Max Scharnigg (D)

Der deutsche Autor Max Scharnigg las: "Die Besteigung der Eigernordwand unter einer Treppe". Sein Text fiel mehrheitlich bei der Jury durch, auch wegen sprachlicher "Patzer".

Irritation durch fremde Männerschuhe

Scharnigg, deutscher Autor und Journalist, wurde von Hubert Winkels für den Bewerb vorgeschlagen:

Ein Mann, Journalist und "Spezialmensch", betritt eines Tages seine Wohnung nicht mehr, um fortan unter der Treppe liegend "Kopftexte" über die Besteigung der Eigernordwand im Jahr 1938 zu verfassen. Die Irritation durch fremde Männerschuhe vor seiner Wohnung reicht aus, ihn aus seiner Welt hinauszuwerfen.

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Anfangs freundliche Kritik

Paul Jandls Kritik klang anfangs noch recht freundlich, als er meinte, ihm gefiele "sehr gut" an dem Text, "dass der Nebenbuhler bei seinen schmutzigen Geschäften seine schmutzigen Schuhe vor der Tür abstelle" - denn danach hätte es spannend werden können. Aber: "Tatsächlich steigt der Text die Treppe der wieder herab".

Diese Literatur, dieses "Paprikahendl" müsse außerdem auf seine "Pointentauglichkeit" überprüft werden. "Das will ein kleiner Text sein und das schafft er auch", so Jandl.

Max Scharnigg (Bild: Johannes Puch)Max Scharnigg (Bild: Johannes Puch)

"Wie kommt er unter die Treppe?"

Hildegard Elisabeth Keller gab sich "skeptisch" in Bezug auf Erzählführung, Handlung und Figurenkonstruktion und sage, sie müsse sich fragen, warum die im Text angelegten, vielen  Elemente "ausgerechnet unter einer Treppe" stattfinden müssten. "Wie kommt er unter die Treppe?" Interessant sei die Frage, ob es sich bei dem Protagonisten um einen Märtyrer oder einen Workaholic handle.

Sulzer: "Riesenaufwand an Worten"

"Der Protagonist kann sich offenbar vom Geruch ernähren", begann Alain Claude Sulzer seine Ausführungen, da der Protagonist keinerlei Nahrung aufnehme oder einen Stoffwechsel aufweise. Der Text erzähle "etwas ganz Einfaches", so Sulzer: "Ein Mann bemerkt, dass seine Frau ihn betrügt und geht unter die Treppe.

"Mehr erzählt der Text nicht - dies allerdings mit einem Riesenaufwand an Worten. Wenn ich mir den Text genauer ansehe, sehe ich lauter Unbeholfenheiten. Der Text ist viel zu überorchestriert, ohne mir etwas zu erzählen".

Hubert Winkels und Hildegard E. Keller (Bild: Johannes Puch)Hubert Winkels und Hildegard E. Keller (Bild: Johannes Puch)

"Wurde beim Lesen immer besser"

Meike Feßmann teilte Publikum und Kollegen ihre  "verblüffende Leseerfahrung" mit, wonach der Text nach mehrmaligem Lesen für sie immer besser geworden sei. Im ersten Moment  habe sie sich in einer "Journalistenfantasie" gewähnt ("ein schönes Bild, dass er sich unter der Treppe zurückzieht, mehr aber auch nicht"). 

Nach mehrmaligem Lesen hätten sich ihr in dieser "harmlosen Geschichte" jedoch Dinge eröffnet, die sehr gut gemacht wären: Man erfahre etwa sehr viel über die Frau im ersten Stock. In dieser "Geschichte einer Bedrohung" baue der Protagonist überall seine Innenwelten auf.

Karin Fleischanderl (Bild: Johannes Puch)Karin Fleischanderl (Bild: Johannes Puch)

Erinnerung an Kafkas "Hungerkünstler"

"Erstaunlich, wie unterschiedlich Leseerfahrungen sein können", begann Burkhard Spinnen, der sich durch die Tatsache, dass der Protagonist in der Geschichte  keine Nahrung zu sich nimmt, an Kafkas "Hungerkünstler" erinnert fühlte. Für diesen hohen Vergleich ernetete er den Protest seiner  Kollegen.

Die sprachlichen Patzer im Text hätten ihn beim Lesen mehrmals aus dem Text "hinausgeworfen", dem Text fehle so etwas wie Souveränität: "Es ist nicht ausgetragen und ausgestanden, wie die verschiedenen Tonarten miteinander funktionieren sollen": "Der Autor ist ja nur ein dummer Mensch, aber der Text weiß alles".

Text in der Nähe des Fotorealismus

Hubert Winkels, hatte den Text eingeladen und wollte ihm seinen  "Kafkabonus" nicht abziehen, auch wenn er ihn eher in der Nähe des Fotorealismus sah. Am ehesten, könne man von einem sanften "Hin und Her" sprechen. Der Juror führte weiter aus, dass die Liebesgeschichte  anhand "winziger Details" erzählt werde. Das sei ein stark "strukturell" arbeitender Text, der die Besteigung der Eigernordwand in Gegensatz zur "regressiven Situation unter der Treppe" setze: "Eine wunderbar gespiegelte Anordnung", so der Juror.

"Idee bleibt in der Treppe stecken"

"Die Idee der Treppe ist ja prinzipiell witzig, aber der Text bleibt darin stecken", widersprach Karin Fleischanderl. Der" leere Wortreichtum" des Textes sei durch den der Exegeten noch "gedoppelt" worden. Für sie sei der Text "unschlüssig, merkwürdig und inkohärent".

Barbara Johanna Frank

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