Winkler versuchte es mit Sprachexperiment
Mit ihrem hochartifiziellen Text "Aus dem Gras" ging die österreichische Autorin Andrea Winkler in Klagenfurt an den Start. Die Jury konnte wenig bis gar nichts mit Winklers Sprachexperimenten zwischen "Weltverlust und Weltversicherung" anfangen.
Die Diskussion der Jury geriet zu einer Diskussion über die Bedeutung des Sprachexperimentes im allgemeinen.
Lob nur von der österreichischen Jurorin
Karin Fleischanderl begann die Juryrunde mit einem großen Plädoyer: "Andrea Winkler dampft die Literatur auf ihr Wesentliches, ihr Essenzielles ein: Nämlich auf die Inszenierung der Sprache und eine radikale Subjektivität. Winklers Text sei "eine große Wohltat - es ist als ob ihre Literatur Räume für das Ich und die Stille öffnen würde". Der höchste Anspruch, den man an die Literatur stellen kann, sei bei diesem Text erfüllt, nämlich dass "Literatur Welt nicht abbildet, sondern neu erschafft".
Andrea Winkler
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Mangold: "Habe so gut wie nichts verstanden"
Dann erteilte Clarissa Stadler Ijoma Mangold das Wort - der sich darüber ganz unglücklich zeigte: "Ich hatte so gehofft als letzter dran zu kommen, damit mir meine Kollegen erklären, worum es in diesem Text geht". Außer dem Satz "Meine Hand, meine ausgesprochen wirkliche Hand" habe ich nichts verstanden, ätzte der Juror. "Der Text arbeitet mit einer Fülle von Motiven, deren akustisches Auftauchen ich zur Kenntnis genommen habe - mehr aber auch nicht.
"Der Leser wird zum Trüffelschwein"
"Ich bin auch überhaupt nicht glücklich mit diesem Text", begann Meike Feßmann. "Die Bewegung des Textes erzeugt erst das Sujet, wobei man lange nicht weiß, worum es geht". Es gehe um die Sprache selbst, deren Inszenierung, aber "ich sehe eigentlich keinen Sinn darin, der Allmachtsfantasie eines anderen Menschen zuzuschauen". Es gehe offenbar um eine Liebesverletzung, der durch das Ich "hinterher geschrieben" werde. Problematisch dabei: "Das fröhliche Spiel mit den Worten macht den Leser zum Trüffelschwein, der jedem Wort hinterher schnüffeln soll" - Winklers Text, eine "echte Nötigung".
Ein Text auf "Ebene des Musikalischen"
Burkhard Spinnen meinte in Bezug auf die "Musikalität", auch Töne und Melodien wären semantisch - aber nicht sprachlich. "Das semantische Material gehört aber der Autorin nicht alleine: "Bei allem Sprachzweifel und aller Musikalität darf nicht vergessen werden, dass Sprache auch ein Verständigungsmittel ist, etwas historisch gewachsenes".
Der Text bewege sich weitgehend auf der Ebene des Musikalischen - eine Auseinandersetzung auf sprachlich-semantischer Ebene fehle aber. "Ich erwarte mir von einem Text, dass er diesen Kampf auch austrägt, sodass ich diese Auseinandersetzung auch spüren kann".
Jandl: "Die Erfindung der Wirklichkeit"
"Paul Jandl attestierte, dies sei ein poetischer Text der Selbstvergessenheit, der eine eigene Poetik liefere. "Die Bilder würden sich allmählich zu einem Text fügen - es werde erzählt, aber eben sehr wenig: "Eine Bewegung, die man sich visuell vorstellen muss". "Das ist keine Beschreibung, das ist die Erfindung von Wirklichkeit", so Jandl - "bravourös eingelöst".
Vielleicht ein Meditationstext?
"Ich würdige die Virtuosität des Gewebes, ich teile aber auch die Verwirrung", begann Hildegard E. Keller. Sie sah in Winklers Text die "Meditationstechnik der Mönche St. Pauls" verwirklicht: "Ruminatio - das Wiederkäuen, wie von Paarhufern", und stellte die Frage: "Vielleicht ist das ein Meditationstext, aber ich habe mich etwas verloren gefühlt, auch nach mehrmaligem Lesen".
"Dieser Text war keine Wohltat"
"Wenn ein musikalisches Stück, dann ein Schlaflied - für mich war dieser Text keine Wohltat", brachte Alain Claude Sulzer, der "gar kein Vergnügen" am Text fand seine Kritik auf den Punkt. "Ich wusste gar nicht, ob ich mich überhaupt zu Wort melden soll: Dieser Ton ist ganz hoch, und ich bin eben zu niedrig und zu blöd. Es hat sowas Geklöppeltes und es wird sicher Kritiker geben, die das toll finden - aber mich geht der Text überhaupt nichts an".
Barbara Johanna Frank