Daniel Mezger (CH)
Bei dem Romanauszug "Bleib am Leben" von Daniel Mezger war der Titel auch "Programm". Die Jury wurde sich beim Appell eines Mannes, der seine Frau verlässt und sie dann anfleht, sich nicht umzubringen, "am Leben zu bleiben", nicht einig.
"Depressive Stimmung"
Daniel Mezgers mündlicher Vortrag - der Autor ist auch Schauspieler - wurde dezidiert von der Jury gelobt, allerdings meinte sich Alain Claude Sulzer durch diesen auch in eine "depressive Stimmung" versetzt. Dass der Text als Monolog angelegt sei, gerate ihm zum Vorteil, weil er sich mit einer Stimme auf die wesentlichen Dinge konzentrieren könne. "Sehr interessant und schön", so Sulzer. Aber, so Sulzers nicht unbeträchtlicher Einwand gegen den Text: "Das ist zu redundant, nach drei Seiten weiß ich, worum es geht. Stilistisch ist nichts auszusetzen, aber für mich könnte der Text ruhig kürzer sein".
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Lesung
Diskussion
"Thema nicht plausibel"
Meike Feßmann sah das an und für sich interessante Thema - ein Paar trennt sich und einer droht daraufhin sich umzubringen - in der von Mezger gewählten Form "nicht plausibel".
Feßmann: "Ein Mann fleht eine Frau die er verlassen hat nicht ständig an, sich nicht umzubringen. Das stellt doch ständig eine Verbindung zu dem her, den man verlassen will. Plausibler wäre hier ein Monolog der Frau, die fleht: Verlass mich nicht. Missglückt, das geht so nicht", meinte Feßmann. Sie blieb trotz vieler Gegenargumente bis zum Ende der Diskussion bei ihrer Meinung. Das Publikum sollte diese Standhaftigkeit schließlich jedoch mit lautem Missbehagen quittieren.
Klischee vom Zusammenleben mit Depressiven
Karin Fleischanderl wollte dem Text zuvor jedoch ebenfalls nichts Positives abgewinnen: "Harm- und belanglos" nannte sie den von Burkhard Spinnen nach Klagenfurt gebrachten Text, der "jedes Klischee vom Zusammenleben mit einer Depressiven bestätige und auch stilistisch "nicht einwandfrei" sei.
"Katholischer Exorzismus auf analytisch"
Hubert Winkels drängte sich daraufhin die Frage auf, an wen der Text eigentlich gerichtet sei und, ob er denn auch "genug Substanz" besitze. "Das funktioniert inhaltlich und grammatisch nicht", so Winkels. Vor allem die Redesituation sei ein wesentliches Problem dieser literarischen "Beschwörung". Sein Urteil: "Katholischer Exorzismus auf analytisch".
"Absurde Beschreibungen"
Hildegard Elisabeth Keller pflichtete den Einwänden des Kollegen bei: Deshalb müsse der Text auch ständig Informationen für den Leser einbauen, was zu absurden Beschreibungen führe.
"Weniger Theorie, mehr Praxis"
"Weniger Theorie, mehr Praxis" forderte daraufhin Juror Paul Jandl verteidigend ein: Das sei ein kunstvoller und gelungener Text, das Tremolo der Verzweiflung kenne eben (fast) keinen Kitsch. Die sei hier schon als eine dem Text eigenen Künstlichkeit vorhanden. Erklärend zu Meike Feßmann: "Er kann sie nicht verlassen, sonst verlässt sie ihn - aber final."
"Eine entsetzliche Falle"
Burkhard Spinnen, der den Autor nach Klagenfurt eingeladen hatte, lauschte der Diskussion bis zu diesem Zeitpunkt relativ unbeteiligt. Dann: "Der Mann ist in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gibt. Eine entsetzliche, eine grauenhafte Angelegenheit - deshalb meine Bitte an die Anwesenden: Tun sie das niemals!"
Die Position des Textes sei "ziemlich klar": "Am Rande der Bühne hält jemand einen Monolog". Stellenweise tappe der Text zwar in die "Kitsch-Falle", trotzdem sei dieser hoch-artifiziell und durchrhythmisiert, um der emotionalen Falle einen Ausdruck zu geben.
Barbara Johanna Frank