auf dem Schulhof. Den Lärm grundieren
Glocken der Domkirche, ab 1581 als protestantisches Gotteshaus errichtet
und später von den Jesuiten übernommen, mit ihrem dumpf
nachhallenden Klang.
"In diese Stadt ist man selten aus einer
anderen Stadt gezogen, weil ihre Verlockungen zu gering waren",
schrieb die Bachmann. Und vergaß die barocken Häuser
mit ihren Arkadenhöfen, die Passagen und die kurvenden Gassen,
die Plätze mit ihren Denkmälern, die pompösen Palais,
die Berge ringsumher, die sich wie ein Theaterbild aufbauen, und
den Wörthersee, an den die Stadt grenzt und den die Familie
an Sommersonntagen wandernd über das Kreuzbergl erreichte,
weil die Kinder im wärmsten Alpensee Europas das Schwimmen
lernen sollten.
Das Haus in der Henselgasse mit seinen bunten
Holzläden vor den Fenstern, dem Garten mit Phlox und Flieder,
Apfel- und Birnbäumen und dem Keller mit seinen Gerüchen
und dunklen Geheimnissen hat die Bachmann bis zum Lebensende inspiriert.
Hier lernte sie Französisch, spielte Klavier, sinnierte über
die Liebe, über "einen nächtlichen Streit im Elternzimmer"
und erfand mit Schwester Isolde und Bruder Heinz "eine Sprache,
die sie toll macht. Mein Fisch. Meine Angel. Mein Fuchs. Meine Falle.
Mein Feuer. Du mein Wasser. Du meine Welle. Meine Erdung. Du mein
Wenn. Und du mein Aber. Entweder. Oder. Mein Alles... mein Alles..."
Bruder Heinz ist Manager und pendelt zwischen
London und Madrid. Schwester Isolde, verheiratete Moser, hat sich
aufs Land zurückgezogen. Ihr Sohn Michael Moser, 46, Drogist
am städtischen Krankenhaus, pflegt den Garten des großelterlichen
Hauses, das leer steht und in dem sich mal der eine, mal der andere
der Familie auf Heimbesuch für ein paar Tage einnistet. "Die
Inge liebte Kinder abgöttisch", sagt er und hantiert mit
dem Schlauch. "Wir haben unsere Tante nur selten zu sehen bekommen,
aber wenn sie hier war, dann war sie ganz für uns da. Als sie
starb, war ich achtzehn, kurz zuvor war mein Vater bei einem Verkehrsunfall
ums Leben gekommen. Das war eine ganz schlimme Zeit, damals, 1973."
Ingeborg Bachmann hatte in ihrer römischen Wohnung Verbrennungen
davon getragen, als sie mit einer glühenden Zigarette im Bett
döste und die Kissen Feuer fingen. Als sie, 47-jährig,
ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatten die Ärzte den Eindruck,
dass sie nicht mehr leben wollte. Nach einigen Wochen war sie tot.
Es war nicht das Feuer, das ihr den Tod brachte.
Es war die Einsamkeit. "Mit meinem Mörder Zeit bin ich
allein." Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten,
dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch, floh die Bachmann nach
Berlin, musste sich in die Psychiatrie begeben, war seitdem abhängig
von Drogen ("die Gnade Morphium"), ging dann nach Rom,
war dort allein, fühlte sich verschmäht, plötzlich
alt. "Es war hart für die Inge, als meine Mutter 1970
meinen jüngsten Bruder Christian zur Welt brachte, ihr sechstes
Kind", berichtet Michael Moser. "Sie hatte immer so gern
heiraten wollen. Erst schrieb sie an meine Mutter in gespielter
Empörung: Schon wieder ein Kind! Dann kam sie angereist und
nahm das Baby auf ihren Schoß, als wollte sie es nie mehr
hergeben." Und litt wie ein Hund darunter, dass Frisch und
andere Liebhaber - von Hans Werner Henze bis Paul Celan - keinen
Nachwuchs mit ihr wollten. "Ja, wussten Sie denn nicht, dass
alle Männer krank sind", verblüffte sie einen Freund.
Und vier Jahre lang nervte sie Max Frisch mit dem berühmt gewordenen
Satz: "Erklär mir Liebe, was ich nicht erklären kann."
Doch der schrieb danach schlecht über sie, nannte sie ein kleines
Mädchen aus der Provinz. Noch in ihren letzten Lebensjahren
litt sie so sehr an dieser Demütigung, dass ihr kein Gedicht
mehr gelang. "Adieu, ihr schönen Worte mit euren Verheißungen.
/ Warum habt ihr mich verlassen. / War ich euch nicht wohl?"
Und dann, nach dem Spott, die Trauer. "Ich habe euch hinterlegt
bei einem Herzen, aus Stein."
1945 hat Ingeborg Bachmann Klagenfurt verlassen.
Sie ging nach Wien, wo sie sich schnell als Lyrikerin einen Namen
machte, nach Italien, München, Amerika. Doch obwohl die Bachmann
mit Klagenfurt gebrochen hatte, kam sie nicht los von der Stadt.
Zum Schlüsselerlebnis war der Einmarsch der Nazis geworden
und deren frenetischer Empfang durch den überwiegenden Teil
der Klagenfurter. "Bei Tisch sitzen die Kinder still, kauen
lang an einem Bissen, während es im Radio gewittert und die
Stimme des Nachrichtensprechers wie ein Kugelblitz in der Küche
herumfährt und verendet, wo der Kochdeckel sich erschrocken
über den zerplatzten Kartoffeln hebt. Auf den Straßen
ziehen Kolonnen von Marschierenden. Die Fahnen schlagen über
den Köpfen zusammen. ... bis alles in Scherben fällt',
so wird gesungen draußen." Noch heute, erzählt Christian
Moser, 31, ihr jüngster Neffe, wirft man ihr vor, dass sie
den Einmarsch gar nicht erlebt haben könne, weil sie an diesem
Tag mit Diphterie im Krankenhaus gelegen hätte. "Man nimmt
immer noch übel, nach so vielen Jahren", wundert er sich.
Und grämt sich darüber, dass er seine Tante nicht bewusst
wahrgenommen hat. "Ich war einfach zu spät dran."
Da nützt es ihm auch nichts, wenn ihm alle erzählen, dass
sie stundenlang mit ihm gespielt habe. "Sie konnte herzhaft
lachen", glaubt er sich zu erinnern. Heute organisiert er mit
Schauspielern Bachmann-Lesungen, arbeitet mit dem Komponisten Dieter
Schnebel zusammen, der die Bachmann-Verse vertont, und er war auch
der Wortführer des Bachmann-Clans, als es gegen Haider ging.
Nach dem Wahlerfolg der FPÖ gehörte Christian Moser zu
denen, die in Wien Mahnwachen organisierten. Seine Familie brachte
er dazu, zu intervenieren, der Name Bachmann sollte nicht mehr vom
Kärntner Landeshauptmann in den Mund genommen werden. Haider
reagierte scharf, der Bachmann-Wettbewerb sei eine tote Leseveranstaltung,
gehe am Land vorbei, interessiere nur ein paar Intellektuelle. Die
organisierten für dieses Jahr, in dem der Wettbewerb zum 25.
Mal stattfindet, im Stadthaus die Fotoschau "Klagenfurt und
kein Ende", in dem Isolde Ohlbaums Bilder von der Bachmann-Preis-Ehrung
gezeigt werden.
Bachmann musste Klagenfurt verlassen, um sich
zu retten. Aber ihre sterblichen Überreste sind zurück
gekehrt. Auf dem Friedhof am Flughafen hat man sie bestattet, das
Grab säumt eine schlichte Steinwand, die zu wuchtig ausgefallen
ist. "Sie hat bis zuletzt pro Woche zwei bis drei Briefe an
Mitglieder der Familie geschrieben", erzählt Christian
Moser. Gemeinsam mit seiner 73-jährigen Mutter und deren Bruder
verwaltet er den Nachlass. Im vergangenen Herbst gab er unter dem
Titel "Ich weiß keine bessere Welt" unveröffentliche
Gedichte der Bachmann heraus. Die prekären Teile des Nachlasses,
etwa der umfangreiche Briefwechsel mit Max Frisch, dürfen vor
2025 nicht publiziert werden. Der Erbe ist sicher, dass es auch
dann noch eine große Bachmann-Gemeinde geben wird. In diesem
Jahr bringt es seine Tante zum Jubiläum erstmals zu einem Denkmal
in Klagenfurt. Die sechs Meter lange "Welle" mit eingravierten
Texten der Dichterin wird nicht im Zentrum aufgestellt, sondern
in einem Außenbezirk.
Aber immerhin: Die Stadt muss mit ihrer Chronistin
leben, sie kann sie nicht mehr ausgrenzen. Obwohl das Kunstwerk
nicht von der Stadt, sondern von der österreichischen Stahlindustrie
gestiftet wurde. "O Stadt. Stadt. Ligusterstadt, aus der alle
Wurzeln hängen", schrieb Ingeborg Bachmann. Und berichtet,
dass sie den Mantelkragen höher zog, wenn sie "blicklos"
die Durchlaßstraße querte. "Wo die Stadt aufhört,
wo die Gruben sind... kann man sich niederlassen einen Augenblick
und das Gesicht in die Hände geben. Man weiß dann, dass
alles war, wie es war, dass alles ist, wie es ist, und verzichtet,
einen Grund zu suchen für alles. Denn da ist kein Stab, der
dich berührt, keine Verwandlung... Nichts rührt dir ans
Herz... Das Wenigste ist da, um uns einzuleuchten, und die Jugend
gehört nicht dazu, auch nicht die Stadt, in der sie stattgehabt
hat. Nur wenn der Baum vor dem Theater das Wunder tut, wenn die
Fackel brennt, gelingt es mir, wie im Meer die Wasser, alles sich
mischen zu sehen."
ServiceIngeborg Bachmann und Klagenfurt
ANREISE: Von Frankfurt im Direktflug mit Tyrolean
Airways nach Klagenfurt. Bahnverbindungen von allen deutschen Städten.
Mit dem Auto über Innsbruck oder Salzburg; für österreichische
Autobahnen wird eine Vignette benötigt, die an der Grenze erhältlich
ist.
BACHMANN-TERMINE: Rund um den 75. Geburtstag
der Bachmann wird in Klagenfurt folgendes geboten: Vom 21. Juni
bis zum 15. Juli zeigt die Alpen-Adria-Galerie im Klagenfurter Stadthaus
(Theaterplatz 3, Mo-Fr 10-19, Sa 10-17, So 10-15 Uhr) die Ausstellung
"Klagenfurt und kein Ende. Der Ingeborg-Bachmann-Preis. Bilder
aus 25 Jahren". Die "Tage der deutschsprachigen Literatur"
in Klagenfurt sind auf die Zeit vom 27. Juni bis 1. Juli gelegt
und enden mit der Verleihung des Bachmann-Preises zum 25. Mal. Im
Robert-Musil-Literatur-Museum (Bahnhofstr. 50, Mo-Fr 10-17, Sa bis
14 Uhr) wurde vor fünf Jahren ein "Bachmann-Raum"
eingerichtet, in dem vor allem ihre Klagenfurter Zeit dokumentiert
ist.
BACHMANN-STADTRUNDGANG: Der Direktor des Klagenfurter
Literatur-Museums, Heimo Strempfl, hat einen Rundgang "Auf
den Spuren von Ingeborg Bachmann" zusammengestellt. In einem
Prospekt listet er die wichtigsten Orte innerhalb des Stadtgebiets
auf, die mit Ingeborg Bachmann in Verbindung zu bringen sind . Der
Prospekt ist im Museum erhältlich (Adresse s.o.)
LITERATUR: Ingeborg Bachmann, Ich weiß
keine bessere Welt. Unveröffentlichte Gedichte. Piper Verlag,
München 2000, 195 Seiten, 38 Mark. Einsam sind alle Brücken.
Autoren schreiben über Ingeborg Bachmann. Piper Verlag, München
2001, 128 Seiten, 28 Mark.
AUSKUNFT: Klagenfurt Tourismus, Rathaus, Neuer
Platz, A-9010 Klagenfurt, Tel. 0043/463/537223, Fax 537295, Internet
www.info.klagenfurt.at, E-Mail tourismus@klagenfurt.at; Österreich
Werbung, Mannheimer Str. 15, 60329 Frankfurt, Tel. 069/24242521,
Fax 250741, Internet www.austria-tourism.at, E-Mail info@oewfra.de
|