Stimmenkakophonie und Kammeroper

Einem merkwürdigen Geräusch "Hinter der Wand" ging der Schweizer Karl Gustav Ruch in seiner Literatur nach - der dritte Autor dieses Lesevormittags, eingeladen von Juror Paul Jandl, hinterließ in der Jury einen zwiespältigen Eindruck."Da ist ein leises Kratzen" stellt der namenlose Ich-Erzähler in Ruchs Text eines Tages fest - und legt sich auf die Lauer. Stammt es vom Schriftsteller aus der Dachkammer? Oder ist gar jener Entführte, von dem in der Zeitung zu lesen war, hinter der Brandmauer eingesperrt?

Karl-Gustav Ruch
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Sulzer: "Nicht überzeugt, aber amüsiert"

Alain Claude Sulzer lobte das "Text-Setting", in der ein "offenbar nichtspanischer Erzähler" in einem "spanischen Mietshaus" lebt, meinte dann aber: "Ich habe dieses Geräusch hinter der Wand schon einmal so gelesen". Der spanische Lebensstil sei ihm anfangs "sehr vergnüglich erzählt" worden, irgendwann gehe dem Text aber die Luft am Möglichkeitssinn ("woher stammt das Geräusch?") aus.

Der Text müsse, so Sulzer, etwas gekürzt werden - eine Meinung, der sich auch andere Juroren anschließen sollten. "Ich bin nicht in jedem Fall überzeugt, aber war amüsiert".

Meike Feßmann, Alain Claude Sulzer (Bild: ORF/Johannes Puch)Meike Feßmann, Alain Claude Sulzer (Bild: ORF/Johannes Puch)

Zu viel "Selbstverliebheit" für Burkhard Spinnen

Burkhard Spinnen zog den Vergleich zum Fernsehen: "Die bedrohliche Alltagsrealität - zwei von drei Tatortkrimis machen das zum Thema". Hinter der Bedrohung des Lebens durch "neue" Geräusche stehe, dass diese im Gegensatz zu den bekannten, Nähe und Vertrautheit evozierenden, eben keine "Geschichte" hätten. Hier kippe diese "Leerstelle" um in Fremdenfurcht. Spinnen ortete aber zu viel "Selbstverliebtheit" im Text, der gekürzt besser ausgefallen wäre.

Karl-Gustav Ruch (Bild: ORF/Johannes Puch)Karl-Gustav Ruch (Bild: ORF/Johannes Puch)

Keller hörte eine "Stimmenkakophonie"

Heike Feßmann lobte die Idee des Geräusches in der Mauer - die Ausführung bleibe jedoch zu schematisch. Dennoch habe sie den Text gerne gelesen.

Hildegard Elisabeth Keller meinte, im Text wären verschiedene Erzähltraditionen erkennbar, etwa Josef Roths "Hotel Savoy", in der die Gesellschaft als "Gesamthotel Welt" erzählt werde. "Eine Stimmenkakophonie, eine Symphonie" sei dieser musikalische Text - aber, auch Keller hätte da und dort "noch ein wenig gekürzt".

Herbe Kritik von Ijoma Mangold

Als schärfster Kritiker outete sich Ijoma Mangold - er sprach dem Text gleich dessen "literarische Bedeutung" ab: "Das ist ein literarisches Kuriositätenkabinett". An sich sei die voyeuristische Perspektive für die Literatur ja sehr fruchtbar - hier sei der Pluralismus der Gesellschaft aber als reines Klischeebild, mittels "Abziehbildern" dargestellt.

Ijoma Mangold (Bild: ORF/Johannes Puch)Ijoma Mangold (Bild: ORF/Johannes Puch)

Eine "musikalische Kammeroper"

Paul Jandl stellte die Frage, ob Mangold damit nicht die Schmerzgrenze der Kritik überschritten habe: "Ironie arbeitet eben mit Klischees. Diese musikalische Kammeroper lebt vom Klang der Wörter!".

Rollenprosa, die Platons Höhle gleiche, in der die Geräusche als Schatten der Welt fungieren würden. "Ein Text der Einsamkeit", der überhaupt nicht "putzig" oder "lieblich" zu nennen sei: "Die Hürde ist nicht hoch, aber sie wird höher übersprungen als notwendig!", so Jandl. Und, in Richtung Mangold: "Seien sie nicht so abgebrüht!".

Barbara Johanna Frank