Sander erntete Lob der Jury
Gregor Sander eröffnete den Lesereigen am Samstag mit seiner Erzählung "Winterfisch". Seine "DDR-Jubiläums Literatur" - pünktlich zum 20-Jahr-Jubiläum des Falls der Berliner Mauer - löste eine sehr scharfe und spitzfindige Diskussion aus.
Die Jury zeigte sich durchwegs angetan, einzig Meike Feßmann konnte dem "Winterfisch" rein gar nichts abgewinnen. "Winterfisch" erzählt in Rückblicken vom Leben in der ehemaligen DDR und einem, der sich aufmacht, den Ersatzvater von einst zu besuchen. Es wird zu einer Reise in die eigene Vergangenheit. Die Geschichte über das Verlassen werden im Damals und Heute zog langen Applaus des Publikums nach sich.
Gregor Sander
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Diskussion
"Würde auch einer Übersetzung stand halten"
"Da wird in einer sehr schönen und ruhigen Sprache unaufgeregt von zwei Trennungen erzählt", begann Alain Claude Sulzer. Durch und durch ausgewogen, habe ihm Sanders Text "sehr gut gefallen". Eine Geschichte über die deutsche Geschichte - auf der Ebene des Privaten wie des Politischen erzählt - die "auch einer Übersetzung stand halten würde", lobte der Juror.
Ein Text der "kleinen verborgenen Krisen"
"Die Krise ist ein Riese, der in jedem Zwerg Platz hat", begann Paul Jandl - Ernst Jandl zitierend - seine Kritik. Er lobte den Text der "kleinen, verborgenen Krisen", die "stimmungsvoll in ein Naturpanorama" eingefügt wären. "Schön und stimmungsvoll", wisse der Text erstaunlich viele Biographien auf wenigen Seiten unterzubringen.
"Handwerklich unpräzis und holprig"
"Das ist handwerklich doch vollkommen schlecht erzählt", widersprach Meike Feßmann dem Lob der Kollegen. Allein die Stimme des Autors habe beim Lesen durch dieses "Durcheinander" geführt, der Wechsel zwischen Präsens und Vergangenheit sei total "holprig". "Das sind sehr viele Ungeschicklichkeiten darin, der Text verwendet filmische Mittel - "handwerkliche Präzision kann man diesem Text wirklich nicht vorwerfen".
"Wie eine gut geölte Erzählmaschine"
"Da möchte ich aber doch widersprechen", meldete sich Karin Fleischanderl dann zu Wort. Die sonst so kritische Jurorin lobte Sanders Text als "dramaturgisch gut aufgebaut", die Erzählebenen würden gut miteinander verzahnt. Ihr einziger Einwand: "Mir kommt das ein bisschen wie eine kleine Backform vor, wie eine gut geölte Erzählmaschine, mit der der Autor Geschichten produziert".
Mangold wünscht sich "stärkere Beunruhigung"
Ijoma Mangold lobte das "tolle Sujet", die in der Verschränkung zwischen dem politischen Schicksal eines Landes und individueller Biographien hergestellt werde. "Der Text fragt nach der Prägung des einen durch das andere", so der Juror, der die gute "Figurencharakterisierung" lobte. Aber: "Was mich nicht so überzeugt, ist, dass aus vielen guten Motiven zu wenig gemacht wird. Ich hätte mir eine stärkere Beunruhigung gewünscht".
Hildegard E. Keller erläuterte: "Wir stehen mit dem Text auf unerhört interessantem Gebiet, da, wo der Nord-Ostsee-Kanal endet. Ein Umschlagplatz zwischen Ost und West, auf dem ein unerhörter Transport von Geschichte stattfindet. Die "Welthaltigkeit" dieser Menschengeschichte sei das große an ihm zu nennen.
Spinnen kritisiert "zwanghafte Schlusspointe"
Burkhard Spinnens schließlich stimmte dem Lob der Kollegen zu, meldete aber Zweifel an: Der Text, eine "Kalendergeschichte", sei punktgenau für die bald anhebenden 20-Jahr-Feiern geschrieben worden. Das ist der Versuch, 20 Jahre deutsche Geschichte in einen kleinen Text zu packen". Ihm kämen nur Zweifel, ob der Text es wirklich schaffe, private Biographie mit Geschichte adäquat zu verknüpfen: "Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Schritt hier nicht zu groß ist". Zudem besitze der Text keine offenen Stellen, jedes Wort sei determiniert und die Schlusspointe etwas "zwanghaft".
Barbara Johanna Frank