Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des ORF Landesstudios Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und freundlicher Unterstützung der Telekom Austria.

Frankfurter Rundschau

1. Juli 2001

Wegsterben in Düren
Die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt:


25. Juni 2001

Bachmann-Preis: Lesungen werden live übertragen

Herz aus Stein

Ingeborg Bachmann fand ihren Geburtsort Klagenfurt unerträglich. Am 25. Juni wäre die große Schriftstellerin 75 Jahre alt geworden - die Kärntner Landeshauptstadt begeht den Tag auf ihre Weise.

Von Roland Mischke

Die Fenster sind funktionslose Torsi, die Fassade ist verwittert. Vom einst stattlichen Gründerzeithaus in der Klagenfurter Durchlaßstraße blieb nur eine Teilfassade. Der Eigentümer ließ sie aus wirtschaftlichen Erwägungen stehen. Denn er baut Appartments neben der Fassade. Und die Wohnungen lassen sich besser verkaufen, wenn der neue Eigentümer erfährt, dass in dem Haus 1926 Ingeborg Bachmann geboren wurde und sieben Jahre mit Eltern und Geschwistern lebte. Österreichs größte Dichterin als Zugpferd der Bauindustrie. Zehn Jahre lang konnten sich Klagenfurts Stadtobere nicht entscheiden, ob sie das Haus kaufen und zum Bachmann-Museum umwandeln sollten. Dann hatte der Baulöwe sie besiegt. Hatte die Missgunst obsiegt. Denn in Kärntens Landeshauptstadt hat man nicht vergessen, dass die Bachmann einst schrieb: "Man müsste überhaupt ein Fremder sein, um einen Ort wie Klagenfurt länger als eine Stunde erträglich zu finden..."

Dachte sie an die Durchlaßstraße, erinnerte sich Ingeborg Bachmann an die Atmosphäre. "In dem Mietshaus müssen die Kinder die Schuhe ausziehen und in Strümpfen spielen, weil sie über dem Hausherrn wohnen. Sie dürfen nur flüstern und werden sich das Flüstern nicht mehr abgewöhnen in diesem Leben. In der Schule sagen die Lehrer zu ihnen: Schlagen sollte man euch, bis ihr den Mund auftut... Zwischen dem Vorwurf, zu laut zu sein, und dem Vorwurf zu leise zu sein, richten sie sich schweigend ein." So heißt es in dem Prosastück Jugend in einer österreichischen Stadt. Wer am anderen Ende der Stadt im Geburtshaus von Robert Musil landet, in dem es eine kleine Abteilung für die Bachmann gibt, kann dort alte Fernsehbilder sehen und hören, wie dünn, zaghaft, brüchig ihre Stimme war.

Als die Familie in den 30er Jahren umzog in die Henselstraße, in "ein Haus ohne Hausherr, in eine Siedlung, die unter Hypotheke zahm und engherzig ausgekrochen ist", war das ein enormer Fortschritt. Die Zimmer "geräumig und zentralgeheizt", "links eine Nachbarschaft mit Boxerhund und rechts Kinder, die Bananen essen, Reck und Ringe im Garten aufgemacht haben und schwingend den Tag verbringen", nur "eine Straße weit von der Radetzkystraße, durch die, elektrischrot und großmäulig, die Straßenbahn fährt".

Die Straßenbahn ist abgeschafft, die Radetzkystraße gehört den Autos. Wer stadteinwärts flaniert, geht den Weg der jungen Ingeborg in die Ursulinenschule, ein früheres Kloster. Man sieht, wie sie, die "blassen genesenden Häuser unter dunklen Ziegelschöpfen" und, neben dem Jugendstil-Stadttheater, den "Baum, der vor jenen dunkelroten Kirschbäumen steht, die keine Früchte bringen". Noch heute ist er in mancher Jahreszeit "entflammt... ein so unmäßiger goldner Fleck, dass er aussieht, als wäre er eine Fackel, die ein Engel fallen gelassen hat". Rechts geht es ab in die Ursulinengasse, Ingeborgs Schule ist immer noch Schule, dass Portal sieht noch genau so aus wie zu ihrer Zeit, nur vor den Lehrern haben die Schüler keine Angst mehr und keiner von ihnen flüstert auf dem Schulhof. Den Lärm grundieren Glocken der Domkirche, ab 1581 als protestantisches Gotteshaus errichtet und später von den Jesuiten übernommen, mit ihrem dumpf nachhallenden Klang.

"In diese Stadt ist man selten aus einer anderen Stadt gezogen, weil ihre Verlockungen zu gering waren", schrieb die Bachmann. Und vergaß die barocken Häuser mit ihren Arkadenhöfen, die Passagen und die kurvenden Gassen, die Plätze mit ihren Denkmälern, die pompösen Palais, die Berge ringsumher, die sich wie ein Theaterbild aufbauen, und den Wörthersee, an den die Stadt grenzt und den die Familie an Sommersonntagen wandernd über das Kreuzbergl erreichte, weil die Kinder im wärmsten Alpensee Europas das Schwimmen lernen sollten.

Das Haus in der Henselgasse mit seinen bunten Holzläden vor den Fenstern, dem Garten mit Phlox und Flieder, Apfel- und Birnbäumen und dem Keller mit seinen Gerüchen und dunklen Geheimnissen hat die Bachmann bis zum Lebensende inspiriert. Hier lernte sie Französisch, spielte Klavier, sinnierte über die Liebe, über "einen nächtlichen Streit im Elternzimmer" und erfand mit Schwester Isolde und Bruder Heinz "eine Sprache, die sie toll macht. Mein Fisch. Meine Angel. Mein Fuchs. Meine Falle. Mein Feuer. Du mein Wasser. Du meine Welle. Meine Erdung. Du mein Wenn. Und du mein Aber. Entweder. Oder. Mein Alles... mein Alles..."

Bruder Heinz ist Manager und pendelt zwischen London und Madrid. Schwester Isolde, verheiratete Moser, hat sich aufs Land zurückgezogen. Ihr Sohn Michael Moser, 46, Drogist am städtischen Krankenhaus, pflegt den Garten des großelterlichen Hauses, das leer steht und in dem sich mal der eine, mal der andere der Familie auf Heimbesuch für ein paar Tage einnistet. "Die Inge liebte Kinder abgöttisch", sagt er und hantiert mit dem Schlauch. "Wir haben unsere Tante nur selten zu sehen bekommen, aber wenn sie hier war, dann war sie ganz für uns da. Als sie starb, war ich achtzehn, kurz zuvor war mein Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Das war eine ganz schlimme Zeit, damals, 1973." Ingeborg Bachmann hatte in ihrer römischen Wohnung Verbrennungen davon getragen, als sie mit einer glühenden Zigarette im Bett döste und die Kissen Feuer fingen. Als sie, 47-jährig, ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatten die Ärzte den Eindruck, dass sie nicht mehr leben wollte. Nach einigen Wochen war sie tot.

Es war nicht das Feuer, das ihr den Tod brachte. Es war die Einsamkeit. "Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein." Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten, dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch, floh die Bachmann nach Berlin, musste sich in die Psychiatrie begeben, war seitdem abhängig von Drogen ("die Gnade Morphium"), ging dann nach Rom, war dort allein, fühlte sich verschmäht, plötzlich alt. "Es war hart für die Inge, als meine Mutter 1970 meinen jüngsten Bruder Christian zur Welt brachte, ihr sechstes Kind", berichtet Michael Moser. "Sie hatte immer so gern heiraten wollen. Erst schrieb sie an meine Mutter in gespielter Empörung: Schon wieder ein Kind! Dann kam sie angereist und nahm das Baby auf ihren Schoß, als wollte sie es nie mehr hergeben." Und litt wie ein Hund darunter, dass Frisch und andere Liebhaber - von Hans Werner Henze bis Paul Celan - keinen Nachwuchs mit ihr wollten. "Ja, wussten Sie denn nicht, dass alle Männer krank sind", verblüffte sie einen Freund. Und vier Jahre lang nervte sie Max Frisch mit dem berühmt gewordenen Satz: "Erklär mir Liebe, was ich nicht erklären kann." Doch der schrieb danach schlecht über sie, nannte sie ein kleines Mädchen aus der Provinz. Noch in ihren letzten Lebensjahren litt sie so sehr an dieser Demütigung, dass ihr kein Gedicht mehr gelang. "Adieu, ihr schönen Worte mit euren Verheißungen. / Warum habt ihr mich verlassen. / War ich euch nicht wohl?" Und dann, nach dem Spott, die Trauer. "Ich habe euch hinterlegt bei einem Herzen, aus Stein."

1945 hat Ingeborg Bachmann Klagenfurt verlassen. Sie ging nach Wien, wo sie sich schnell als Lyrikerin einen Namen machte, nach Italien, München, Amerika. Doch obwohl die Bachmann mit Klagenfurt gebrochen hatte, kam sie nicht los von der Stadt. Zum Schlüsselerlebnis war der Einmarsch der Nazis geworden und deren frenetischer Empfang durch den überwiegenden Teil der Klagenfurter. "Bei Tisch sitzen die Kinder still, kauen lang an einem Bissen, während es im Radio gewittert und die Stimme des Nachrichtensprechers wie ein Kugelblitz in der Küche herumfährt und verendet, wo der Kochdeckel sich erschrocken über den zerplatzten Kartoffeln hebt. Auf den Straßen ziehen Kolonnen von Marschierenden. Die Fahnen schlagen über den Köpfen zusammen. ‚... bis alles in Scherben fällt', so wird gesungen draußen." Noch heute, erzählt Christian Moser, 31, ihr jüngster Neffe, wirft man ihr vor, dass sie den Einmarsch gar nicht erlebt haben könne, weil sie an diesem Tag mit Diphterie im Krankenhaus gelegen hätte. "Man nimmt immer noch übel, nach so vielen Jahren", wundert er sich. Und grämt sich darüber, dass er seine Tante nicht bewusst wahrgenommen hat. "Ich war einfach zu spät dran." Da nützt es ihm auch nichts, wenn ihm alle erzählen, dass sie stundenlang mit ihm gespielt habe. "Sie konnte herzhaft lachen", glaubt er sich zu erinnern. Heute organisiert er mit Schauspielern Bachmann-Lesungen, arbeitet mit dem Komponisten Dieter Schnebel zusammen, der die Bachmann-Verse vertont, und er war auch der Wortführer des Bachmann-Clans, als es gegen Haider ging. Nach dem Wahlerfolg der FPÖ gehörte Christian Moser zu denen, die in Wien Mahnwachen organisierten. Seine Familie brachte er dazu, zu intervenieren, der Name Bachmann sollte nicht mehr vom Kärntner Landeshauptmann in den Mund genommen werden. Haider reagierte scharf, der Bachmann-Wettbewerb sei eine tote Leseveranstaltung, gehe am Land vorbei, interessiere nur ein paar Intellektuelle. Die organisierten für dieses Jahr, in dem der Wettbewerb zum 25. Mal stattfindet, im Stadthaus die Fotoschau "Klagenfurt und kein Ende", in dem Isolde Ohlbaums Bilder von der Bachmann-Preis-Ehrung gezeigt werden.

Bachmann musste Klagenfurt verlassen, um sich zu retten. Aber ihre sterblichen Überreste sind zurück gekehrt. Auf dem Friedhof am Flughafen hat man sie bestattet, das Grab säumt eine schlichte Steinwand, die zu wuchtig ausgefallen ist. "Sie hat bis zuletzt pro Woche zwei bis drei Briefe an Mitglieder der Familie geschrieben", erzählt Christian Moser. Gemeinsam mit seiner 73-jährigen Mutter und deren Bruder verwaltet er den Nachlass. Im vergangenen Herbst gab er unter dem Titel "Ich weiß keine bessere Welt" unveröffentliche Gedichte der Bachmann heraus. Die prekären Teile des Nachlasses, etwa der umfangreiche Briefwechsel mit Max Frisch, dürfen vor 2025 nicht publiziert werden. Der Erbe ist sicher, dass es auch dann noch eine große Bachmann-Gemeinde geben wird. In diesem Jahr bringt es seine Tante zum Jubiläum erstmals zu einem Denkmal in Klagenfurt. Die sechs Meter lange "Welle" mit eingravierten Texten der Dichterin wird nicht im Zentrum aufgestellt, sondern in einem Außenbezirk.

Aber immerhin: Die Stadt muss mit ihrer Chronistin leben, sie kann sie nicht mehr ausgrenzen. Obwohl das Kunstwerk nicht von der Stadt, sondern von der österreichischen Stahlindustrie gestiftet wurde. "O Stadt. Stadt. Ligusterstadt, aus der alle Wurzeln hängen", schrieb Ingeborg Bachmann. Und berichtet, dass sie den Mantelkragen höher zog, wenn sie "blicklos" die Durchlaßstraße querte. "Wo die Stadt aufhört, wo die Gruben sind... kann man sich niederlassen einen Augenblick und das Gesicht in die Hände geben. Man weiß dann, dass alles war, wie es war, dass alles ist, wie es ist, und verzichtet, einen Grund zu suchen für alles. Denn da ist kein Stab, der dich berührt, keine Verwandlung... Nichts rührt dir ans Herz... Das Wenigste ist da, um uns einzuleuchten, und die Jugend gehört nicht dazu, auch nicht die Stadt, in der sie stattgehabt hat. Nur wenn der Baum vor dem Theater das Wunder tut, wenn die Fackel brennt, gelingt es mir, wie im Meer die Wasser, alles sich mischen zu sehen."

ServiceIngeborg Bachmann und Klagenfurt

ANREISE: Von Frankfurt im Direktflug mit Tyrolean Airways nach Klagenfurt. Bahnverbindungen von allen deutschen Städten. Mit dem Auto über Innsbruck oder Salzburg; für österreichische Autobahnen wird eine Vignette benötigt, die an der Grenze erhältlich ist.

BACHMANN-TERMINE: Rund um den 75. Geburtstag der Bachmann wird in Klagenfurt folgendes geboten: Vom 21. Juni bis zum 15. Juli zeigt die Alpen-Adria-Galerie im Klagenfurter Stadthaus (Theaterplatz 3, Mo-Fr 10-19, Sa 10-17, So 10-15 Uhr) die Ausstellung "Klagenfurt und kein Ende. Der Ingeborg-Bachmann-Preis. Bilder aus 25 Jahren". Die "Tage der deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt sind auf die Zeit vom 27. Juni bis 1. Juli gelegt und enden mit der Verleihung des Bachmann-Preises zum 25. Mal. Im Robert-Musil-Literatur-Museum (Bahnhofstr. 50, Mo-Fr 10-17, Sa bis 14 Uhr) wurde vor fünf Jahren ein "Bachmann-Raum" eingerichtet, in dem vor allem ihre Klagenfurter Zeit dokumentiert ist.

BACHMANN-STADTRUNDGANG: Der Direktor des Klagenfurter Literatur-Museums, Heimo Strempfl, hat einen Rundgang "Auf den Spuren von Ingeborg Bachmann" zusammengestellt. In einem Prospekt listet er die wichtigsten Orte innerhalb des Stadtgebiets auf, die mit Ingeborg Bachmann in Verbindung zu bringen sind . Der Prospekt ist im Museum erhältlich (Adresse s.o.)

LITERATUR: Ingeborg Bachmann, Ich weiß keine bessere Welt. Unveröffentlichte Gedichte. Piper Verlag, München 2000, 195 Seiten, 38 Mark. Einsam sind alle Brücken. Autoren schreiben über Ingeborg Bachmann. Piper Verlag, München 2001, 128 Seiten, 28 Mark.

AUSKUNFT: Klagenfurt Tourismus, Rathaus, Neuer Platz, A-9010 Klagenfurt, Tel. 0043/463/537223, Fax 537295, Internet www.info.klagenfurt.at, E-Mail tourismus@klagenfurt.at; Österreich Werbung, Mannheimer Str. 15, 60329 Frankfurt, Tel. 069/24242521, Fax 250741, Internet www.austria-tourism.at, E-Mail info@oewfra.de


Herz aus Stein

Ingeborg Bachmann fand ihren Geburtsort Klagenfurt unerträglich. Am 25. Juni wäre die große Schriftstellerin 75 Jahre alt geworden - die Kärntner Landeshauptstadt begeht den Tag auf ihre Weise.

Von Roland Mischke

Die Fenster sind funktionslose Torsi, die Fassade ist verwittert. Vom einst stattlichen Gründerzeithaus in der Klagenfurter Durchlaßstraße blieb nur eine Teilfassade. Der Eigentümer ließ sie aus wirtschaftlichen Erwägungen stehen. Denn er baut Appartments neben der Fassade. Und die Wohnungen lassen sich besser verkaufen, wenn der neue Eigentümer erfährt, dass in dem Haus 1926 Ingeborg Bachmann geboren wurde und sieben Jahre mit Eltern und Geschwistern lebte. Österreichs größte Dichterin als Zugpferd der Bauindustrie. Zehn Jahre lang konnten sich Klagenfurts Stadtobere nicht entscheiden, ob sie das Haus kaufen und zum Bachmann-Museum umwandeln sollten. Dann hatte der Baulöwe sie besiegt. Hatte die Missgunst obsiegt. Denn in Kärntens Landeshauptstadt hat man nicht vergessen, dass die Bachmann einst schrieb: "Man müsste überhaupt ein Fremder sein, um einen Ort wie Klagenfurt länger als eine Stunde erträglich zu finden..."

Dachte sie an die Durchlaßstraße, erinnerte sich Ingeborg Bachmann an die Atmosphäre. "In dem Mietshaus müssen die Kinder die Schuhe ausziehen und in Strümpfen spielen, weil sie über dem Hausherrn wohnen. Sie dürfen nur flüstern und werden sich das Flüstern nicht mehr abgewöhnen in diesem Leben. In der Schule sagen die Lehrer zu ihnen: Schlagen sollte man euch, bis ihr den Mund auftut... Zwischen dem Vorwurf, zu laut zu sein, und dem Vorwurf zu leise zu sein, richten sie sich schweigend ein." So heißt es in dem Prosastück Jugend in einer österreichischen Stadt. Wer am anderen Ende der Stadt im Geburtshaus von Robert Musil landet, in dem es eine kleine Abteilung für die Bachmann gibt, kann dort alte Fernsehbilder sehen und hören, wie dünn, zaghaft, brüchig ihre Stimme war.

Als die Familie in den 30er Jahren umzog in die Henselstraße, in "ein Haus ohne Hausherr, in eine Siedlung, die unter Hypotheke zahm und engherzig ausgekrochen ist", war das ein enormer Fortschritt. Die Zimmer "geräumig und zentralgeheizt", "links eine Nachbarschaft mit Boxerhund und rechts Kinder, die Bananen essen, Reck und Ringe im Garten aufgemacht haben und schwingend den Tag verbringen", nur "eine Straße weit von der Radetzkystraße, durch die, elektrischrot und großmäulig, die Straßenbahn fährt".

Die Straßenbahn ist abgeschafft, die Radetzkystraße gehört den Autos. Wer stadteinwärts flaniert, geht den Weg der jungen Ingeborg in die Ursulinenschule, ein früheres Kloster. Man sieht, wie sie, die "blassen genesenden Häuser unter dunklen Ziegelschöpfen" und, neben dem Jugendstil-Stadttheater, den "Baum, der vor jenen dunkelroten Kirschbäumen steht, die keine Früchte bringen". Noch heute ist er in mancher Jahreszeit "entflammt... ein so unmäßiger goldner Fleck, dass er aussieht, als wäre er eine Fackel, die ein Engel fallen gelassen hat". Rechts geht es ab in die Ursulinengasse, Ingeborgs Schule ist immer noch Schule, dass Portal sieht noch genau so aus wie zu ihrer Zeit, nur vor den Lehrern haben die Schüler keine Angst mehr und keiner von ihnen flüstert auf dem Schulhof. Den Lärm grundieren Glocken der Domkirche, ab 1581 als protestantisches Gotteshaus errichtet und später von den Jesuiten übernommen, mit ihrem dumpf nachhallenden Klang.

"In diese Stadt ist man selten aus einer anderen Stadt gezogen, weil ihre Verlockungen zu gering waren", schrieb die Bachmann. Und vergaß die barocken Häuser mit ihren Arkadenhöfen, die Passagen und die kurvenden Gassen, die Plätze mit ihren Denkmälern, die pompösen Palais, die Berge ringsumher, die sich wie ein Theaterbild aufbauen, und den Wörthersee, an den die Stadt grenzt und den die Familie an Sommersonntagen wandernd über das Kreuzbergl erreichte, weil die Kinder im wärmsten Alpensee Europas das Schwimmen lernen sollten.

Das Haus in der Henselgasse mit seinen bunten Holzläden vor den Fenstern, dem Garten mit Phlox und Flieder, Apfel- und Birnbäumen und dem Keller mit seinen Gerüchen und dunklen Geheimnissen hat die Bachmann bis zum Lebensende inspiriert. Hier lernte sie Französisch, spielte Klavier, sinnierte über die Liebe, über "einen nächtlichen Streit im Elternzimmer" und erfand mit Schwester Isolde und Bruder Heinz "eine Sprache, die sie toll macht. Mein Fisch. Meine Angel. Mein Fuchs. Meine Falle. Mein Feuer. Du mein Wasser. Du meine Welle. Meine Erdung. Du mein Wenn. Und du mein Aber. Entweder. Oder. Mein Alles... mein Alles..."

Bruder Heinz ist Manager und pendelt zwischen London und Madrid. Schwester Isolde, verheiratete Moser, hat sich aufs Land zurückgezogen. Ihr Sohn Michael Moser, 46, Drogist am städtischen Krankenhaus, pflegt den Garten des großelterlichen Hauses, das leer steht und in dem sich mal der eine, mal der andere der Familie auf Heimbesuch für ein paar Tage einnistet. "Die Inge liebte Kinder abgöttisch", sagt er und hantiert mit dem Schlauch. "Wir haben unsere Tante nur selten zu sehen bekommen, aber wenn sie hier war, dann war sie ganz für uns da. Als sie starb, war ich achtzehn, kurz zuvor war mein Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Das war eine ganz schlimme Zeit, damals, 1973." Ingeborg Bachmann hatte in ihrer römischen Wohnung Verbrennungen davon getragen, als sie mit einer glühenden Zigarette im Bett döste und die Kissen Feuer fingen. Als sie, 47-jährig, ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatten die Ärzte den Eindruck, dass sie nicht mehr leben wollte. Nach einigen Wochen war sie tot.

Es war nicht das Feuer, das ihr den Tod brachte. Es war die Einsamkeit. "Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein." Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten, dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch, floh die Bachmann nach Berlin, musste sich in die Psychiatrie begeben, war seitdem abhängig von Drogen ("die Gnade Morphium"), ging dann nach Rom, war dort allein, fühlte sich verschmäht, plötzlich alt. "Es war hart für die Inge, als meine Mutter 1970 meinen jüngsten Bruder Christian zur Welt brachte, ihr sechstes Kind", berichtet Michael Moser. "Sie hatte immer so gern heiraten wollen. Erst schrieb sie an meine Mutter in gespielter Empörung: Schon wieder ein Kind! Dann kam sie angereist und nahm das Baby auf ihren Schoß, als wollte sie es nie mehr hergeben." Und litt wie ein Hund darunter, dass Frisch und andere Liebhaber - von Hans Werner Henze bis Paul Celan - keinen Nachwuchs mit ihr wollten. "Ja, wussten Sie denn nicht, dass alle Männer krank sind", verblüffte sie einen Freund. Und vier Jahre lang nervte sie Max Frisch mit dem berühmt gewordenen Satz: "Erklär mir Liebe, was ich nicht erklären kann." Doch der schrieb danach schlecht über sie, nannte sie ein kleines Mädchen aus der Provinz. Noch in ihren letzten Lebensjahren litt sie so sehr an dieser Demütigung, dass ihr kein Gedicht mehr gelang. "Adieu, ihr schönen Worte mit euren Verheißungen. / Warum habt ihr mich verlassen. / War ich euch nicht wohl?" Und dann, nach dem Spott, die Trauer. "Ich habe euch hinterlegt bei einem Herzen, aus Stein."

1945 hat Ingeborg Bachmann Klagenfurt verlassen. Sie ging nach Wien, wo sie sich schnell als Lyrikerin einen Namen machte, nach Italien, München, Amerika. Doch obwohl die Bachmann mit Klagenfurt gebrochen hatte, kam sie nicht los von der Stadt. Zum Schlüsselerlebnis war der Einmarsch der Nazis geworden und deren frenetischer Empfang durch den überwiegenden Teil der Klagenfurter. "Bei Tisch sitzen die Kinder still, kauen lang an einem Bissen, während es im Radio gewittert und die Stimme des Nachrichtensprechers wie ein Kugelblitz in der Küche herumfährt und verendet, wo der Kochdeckel sich erschrocken über den zerplatzten Kartoffeln hebt. Auf den Straßen ziehen Kolonnen von Marschierenden. Die Fahnen schlagen über den Köpfen zusammen. ‚... bis alles in Scherben fällt', so wird gesungen draußen." Noch heute, erzählt Christian Moser, 31, ihr jüngster Neffe, wirft man ihr vor, dass sie den Einmarsch gar nicht erlebt haben könne, weil sie an diesem Tag mit Diphterie im Krankenhaus gelegen hätte. "Man nimmt immer noch übel, nach so vielen Jahren", wundert er sich. Und grämt sich darüber, dass er seine Tante nicht bewusst wahrgenommen hat. "Ich war einfach zu spät dran." Da nützt es ihm auch nichts, wenn ihm alle erzählen, dass sie stundenlang mit ihm gespielt habe. "Sie konnte herzhaft lachen", glaubt er sich zu erinnern. Heute organisiert er mit Schauspielern Bachmann-Lesungen, arbeitet mit dem Komponisten Dieter Schnebel zusammen, der die Bachmann-Verse vertont, und er war auch der Wortführer des Bachmann-Clans, als es gegen Haider ging. Nach dem Wahlerfolg der FPÖ gehörte Christian Moser zu denen, die in Wien Mahnwachen organisierten. Seine Familie brachte er dazu, zu intervenieren, der Name Bachmann sollte nicht mehr vom Kärntner Landeshauptmann in den Mund genommen werden. Haider reagierte scharf, der Bachmann-Wettbewerb sei eine tote Leseveranstaltung, gehe am Land vorbei, interessiere nur ein paar Intellektuelle. Die organisierten für dieses Jahr, in dem der Wettbewerb zum 25. Mal stattfindet, im Stadthaus die Fotoschau "Klagenfurt und kein Ende", in dem Isolde Ohlbaums Bilder von der Bachmann-Preis-Ehrung gezeigt werden.

Bachmann musste Klagenfurt verlassen, um sich zu retten. Aber ihre sterblichen Überreste sind zurück gekehrt. Auf dem Friedhof am Flughafen hat man sie bestattet, das Grab säumt eine schlichte Steinwand, die zu wuchtig ausgefallen ist. "Sie hat bis zuletzt pro Woche zwei bis drei Briefe an Mitglieder der Familie geschrieben", erzählt Christian Moser. Gemeinsam mit seiner 73-jährigen Mutter und deren Bruder verwaltet er den Nachlass. Im vergangenen Herbst gab er unter dem Titel "Ich weiß keine bessere Welt" unveröffentliche Gedichte der Bachmann heraus. Die prekären Teile des Nachlasses, etwa der umfangreiche Briefwechsel mit Max Frisch, dürfen vor 2025 nicht publiziert werden. Der Erbe ist sicher, dass es auch dann noch eine große Bachmann-Gemeinde geben wird. In diesem Jahr bringt es seine Tante zum Jubiläum erstmals zu einem Denkmal in Klagenfurt. Die sechs Meter lange "Welle" mit eingravierten Texten der Dichterin wird nicht im Zentrum aufgestellt, sondern in einem Außenbezirk.

Aber immerhin: Die Stadt muss mit ihrer Chronistin leben, sie kann sie nicht mehr ausgrenzen. Obwohl das Kunstwerk nicht von der Stadt, sondern von der österreichischen Stahlindustrie gestiftet wurde. "O Stadt. Stadt. Ligusterstadt, aus der alle Wurzeln hängen", schrieb Ingeborg Bachmann. Und berichtet, dass sie den Mantelkragen höher zog, wenn sie "blicklos" die Durchlaßstraße querte. "Wo die Stadt aufhört, wo die Gruben sind... kann man sich niederlassen einen Augenblick und das Gesicht in die Hände geben. Man weiß dann, dass alles war, wie es war, dass alles ist, wie es ist, und verzichtet, einen Grund zu suchen für alles. Denn da ist kein Stab, der dich berührt, keine Verwandlung... Nichts rührt dir ans Herz... Das Wenigste ist da, um uns einzuleuchten, und die Jugend gehört nicht dazu, auch nicht die Stadt, in der sie stattgehabt hat. Nur wenn der Baum vor dem Theater das Wunder tut, wenn die Fackel brennt, gelingt es mir, wie im Meer die Wasser, alles sich mischen zu sehen."

ServiceIngeborg Bachmann und Klagenfurt

ANREISE: Von Frankfurt im Direktflug mit Tyrolean Airways nach Klagenfurt. Bahnverbindungen von allen deutschen Städten. Mit dem Auto über Innsbruck oder Salzburg; für österreichische Autobahnen wird eine Vignette benötigt, die an der Grenze erhältlich ist.

BACHMANN-TERMINE: Rund um den 75. Geburtstag der Bachmann wird in Klagenfurt folgendes geboten: Vom 21. Juni bis zum 15. Juli zeigt die Alpen-Adria-Galerie im Klagenfurter Stadthaus (Theaterplatz 3, Mo-Fr 10-19, Sa 10-17, So 10-15 Uhr) die Ausstellung "Klagenfurt und kein Ende. Der Ingeborg-Bachmann-Preis. Bilder aus 25 Jahren". Die "Tage der deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt sind auf die Zeit vom 27. Juni bis 1. Juli gelegt und enden mit der Verleihung des Bachmann-Preises zum 25. Mal. Im Robert-Musil-Literatur-Museum (Bahnhofstr. 50, Mo-Fr 10-17, Sa bis 14 Uhr) wurde vor fünf Jahren ein "Bachmann-Raum" eingerichtet, in dem vor allem ihre Klagenfurter Zeit dokumentiert ist.

BACHMANN-STADTRUNDGANG: Der Direktor des Klagenfurter Literatur-Museums, Heimo Strempfl, hat einen Rundgang "Auf den Spuren von Ingeborg Bachmann" zusammengestellt. In einem Prospekt listet er die wichtigsten Orte innerhalb des Stadtgebiets auf, die mit Ingeborg Bachmann in Verbindung zu bringen sind . Der Prospekt ist im Museum erhältlich (Adresse s.o.)

LITERATUR: Ingeborg Bachmann, Ich weiß keine bessere Welt. Unveröffentlichte Gedichte. Piper Verlag, München 2000, 195 Seiten, 38 Mark. Einsam sind alle Brücken. Autoren schreiben über Ingeborg Bachmann. Piper Verlag, München 2001, 128 Seiten, 28 Mark.

AUSKUNFT: Klagenfurt Tourismus, Rathaus, Neuer Platz, A-9010 Klagenfurt, Tel. 0043/463/537223, Fax 537295, Internet www.info.klagenfurt.at, E-Mail tourismus@klagenfurt.at; Österreich Werbung, Mannheimer Str. 15, 60329 Frankfurt, Tel. 069/24242521, Fax 250741, Internet www.austria-tourism.at, E-Mail info@oewfra.de

 

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