Jury bei Preisendörfer uneinig

Bruno Preisendörfer eröffnete den Nachmittag des ersten Lesetages mit "Fifty Blues". Der Text polarisierte die Jury wie keiner zuvor, die Meinungen gingen extrem auseinander: "Ein gutes Zeichen!", so die Moderatorin Clarissa Stadler.

Eine Frage der Perspektive

Gott, Clown oder doch ein Psychoanalytiker? Die Jury konnte sich bis zum Schluss nicht so recht darauf einigen, aus welcher Perspektive die Geschichte erzählt wird. Ebensowenig gab es eine Einigung über die Qualität des Textes.

Die Diskussion spielte sich deshalb gleich auf mehreren Ebenen ab: Einerseits hinsichtlich des sprachlichen Handwerks, andererseits in Bezug auf die philosophisch-psychologische Komponente des Textes.

Bruno Preisendörfer
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Paul Jandl (Bild: ORF/Johannes Puch)Paul Jandl (Bild: ORF/Johannes Puch)

Perspektiven "schießen" ineinander

"Dieser Text liefert sich drei literarischen Gefahren aus: Gott, ein Clown und ein 50. Geburtstag - ich weiß nicht, wie das zusammenpasst", begann Paul Jandl. Die Perspektiven "schießen" hier ineinander, das gewählte Thema - der 50. Geburtstag - sei "banal". Überdies gebe es "zu viele sprachliche Bilder, die auf die Tube drücken".

"Ein ausgezeichneter Text mit Witz"

Meike Feßmann versuchte den Text sofort zu verteidigen und brachte ihre Freude über das gelungene sprachliche Handwerk des Textes zum Ausdruck: Sie betonte den "Witz" und die "Kunstgriffe" der Geschichte: Hier finde ein ständiger Wechsel zwischen Nah- und Fernperspektive, zwischen Gott, dem Clown und dem Psychoanalytiker statt. Der "Ekel vor der Innenperspektive" des 50-Jährigen Analytikers münde in der "fantastischen Idee", möglichst weit "wegzuzoomen". Auch sie sei zuerst skeptisch gewesen, aber der Text sei "ausgezeichnet gemacht".

Meike Feßmann, Alain Claude Sulzer, Karin Fleischanderl (Bild: ORF/Johannes Puch)Meike Feßmann, Alain Claude Sulzer, Karin Fleischanderl (Bild: ORF/Johannes Puch)

Ein Text, der dem Leser viel Platz lässt

Alain Claude Sulzer sah die Sache ähnlich: Gott sei auch für ihn als der auktoriale Erzähler der Geschichte zu verstehen. Trotz "Anfangsschwierigkeiten" gefalle ihm der Text nun immer besser. "Das mäandert so herum" - der Text sei aber ein guter Einstieg und "überlasse dem Leser sehr viel Platz".

Spinnen: "Habe ich schon hundert Mal gehört"

Burkhard Spinnen konterte: "Die Geschichte vom dusseligen lieben Gott habe ich so schon hunderte Male gelesen. Die Existenzprobleme eines gerade 50 Jahre alt gewordenen Mannes können aber in der Tat vernichtend sein. Diesen Blues kenne ich - für mich ist der Psychoanalytiker aber nicht das ganz große Zugpferd - da ging es mir dreckiger", so Spinnen. Das Mehr an Perspektiven bringe keine Erweiterung des Raumes mit sich. Feßmann erwiderte: Der Mann leidet nicht an seinem Alter, sondern am Zustand der Welt", Worauf Spinnen lapidar anmerkte: " Werden sie 50 und sie werden merken: Das ist identisch".

Bruno Preisendörfer (Bild: ORF/Johannes Puch)Bruno Preisendörfer (Bild: ORF/Johannes Puch)

Planet rast durch Kosmos ohne Ordnung

Eingeladen worden war der Berliner von Ijoma Mangold, der meinte: "Das ist ein Text über die Schwierigkeit von Sinnstiftung, über einen Planeten, der durch einen Kosmos ohne Ordnung rast". Der Juror unterstrich, dass die "metaphysische Burleske" Preisendörfers den "moralischen Blues" eines 50-Jährigen zeige, der am "Mangel von Sinn in der Welt" scheitere.

"Eine Lachnummer von vorgestern"

Karin Fleischanderl konnte diesen positiven Worten wenig bis gar nichts abgewinnen. "Das ist voller Spassettln und Klischees". Der Psychoanalytiker sei eine "Lachnummer von Vorgestern". Flapsig herbeigeschrieben, sei der Text "Zynismus pur".

Hildegard E. Keller (Bild: ORF/Johannes Puch)Hildegard E. Keller (Bild: ORF/Johannes Puch)

Hildegard Elisabeth Keller zeigte sich "verblüfft" vom tiefen Verständnis der Kollegen, meinte dann aber auch: "Die religiöse Figur Gottes in eine literarische zu verwandeln, hat bereits eine lange amerikanische Tradition - aber der Text polarisiert!", so Keller.