Langenegger eröffnete das Wettlesen
"Lesen ist mir lieber als zuhören", sagt der Autor Lorenz Langenegger von sich. Wie gut, dass sein Text "Der Mann mit der Uhr" die 33. Ausgabe der Tage der deutschsprachigen Literatur eröffnen durfte. Die Jury kam bei dem Text des kaum 30-Jährigen zu einem "ungefähren Urteil" (Clarissa Stadler)
"Der Mann mit der Uhr"
"Ob es ein Trost ist, dass der Kindergarten näher liegt als der Friedhof?" fragt sich der arbeitslose Viktor, der auf einem Friedhof dem "Mann mit der Uhr" begegnet, in Langeneggers Text.
Lorenz Langenegger
Videoporträt
Lesung
Diskussion
Feßmann: Vom Text "befremdet"
Der in der Schweiz geborene Autor Langenegger wurde von seinem Landsmann Alain Claude Sulzer zur Teilnahme am Bewerb vorgeschlagen. Dessen neue Jurykollegin Meike Feßmann machte den Anfang: Sie zeigte sich "etwas befremdet" vom Text: Dieser trage expressionistische Züge a`la Albert Ehrenstein und benütze das typische "Kafka-Vokabular", wie Tüchtigkeit, Kommission oder Versicherungsgesellschaft - das habe ihr gut gefallen, auch wenn der junge Autor "noch keine eigene Stimme" habe.
Jandl: "Der Sonderling ist zu ausdefiniert"
Paul Jandl meinte darauf: "Ich nähere mich dieser Ökologie der Städte auch nicht leicht". Er finde den Text formal gut - ihm sei der im Text vorgestellte Sonderling aber "zu ausdefiniert." Der Text funktioniere perfekt und sei "formal schön" - dennoch spreche ihn dieser "geschlossene Kosmos" nicht sehr an. Obwohl sich Jandl zur "Jean Paulschen" Zuneigung des Autors zum "Sonderling" und Kauz bekannte, sei ihm der Text allzu skurril und putzig geraten, er hätte sich "mehr städtische Wirklichkeit" gewünscht.
"Schöne, ruhige und stimmungsvolle Sprache"
"Symbolische Überfrachtung" attestierte Karin Fleischanderl dem Text, lobte aber dessen "schöne, ruhige und stimmungsvolle" Sprache. Der Text sei aus lauter Schlaglichtern und Momentaufnahmen gebaut - das Problem: Der Text zerfalle zwischen Viktor und "dem Mann mit der Uhr" in zwei Teile.
Für Mangold "zu vordergründig" inszeniert
"Eine konkrete Sehnsuchtsutopie", meinte schließlich Ijoma Mangold zu erkennen. "Der Mann mit der Uhr" verfolge den Gedanken: "Wenn wir uns als Individuen begegnen, können wir uns nahe sein, auch jenseits der verschiedenen Klassen". Eine "Begegnung zwischen Licht und Schatten", die durch die zwei Protagonisten dargestellt sei. Dieses Motiv sei mit "sehr viel eindringlicher und einleuchtender Symbolik" erzählt, verfolge an sich "gute Motive", die aber "zu stark und vordergründig inszeniert" wären - so Mangolds Urteil.
Schweizer Juroren waren uneinig
Hildegard Elisabeth Keller meinte "ganz viel Schweizer Lokalkolorit und Beschaulichkeit des 19. und 21. Jahrhunderts" zu erkennen - dem widersprach der Schweizer Juror Alain Claude Sulzer sofort vehement: Ihn habe das alles an Bochum erinnert. Die in einer "sehr schönen und langsamen Sprache" gehaltene Erzählung sei "gut gewichtet". "Mit hat das äußerst gut gefallen", so Sulzer.
"Zu wenig Überraschung" für Spinnen
"All das unterschreibe ich, aber das ist genau das Problem", meinte Juryvorsitzender Spinnen zum Schluss. "Das ist eine Etüde" - das Problem dabei sei, solch eine würde nur Schritte nachvollziehen, die ein anderer Musiker bereits vorher gegangen sei. Ihm, als "fortgeschrittenen Leser" sei bei aller "Gegenwärtigkeit" des Textes zu wenig Überraschung vorhanden, so Spinnen.
Barbara Johanna Frank