Österreichischer Text ist durchgefallen
Linda Stifts "Die Welt der schönen Dinge" eröffnete den zweiten Tag des Lesewettbewerbs. Stift wurde von Karin Fleischanderl zum Bachmannpreis eingeladen - die Jurorin versuchte vergeblich, den Text gegen ihre Kollegen zu verteidigen, die Geschichte fiel vollkommen durch.
"Die Welt der schönen Dinge" erzählt von der Reise eines "Wir-Kollektivs" von Flüchtlingen in einem Schleppertransport - "dahin wo der Himmel blau ist" - und der damit verbundenen Hoffnung auf ein besseres Leben in diesem bergigen Land ohne Meer - vielleicht in Österreich? Angekommen, scheint das aus der Ferne zu hörende Hundegebell nichts Gutes zu verheißen…
Linda Stift
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Mangold spricht von "unlauteren Mitteln"
"Ich finde diesen Text sehr ärgerlich", begann Ijoma Mangold. Stifts Text setze einen mit seiner politisch-moralischen Struktur unter Druck - die gewählten Mittel wären "unlauter" zu nennen. "Das "Wir" der Erzählstimme changiert und steht für die Allgemeinheit, dem gleichzeitig auch das Kreatürliche, das Konkrete eigen ist". Hier könne es, so Mangold, nur ein "Entweder-Oder" geben. "Ein tolles Thema, aber in dieser literarisch-ästhetischen Form muss ich es zurückweisen: Verallgemeinerungskitsch".
Jandl war vom Text "enttäuscht"
Paul Jandl schlug in dieselbe Kerbe: Eine Parabel, die als Versuch sicher interessant zu nennen sei. Der Schluss berge allerdings eine Enttäuschung, weil er auf nichts hinausweise. "Das ist die Tücke des Textes: Das 'Wir' bedeutet auch, verschiedene Realitäten, die gebrochen sind, miteinander zu vereinen. Ich kenne das Thema des Textes nicht einmal: Sind es die Schlepper, ist es die Wirtschaftskrise, die Flüchtlingssituation? Die "große Abstraktion" mache einen Zugriff auf das Thema "unmöglich".
Feßmann kritisierte die unpräzise Sprache
Auch Meike Feßmann konnte Stifts Text nichts abgewinnen. "Die Autorin verlässt sich zu sehr auf ihr ehrenwertes Thema". Die Wir-Perspektive sei extrem schwierig, weil ausgewählt werden müsse, was verallgemeinerbar sei. Das Problem liege auch in der Sprache, diese sei unpräzise: Die sprachlich-poetische Überhöhung ("blaue Stunde") passe überhaupt nicht zum gewählten Thema. "Die Autorin hat sich kein Bild von den Flüchtlingen gemacht, sie müsste wissen, von welchem Flüchtlingsland sie spricht".
Fleischanderl versuchte zu retten
Hier versuchte Karin Fleischanderl den Text zu retten und verwies darauf, dass man keine realistischen Anforderungen an den Text stellen dürfe, vielmehr gehe es um den Wunsch eines kollektiven Ich, eines "Chores", der in einer Stimme münde.
Burkhard Spinnen meinte zu diesem "Universal Refugee": Ich würde dem Text gerne einen Rettungsring zuwerfen, aber das Thema verpflichte zur Alltagsrealität und zu einer klaren Gattungsentscheidung. "Dieses Transplantationsexperiment gelingt nicht".
Keller: "nichtadäquate literarische Mittel"
Hildegard Keller lobte die "mutige Entscheidung" der Autorin, dieses Thema zu behandeln, meinte dann aber auch: "Woher kommt diese Mandatsanmaßung, dieses Wir?" Außerdem sei die Erzähllogik immer wieder durch nichtadäquate sprachliche Mittel gestört.
Alain Claude Sulzer sagte: "Der Text spiele mit realistischem Material", sprachlich habe man das Gefühl, dass "reiche Europäer" in diesem Lastwagen sitzen. "Die Leute sprechen so wie wir, wenn wir in einen Lastwagen eingesperrt werden" - außerdem gebe es keinen sprachlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen.
Barbara Johanna Frank