Neue Luzerner Zeitung
23. Juni 2001
VON ISOLDE SCHAAD
Ingeborg Bachmann wurde vor 75 Jahren geboren
Erklär mir, Leben und das Unsagbare
Unerklärt, missverstanden bleibt Ingeborg
Bachmanns Werk. Die Deckschichten abzutragen, die die Fama und Verklärung
ihrer Person darauf abgelegt haben, ist es allmählich an der
Zeit.
Nun wäre sie eine alte Dame, die man
sich kaum beim Patience-Legen vorstellen kann. Man kann sie sich
überhaupt nicht alt vorstellen, diese ruhelos Suchende, dichtend
auf dem Alters-Diwan. Weil die Intensität ihres Schreibens,
diese oft flehende Dringlichkeit, ein Umstand der Jugend ist und
ihres Ungestüms, nach den Sternen zu greifen. Daraus sind ihre
Gedichte gemacht, «Die Anrufung des grossen Bären»
und «Die gestundete Zeit», die zum Wunderbarsten gehören,
was die deutsche Lyrik hervorgebracht hat. Auch sie hat ihrem Jahrhundert
ein neues, ein anderes Lied gesungen, hundertfünfundzwanzig
Jahre nach Heine, einem Geistesverwandten, ein kultureller Nomade
wie sie.
Sie ist dabei immer und gegen jedes Gerücht eine Frau von heute,
ihre Hörspiele und ihre Prosa prickeln von urbaner Modernität.
Dass diese Frau Huldigung durchaus genoss und gern mit der Pelzstola
und einem Begleiter ausging, davon wussten Kollegen, Hermann Burger
etwa, Hermann Kesten oder Wolfgang Hildesheimer, der sie als Berufsfrau
wohl am besten verstand.
Gegen das Klischee
Die elegante Bewegung ist auch in ihrer Haltung
und Kleidung, und die sehr bewusst, die Zigarette zwischen sprechenden
Händen, unweit der Empfehlung der Frauenzeitschrift; das darf
auch einmal gesagt sein, gegen das Klischee der unberührbaren
Hoheit der Dichtung. Und darüber erhebt sich das Lachen auf
einem entspannten Gesicht und der Humor zwischen weitgeöffneten
Lippen: ein Bachmann-Bild, das ich einer herzerfrischenden «DU»-Nummer
aus dem Jahre 1994 entnehme, und das allein weiss schon mehr von
einem gelebten Leben als all die bemühte Auslegung ihrer Vita,
die sie seit ihrem frühen Ruhm begleitet.
Das populärliterarische Klischee will sie zu rasch und zu sehr
als die grosse Tragische der deutschsprachigen Lyrik. Dabei haben
sie ihr Sensorium und ihre Urteilskraft nicht nur zu einer Seismografin
der Primär-, sondern auch der Sekundärliteratur gemacht.
Über Robert Musil, James Joyce, Thomas Wolfe, Franz Kafka und
Marcel Proust hat sie gearbeitet, als diese Weltautoren noch unbekannt
waren, und Proust und den bedeutenden Italiener Giuseppe Ungaretti
ins Deutsche gebracht, bevor sich das Gewölk der Fehlinterpretation
zusammenzog, das diesen Autoren leicht hätte drohen können.
Ihre überragende Gabe hat sie nämlich ebenso andern Dichtern
zukommen lassen, diese Leidenschaftliche der Wahrhaftigkeit, für
die das Wort «engagiert» zu bürokratisch klingt,
obschon es auch und gerade der Politik galt. Woher also die zähe
Fama einer weltfern Entrückten, gegen die sich offenbar nicht
anschreiben lässt, wie die Literaturwissenschafterin Sigrid
Weigel es versucht hat?
In der Sprache
Liegt es an ihrer Stimme, die immer schon
alt klang, eine Stimme, in der die Brüchigkeit eines Lebens
zittert, das alles schon weiss und erlitten hat? Liegt es an ihrem
abrupten Aufbruch von da nach dort, von Wien nach Rom, von Rom nach
New York und nach Zürich, von da nach Berlin und dann Klagenfurt,
die Kleinstadt, die sie gebar, aber nie beheimatet hat, und wieder
Berlin und wieder Zürich und wieder Rom? Aber auch in Rom liegt
der Horizont ihrer Arbeit im Norden und ihre Welt bei den Denkern
gegen die Katastrophe. Einen Pol hat sie nicht gehabt, und gelebt
hat sie in der Sprache, vor allem mit der Sprachphilosophie von
Walter Benjamin und Ludwig Wittgenstein. Diesen Ahnvater, Denkvater
muss sie lange Zeit wörtlich genommen haben: Denn worüber
man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen («Tractatus
logico-philosophicus»). Und als sie schon eine reife und in
Fülle preisgekrönte Schriftstellerin war, muss er sie
von neuem herausgefordert haben, diesmal zur Widerlegung, Überwindung
seiner These. Dennoch, oder sollte man sagen, gerade darum ist ihr
Werk voller Humor. Man braucht bloss wieder einmal ihre Erzählungen
«Simultan» zu lesen. Die Erzählerin ist auch eine
Entertainerin der Superklasse, um das salopp zu sagen, was man von
ihr auch wieder nicht will. Das hohe Gericht hat zu diesen Erzählungen
dann ein «unzureichend» gesprochen. Weil es «seine»
Bachmann ohne das kritische Auge wollte, das auf diese Art Rechtsprechung
zurückfallen könnte.
Extreme Privatheit
Also bleibt die Schriftstellerin Ingeborg
Bachmann ruchbar als Fall, Todesfall. Und nicht zuletzt hat sie
selber dem Mythos zugedient, mit der Versiegelung ihres Lebensrätsels
bis ins Jahr 2025, wenn ihre private Korrespondenz zugänglich
sein wird. Hat sich selber zu dieser extremen Privatheit verholfen,
von der Intimfreunde sprechen, indem sie Beziehungen so penibel
voneinander fernhielt, wie man den Dotter vom Eiweiss trennt. Die
Intrigen des Literaturbetriebs müssen dieser Autorin mehr zugesetzt
haben, als ihre fatale Heiligsprechung je wahrhaben will. Sie war
eine, die mit Sätzen körperlich lebte, und an ihnen zugrunde
ging, zuerst und zuletzt an ihrem Wahlspruch: die Wahrheit ist dem
Menschen zumutbar.
Verbrechen
Das Denken also die einzige Heimat dieser
Philosophin der Empathie, die in ihren letzten Jahren eine «Ethik
der Opfer» (Sigrid Weigel) entwickeln wollte. Das hat der
Literaturbetrieb nicht goutiert, schon gar nicht ihren Einsatz von
Leib und Leben für einen Verfemten der Nachkriegsdichtung,
für Paul Celan, der nach Frankreich auswandern musste: kein
Platz für einen Verstörten, Unbehausten, dem KZ Entronnenen,
im Vaterland deutscher Sprache nach 45, und Ingeborg Bachmann steht
mit ihm am Abgrund des «erstgeborenen Landes» und verlässt
es mit ihm. So ist ihr früher Tod noch nach achtundzwanzig
Jahren wie eine Lohe, nie Asche geworden, ein Unerklärtes,
in der alles nachglimmt, was sie wie eine Seherin sah und mit ins
Grab nahm, die Vorboten des Unheils, des Unerhörten, das keine
Geschichtsaufräumung je beseitigen wird.
Man würde sie gern unsterblich nennen, wäre das nicht
ein Treppenwitz über den tragischen Tod einer Aufklärerin
von extremer Diskretion. Manche wittern Selbstmord, andere sagen
Mord zu ihrem noch immer ungeklärten Brandtod von 1973 in ihrer
Römer Wohnung an der Via Giulia. Und «Mord» hat
sie fachlich und stofflich überaus interessiert. Das kriminelle
Potenzial des Menschen und die Gesamtdarstellung seiner Verbrechen
war ihr Thema nach dem Inferno des Zweiten Weltkriegs, und dafür
hat sie wie eine Reporterin recherchiert in Archiven, an Prozessen.
Um nichts weniger als eine Sprache zu finden für das Unsagbare
ihrer Zeit, dem Jahrhundert der Menschen- und Ideenvernichtung.
Das mag mit ein Grund sein, weshalb in den Achtziger- und Neunzigerjahren
ihr Werk niemand mehr richtig gewollt hat.
Ein neues Schreiben
So nahm es die feministische Literaturwissenschaft
in ihren Schoss, und machte sich mit ein paar Editionen in ihrem
Namen verdient. Damit entstand ein nächstes und weiteres Missverständnis
um Ingeborg Bachmann: Frauenliteratur, und da kann dann mit dem
Finger nach unten gezeigt werden, wie das manche ranghohe Kritiker
heute gern tun, im Verkennen einer Autorin, die man als Visionärin
einer Gender Gesellschaft durchaus neben Virginia Woolf stellen
könnte. Ihr Manns-Ich, das sie sich zulegt, um die Welt ? und
das war die Mannheit zu ihrer Zeit ? von innen her zu erleuchten,
hat man anders gelesen: als mangelnde Subjekt-Position. Die Scholastik
hat den Roman «Malina» nicht begriffen, dieses Schlüsselwerk
eines neuen Schreibens, ein Meisterwerk der Konjugation; wenn «er»
«sie» wird, und «sie» «es»,
dann sind wir schon an der Pforte einer Literatur, die in den multimedialen
Raum vorstösst.
|