"DIE LUST AM ERZÄHLEN"
25 Jahre Ingeborg-Bachmann-Preis

Ein Rückblick der ORF ON Redaktion Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und der Telekom Austria.


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Beim Frühstück im Jugendstilhotel mitten in Klagenfurt, wo Autoren je nach Stand der Dinge aufgescheucht, mit triumphierenden oder wissenden Gesichtern, aber auch geknickt ein- und ausgehen, zählte der Schweizer Lyriker Christian Uetz am Morgen nach seiner Lesung die Fingerchen: Auf die positive Seite schlug er jene Juroren, die vermeintlich für ihn waren, auf die negative die sogenannten Gegner. So einfach und so kompliziert ist das in Klagenfurt. Und so falsch, wie die Preisverleihung am Sonntagmorgen im Klagenfurter ORF-Theater wieder neu bewies.

Fotos: ORF Kärnten


Kommt die Affirmation aus der Mode? Zum Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb

Gut, dass es die Kleine Zeitung gibt. Jeden Morgen liegt sie im Hotel vor der Zimmertür. Sie informiert über die ganze Welt, über Clinton, über die Schönheits- und Mostköniginnen in Kärnten, und am letzten Tag des 23. Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preises erfährt man noch mehr: Dank einer Umfrage unter den Juroren des bekanntesten Literaturwettbewerbs im deutschsprachigen Raum weiß man jetzt, dass Thomas Hettche 164 Seiten lesen muss, um zu wissen, ob ein Buch etwas taugt; dass Robert Schindel 75 Seiten genügen: "Was lesen Sie beim Frisör?" Ein kleiner Medien-Scherz, und die Juroren waren sich nicht zu fein. Sie machten mit.

Eine harmlose Sache, jeder macht noch ganz andere Sachen mit: "Wir sind eine widerstandslose Gesellschaft geworden, sagte Thomas Jonigk nach seiner Lesung. Sein Text "Jupiter" provozierte als einziger das Klagenfurter Publikum, weil er Abscheulichkeiten in einer "netten" Sprache beschrieb. "Als ich aus dem Toiletteninneren auftauchte und mich umblickte, bemerkte ich, wie der türkische Mitbürger mit dem schwarzen Oberhemd zwanzig bis zweiundzwanzig blutgefüllte Zentimeter in einen Körper versenkte, der offensichtlich meiner war. Irgendwie musste die Verbindung zu mir verlorengegangen sein. Ich wusste nicht, wie ich das finden sollte."
Gezeigt wird eine Vergewaltigung auf dem Klo einer Schwulenkneipe. Der innere Abstand zu den eigenen Gefühlen, die Distanz zur Tat des Vergewaltigers ist wichtig. Er ist eine der Bedingungen für die unbedingte Affirmation, die nach Jonigk unser Leben bestimmt: "Gastfreundlich gewährte ich Pedro den fünfzehnten Verkehr. Ich fühlte nichts, aber ich fühlte mich gut. Ich bestand ganz einfach darauf, mich gut zu fühlen."

Jonigks Erzähler fällt nie aus der Rolle, er wird nie "kritisch", nie "negativ" gegenüber dem, was ihm da passiert. Das Konzept des Texts ist gut durchdacht und wird spielerisch realisiert: "Täter" und "Opfer" verlassen gemeinsam das Klo: "Ich freue mich über jede Form des Kontakts. Es hat keinen Sinn, sich gegen die Außenwelt aufzulehnen, von der man dann doch nur abgelehnt und auf eine Innenwelt zurückgeworfen wird."

Eines der auffälligsten Zeichen, dass Ablehnung als Haltung wieder salonfähig geworden ist, war der große Erfolg von Michel Houellebecqs Roman "Ausweitung der Kampfzonen" in Deutschland. "Ekel" ist das häufigste, fast das einzige Gefühl, das sein einsamer Held aufbringen kann: "Ekel", ein kulturwissenschaftliches Buch mit diesem Titel, wäre noch vor ein paar Jahren als so altmodisch wie Sartre wahrgenommen worden, doch heute ist dem gleichnamigen Buch von Winfried Menninghaus erhöhte Experten-Aufmerksamkeit sicher.
Der von Silvia Bovenschen vorgeschlagene Thomas Jonigk, 1966 geboren, hat mit Stefan Bachmann zusammen das "Theater Affekt" gegründet. Er erhielt in Klagenfurt keinen der fünf Preise: mehrmals genannt, fiel er beim komplizierten Auswahlverfahren durch; nur einzelne Jury-Mitglieder schienen den Text überhaupt verstanden zu haben, und sprachlich kann "Jupiter" durchaus verbessert werden.

[Hans Peter Kunisch, Süddeutsche Zeitung, 29.6.1999]


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