Kurier, Wien
2. Juli 2001
Mutter, Vater, Autor . . .
Mit einem Text von autobiografischen Zuschnitt ist die Fallhöhe
sehr hoch, da kann man auch durchfallen. So der 37-jährige
Autor Michael Lentz, der in dieser Hinsicht viel gewagt und damit
den erstmals mit 300.000 Schilling dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis
2001 gewonnen hat.
Der Preis der Jury (200.000 Schilling) ging
an die in Graz lebende Deutsche Jenny Erpenbeck, Antje Ravic Strubel
erhielt den Ernst Willner Preis (120.000 Schilling), Katrin Askan
den 3sat Preis (100.000 Schilling). Alle Preisträger kommen
aus Deutschland, was kaum verwundert, war die Schweiz nur mit zwei,
Teilnehmern, Österreich gar nur mit einem vertreten.
MUTTER UND VATER
Vielleicht war es kein Zufall, dass die Eltern in beiden Siegertexten
eine wesentliche Rolle spielten. Von seiner Mutter, die nach dem
Krieg heimkehrt, erzählt der Vater in dem schönen Text
Sibirien der Enkelin Jenny Erpenbeck, der
bereits 1999 mit der Geschichte vom alten Kind ein Bucherfolg
gelang. Aus der autobiografischen Perspektive des Sohnes berichtet
Michael Lentz unsentimental vom Muttersterben, von der
Krankheitsgeschichte seiner Mutter. Der 1964 in Düren geborene
Autor war schon 1998 damals allerdings erfolglos in
Klagenfurt dabei, mit einem experimentellem Text, der viel eher
seinen Anfängen aus der auch an Jandl orientierten Lautpoesie
entsprach. (Seine Texte erscheinen in der Wiener edition selene).
Großartig, wenn einmal ein Schmerz zu seiner Sprache
kommt, lobte Juror Burkhard Spinnen, der den Preisträger
eingeladen hatte. Dieser wiederum lobte, die Jury sei in Hochform
gewesen.
WEICHGESPÜLT
Viel Lob überhaupt im diesmal milden Klagenfurter Klima.
Auch im gröbsten Wortsand fand man noch ein Goldkorn,
beim Für und Wider (Was einen unterhält, kann einen
anderen langweilen) siegte das Prinzip: Im Zweifelsfall für
den Autor. Gepflegt gings auch in der Kritikerrunde zu, die
hauptsächlich aus Autoren bestand, was zugleich ein Grund für
die weichgespülten Diskussionen sein könnte. Alle hatten
sie brav, mit Hilfe von Internet-Recherchen gar , ihre Hausaufgaben
gemacht. Die Zeiten, da Berufskritiker spontan aufjaulten, lustvoll
die Klingen kreuzten, scheinen nach 25 Jahren unwiederbringlich
der Geschichte des Bewerbs anzugehören. Man könnte
ja zu einem anderen Event gehen, parierte Jury-Vorsitzender
Robert Schindel die Erwartungshaltung, dass sich die Juroren gegenseitig
die Goschn einhauen.
WELL MADE
Brav und wenig provokant ebenso die Texte. Well made
Story, ein Attribut des Kritikers Denis Scheck, traf auf sehr viele
Geschichten zu. Handwerklich gut gemachte, zu oft aber wenig inspirierte
Texte aus dem Dunstkreis der eigenen Biografie. Kaum Kanten und
Spitzen, kaum Außenwelt, Politik kommt ja schon längst
mehr in die Literatur, die Sprache selbst höchst selten zur
Sprache. Ausnahmen waren diesbezüglich Brigitte Schär
und Norbert Müller, der in seiner Literatursatire sogar die
seltene Qualität des Humors einbrachte. Wenig Höhepunkt
bei diesem zum Jubliäum ausgerufenen 25. Wettbewerb. Ingeborg
Bachmann wäre 75 geworden!
© Kurier bzw. Kurier Online - Wien, 2001. Alle Inhalte dienen
der persönlichen Information. Eine Weiterverwendung und Reproduktion
über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.
29. Juni 2001
Preislesen startet viel versprechend
Ludwig Laher hatte es schwer. Die Startnummer
eins ist beim Wettlesen in Klagenfurt keine gute. Aber auch ein
späterer Startplatz hätte dem einzigen Österreicher
in diesem Rennen wenig geholfen. Sein relativ freundlich aufgenommener
Text Fluchtanstalt, eine Globalisierungsvernaderung
, wie Denis Scheck in Anspielung an die Diktion des lokalen Provinzpolitikers
meinte, hatte gegen zwei andere Texte des ersten Vormittags kaum
Chancen. Zuwenig Goldkörner im Satzsand befand
Neo-Juror Thomas Widmer aus der Schweiz, außerordentlich
erkenntnisreich glich Jury-Wiederkehrerin Konstanze Fliedl
aus, die dann mit dem Urteilsspruch Geriatrische Erotik
den zweiten Autor, Heiner Link, im Handstreich vernichtete.
Euphorisch wurde hingegen die stehende Lesung
Antje Ra´vic Strubels aufgenommen, das Märchen
von der selbstgewählten Verführung eine Beziehungssgeschichte
aus dem Potsdam des Jahres 1978, über das die Kritikerrunde
erstmals ins Schwärmen kam. Zwischen Durchsichtigkeit
und Geheimnis schwebe er diskret, befand Fliedl, die Schönheit
des Textes sei seine Unausdeutbarkeit, so Dennis Scheck,
Birgit Vanderbeke lobte die eiskalte, spröde Tristesse.
Für Klagenfurter Verhältnisse lustig
gings Lustig in die Welt hinein , so der Titel
des Romans, aus dem Norbert Müller eine Kostprobe gab. Zwischen
Kafka und Donald Duck siedelte die Jury diese auch sprachlich
gelungene Satire aus dem Literaturmilieu an.
© Kurier bzw.
Kurier Online - Wien, 2001. Alle Inhalte dienen der persönlichen
Information. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den
persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.
|