Dorothee Elmiger (CH)

Dorothee Elmiger war die letzte Autorin des ersten Lesetages. Mit ihrer "Einladung an die Waghalsigen" fanden die ersten fünf Stunden Bachmannpreis zu einem äußerst vielversprechenden und "positiven Abschluss", sagte Moderatorin Clarissa Stadler.

"Polizistentochterprosa einer jungen Autorin"

"Eine originelle und für eine so junge Autorin unglaublich clever gemachte Prosa" hob Meike Feßmann zu ihrer Kritik an. Das geschaffene Spielfeld - eine Zeit nach der Apokalypse mit zwei Schwestern, die sich  gegenseitig ihre Fantasien erzählen - lasse der Autorin die unglaubliche Freiheit mit allem zu spielen worauf sie Lust hat.

Die Sprache sei eine Art Polizistentochter-Prosa, die etwas protokollarisch-ungeschicktes habe, dem Text aber gleichzeitig eine aufmüpfige Frechheit  gebe. "Sehr originell".

Autorenporträt
Lesung
Diskussion

 

Dorothee Elmiger (Bild: Johannes Puch)Dorothee Elmiger (Bild: Johannes Puch)

"Deep Water Horizon Drama"

"Diese Ansicht teile ich auch", begann Hubert Winkels. "Mich erinnert das - vielleicht etwas abwegig -  an das Deep-Water-Horizon-Drama, das weiter läuft, während wir hier sitzen. Hier haben wir die analoge Fantasie, dass die Kohlevorkommen unter der Erde zu brennen begonnen haben und immer weiter glimmen - eine "apokalyptische Folie".

"Sehr spielerisch gemacht, auch inhaltlich", so Winkels, da die verbliebenen Bücher dieser Welt mit dem Leben der Protagonistinnen verknüpft würden. Man könne sich fragen, so Winkels, der die Parallele zu Horvaths "Jugend ohne Gott" zog, ob der Text als Parabel einer Jugend zu lesen sei.

Zeitdiagnose in einer postapokalyptischen Welt

Karin Fleischanderl stimmte in den "Chor der Laudatoren" ein: "Mit gefällt die Erzählung ebenfalls sehr gut". Der Text sei auch als "Zeitdiagnose" der Jugend zu lesen, in einer postapokalytischen Welt oder postmodernen Situation, "wo alles sehr planiert und geheimnislos "sei, beschreibe ein junges Mädchen, wie sie sich das Abenteuer und das Geheimnis vorstelle: "Originell, vif, gewitzt und sehr gut gemacht", schloss Fleischanderl. 

"Froh, dass man mir den Text erklärt"

"Ich bin froh dass man mir den Text jetzt erklärt hat - ich konnte mit ihm sehr wenig anfangen" widersprach  Alain Claude Sulzer seinen begeisterten Kollegen. "Ich kann das gerne akzeptieren was sie hier lesen -  es gab vor drei Jahren ja auch die Idee, den originellsten Text zu prämieren, dann wäre der hier in die engere Wahl zu nehmen", er müsse sich jedoch fragen, für wen der Text geschrieben sei, so Sulzer ratlos. "ich antworte  - nicht für mich".

Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)

Vorschlag von Paul Jandl

Die Autorin las auf Vorschlag von Paul Jandl vor, der im Anschluss an Sulzers Wortmeldung daranging, diesem "exegetisch beizuspringen".  Der Fluss Buenaventura im Text sei Signal dafür, dass es so etwas wie Fließen, wie Zeit noch gebe - und damit auch die Möglichkeit, einer stillstehenden Zeit zu entkommen. "Das alles ist sehr poetisch aufgelöst und klug gemacht, man muss sich auf das große Abenteuer dieses Textes einlassen, das schon auf wenigen Seiten stattfindet".

Meike Feßmann meinte wiederum, die Sprache des Textes sei "bürokratisch" und künstlich", trotzdem komme der Text durch die Montage "seltsam frisch" daher. "Völlig gestelztes, umständliches Deutsch" - "Nein, der Versuch zu einer Sprache zu finden! widersprach Jandl.

 Begeistert von gewählten Bildern

"Der Text ist nicht nur eine Montage oder  Collage - Intertextualität ist hier das Erzählprinzip", schaltete sich Hildegard Elisabeth Keller wieder in die Diskussion ein. Der Fluss "Buenaventura" sei auch eine Metapher für die Suche nach dem "glücklichen Weg", die Mediävistin zeigte sich von den gewählten Bildern  begeistert. "Auch der Leser wird bei diesem Text zum "Spielball" - ich bin beim Lesen selbst zu einem Echoraum geworden".

"Die Suche nach etwas...."

"Die Suche nach etwas, die berühmte Quest", an die er sich durch den Text Elmigers erinnert fühle, sei im Zeitalter der Computerspiele durchaus ein normaler Topos der Literatur, begann Burkhard Spinnen seine Ausführungen - "auch wenn man selbst gar keine Computerspiele spielt". Die Art und Weise, wie der Text seine Bilder zusammenfüge, sei "gerendert", wie im Computer.

"Beeindruckend, wie hier Bewusstseins- und Bildungsbashing produziert wird". Zwar sei die entscheidende Frage offen, nämlich: "Wo geht das hin?" - er traue der Autorin  aber durchaus zu, mit" ihrer Sprache noch etwas wesentlich  anderes und  besseres zu schaffen".

Barbara Johanna Frank

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