Viel Lob für Christiane Neudecker

Ein kleines handwerkliches Meisterwerk für die einen, zu wenig "bedrohlich" für die anderen - das war der Text der Berlinerin Christiane Neudecker für die Jury. "Wo viel Licht ist" erzählt von einem Mann, der sich in seinen eigenen Schatten verwandelt.

Der Text entfaltet eine "große Faszination"

Hildegard Elisabeth Keller fühlte sich durch Neudeckers Geschichte aus dem Reich der Geister und Toten stark an "Andersens schräge Märchen" erinnert. Sehr präzise gemacht, entfalte dieses Eintauchen in das Reich der Schatten eine "große Faszination" für sie. Kritisch merkte die Jurorin allerdings an, dass beide Ebenen der "Verflüchtigung" im Text - einmal auf der Beziehungs- einmal auf der Verwandlungsebene - besser miteinander verbunden hätten werden können.

Christiane Neudecker
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Publikum (Bild: ORF/Johannes Puch)Publikum (Bild: ORF/Johannes Puch)

Für Sulzer eine "klassische Horrorgeschichte"

Alain Claude Sulzer zeigte sich von der genauen Machart des Textes, der seine Bilder beinah "filmkaderartig" einsetze, fasziniert: "Eine klassische Horrorgeschichte, aber es hat gedauert bis ich das gemerkt habe - schön, dass das mal kommt", so Sulzer.

Fleischanderl fehlt "das Neue"

Karin Fleischanderl zeigte sich alles andere als begeistert: Der Tradition des Absurden, Fantastischen, werde durch diese Geschichte nichts Neues hinzugefügt. Der Jurorin fehlte "das Geheimnis", die "Spur des Mysteriums" und das "Bedrohliche" in der Geschichte - gleichzeitig erfahre man nicht, warum der Mann sich in seinen Schatten verwandle.

Feßmann: "Wahnsinnig spannend"

Meike Feßmann stellte die Verbindung zu Adalbert von Chamissos "Peter Schlehmil" her, in der sein Schatten vom Protagonisten verkauft wird. "Wahnsinnig spannend" sei ihr diese "Tricksergeschichte" vorgekommen, weil der Erzähler während der Geschichte ausgetauscht werde. "Der Schatten wird zum Ich-Erzähler - eine Geschichte, die uns zeigt, was Literatur kann".

Christiane Neudecker (Bild: ORF/Johannes Puch)Christiane Neudecker (Bild: ORF/Johannes Puch)

Jandl spricht von "faszinierendem Kunststück"

Auch Paul Jandl lobte die hohe Sprachfertigkeit und erzählerische Ökonomie des Textes: "Ein faszinierendes Kunststück, ein schöner, wunderbarer und spannender Text", so der Juror.

Burkhard Spinnen relativierte das Lob

"Das Wort spannend ist ja wohl subjektiv", meinte daraufhin Burkhard Spinnen. "Ich weiß nach zwei Seiten, wo das lang geht. Hier stimmt zwar alles, aber hier rächt sich mein massenhafter Konsum solcher Geschichten zwischen dem achten und dem 14. Lebensjahr. Obwohl Spinnen dem Text eine hohe Präzision unterstellte, stellte er sich die Frage: "Warum jetzt nochmal so ein Text? Bei Chamisso geht es um den Verlust der Individualität, hier um Lichtverschmutzung in Hong-Kong".

Hidegard E. Keller, Ijoma Mangold (Bild: ORF/Johannes Puch)Hidegard E. Keller, Ijoma Mangold (Bild: ORF/Johannes Puch)

Mangold vermisste das Unheimliche

Ijoma Mangold stand ebenfalls auf der Seite der Kritiker: "Das alles kommt mir zu ausgeklügelt vor. Ein Jet-Set-Text, der ein altes Motiv in die Technologie der Jetzt-Zeit versetzt. Mir ist das zu mechanisch. Auch ich vermisse das Unheimliche komplett", so Mangold.