"DIE LUST
AM ERZÄHLEN" 25 Jahre Ingeborg-Bachmann-Preis Ein Rückblick der ORF ON Redaktion Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und der Telekom Austria.
Da es nicht ist, ist es immer nicht da Kommt die Affirmation aus der Mode? Zum Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb Gut, dass es die Kleine Zeitung gibt. Jeden Morgen liegt sie im Hotel vor der Zimmertür. Sie informiert über die ganze Welt, über Clinton, über die Schönheits- und Mostköniginnen in Kärnten, und am letzten Tag des 23. Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preises erfährt man noch mehr: Dank einer Umfrage unter den Juroren des bekanntesten Literaturwettbewerbs im deutschsprachigen Raum weiß man jetzt, dass Thomas Hettche 164 Seiten lesen muss, um zu wissen, ob ein Buch etwas taugt; dass Robert Schindel 75 Seiten genügen: "Was lesen Sie beim Frisör?" Ein kleiner Medien-Scherz, und die Juroren waren sich nicht zu fein. Sie machten mit. Eine harmlose Sache, jeder macht noch ganz andere
Sachen mit: "Wir sind eine widerstandslose Gesellschaft geworden,
sagte Thomas Jonigk nach seiner Lesung. Sein Text "Jupiter"
provozierte als einziger das Klagenfurter Publikum, weil er Abscheulichkeiten
in einer "netten" Sprache beschrieb. "Als ich aus dem Toiletteninneren
auftauchte und mich umblickte, bemerkte ich, wie der türkische Mitbürger
mit dem schwarzen Oberhemd zwanzig bis zweiundzwanzig blutgefüllte
Zentimeter in einen Körper versenkte, der offensichtlich meiner war.
Irgendwie musste die Verbindung zu mir verlorengegangen sein. Ich wusste
nicht, wie ich das finden sollte." Jonigks Erzähler fällt nie aus der Rolle, er wird nie "kritisch", nie "negativ" gegenüber dem, was ihm da passiert. Das Konzept des Texts ist gut durchdacht und wird spielerisch realisiert: "Täter" und "Opfer" verlassen gemeinsam das Klo: "Ich freue mich über jede Form des Kontakts. Es hat keinen Sinn, sich gegen die Außenwelt aufzulehnen, von der man dann doch nur abgelehnt und auf eine Innenwelt zurückgeworfen wird." Eines der auffälligsten Zeichen, dass Ablehnung
als Haltung wieder salonfähig geworden ist, war der große Erfolg
von Michel Houellebecqs Roman "Ausweitung der Kampfzonen" in
Deutschland. "Ekel" ist das häufigste, fast das einzige
Gefühl, das sein einsamer Held aufbringen kann: "Ekel",
ein kulturwissenschaftliches Buch mit diesem Titel, wäre noch vor
ein paar Jahren als so altmodisch wie Sartre wahrgenommen worden, doch
heute ist dem gleichnamigen Buch von Winfried Menninghaus erhöhte
Experten-Aufmerksamkeit sicher. [Hans Peter Kunisch, Süddeutsche Zeitung,
29.6.1999]
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