Josef Kleindienst (A)

Der Österreicher Josef Kleindienst war als letzter Autor dieses zweiten Lesetages angetreten, um seinen Text "Ausgehen" vor Jury und Publikum zu präsentieren. Der Text fiel mit dem gegen ihn geäußerten Pornographie-Verdacht gleichsam ins Bodenlose.

 

Autorenporträt
Lesung
Diskussion

Karin Fleischanderl, die den Kärntner Autor zum Lesen eingeladen hatte, gab sich zwar alle Mühe, diesen gegen ihre Kollegen zu verteidigen - stand damit aber auf verlorenem Posten. Zum Textinhalt: Der Umstand, dass ein Mädchen einem "Freund" 20 Euro schuldig bliebt, reicht aus, dass dieser sie  - mit Wissen eines Mitläufers - zur Prostitution zwingt.

"Ein brutaler Text über eine brutale Handlung"

Pornographie der Gewalt oder doch Literatur war die Frage, mit der sich die Jury am Ende dieses Lesetages herumzuschlagen hatte. Alain Claude Sulzer gewann dem Text noch einiges Positives ab, als er diesem einen "gut verteilten auktorialen Erzähler" attestierte: "Ein brutaler Text über eine brutale Handlung - und als solcher ist er perfekt", so Sulzer. 

Allerdings stellte auch er sich die Frage, inwieweit der Text "voyeuristisch" sei - ohne dass er sich einen "moralischen Text" erwartetet hätte. 

Josef Kleindienst (Bild: Johannes Puch)Josef Kleindienst (Bild: Johannes Puch)

"Leser wird in die Voyeur-Rolle gedrängt"

"Überdeutlich" sei die hier die Konstellation Täter und Opfer dargestellt, begann Hildegard Elisabeth Keller, ohne weiter darauf weiter darauf eingehen zu wollen. Sie habe sich vielmehr die Frage gestellt, wie ein Text gestaltet sein müsse, ohne dass man als Leser in die Position des Voyeurs gedrängt werde: "Mit anderen Worten - wie entkommt der Text und damit auch sein Autor dem Pornographieverdacht?" Die Unmittelbarkeit der Handlung werde dem Leser "voll zugemutet", tatsächlich müsste der Text aber auch "Brüche", "Aussparungen" und damit "kleine Auszeiten" enthalten um dem Leser ein "gewisses Maß an Empathie" zu erlauben. Einzig gekonnt an dem Text sei die Brechung der Chronologie am Anfang. Eine Technik, die normalerweise der Spannungssteigerung diene, den Text jedoch auch nicht über den Pornografieverdacht "hinausretten" könne.

Fleischanderl: "Direkte und raue Sprache"

Karin Fleischanderl fühlte sich an dieser Stelle bemüßigt einzugreifen: Zwar hätte auch sie dem Text "einige Adjektive weniger" verordnet, dennoch steuere dieser Text "direkt und mit einer rauen Sprache auf seine Sache zu" - "ein große Wohltat", so Fleischanderl, gerade weil der Text eine "große Beklemmung" zu erzeugen imstande sei. Die von Keller eingeforderten "Pausen" würden diesen Effekt durch eine "angenehmere Stimmung", eine "Versöhnlichkeit" wieder brechen.

Spinnen:  "Protokoll des Grauens" gelungen

"Außerordentlich schwierig und komplex" sei es, so  Burkhard Spinnen, "sprachlose Gewalt" mit Sprache zu  transportieren -  in Teilen finde er den Text, gerade wo dieser zu einem "Protokoll des Grauens" werde, "sehr gelungen". Zuletzt hätte sich ihm aber wiederholt die Frage gestellt: "Was weiß ich jetzt mehr über sprachlose Gewalt als vorher?" - Zu einem wirklich "erschöpfenden Ergebnis" sei er bis jetzt nicht gekommen, so Spinnen.

Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)

"Warum muss der Text etwas erklären?"

"Warum muss dieser Text, anders als andere Texte die etwa von ungewollter Schwangerschaft handeln, etwas erklären? Er bildet ab, das reicht doch!", widersprach Karin Fleischanderl.

 

Feßmann: "Ein dilettantischer Text"

Meike Feßmanns Meinung: "Ich halte diesen Text in erster Linie für dilettantisch".  Der Autor habe vermutlich darzustellen versucht, wie aus dörflicher Langeweile Gewalt entstehen könne. "Buchstabe für Buchstabe" werde das hier nachgezeichnet, allerdings fehle es dem Text gänzlich an einer Haltung, an Erzählperspektive.

"Der Text bleibt völlig in seiner Protokollsituation stecken", so Feßmann, was nicht im Kunstverständnis, sondern in der "Unfähigkeit des Autors" seinen Grund habe.

Winkels: "An vielen Stellen nicht gelungen"

"Das muss man nicht so werten", begann Hubert Winkels, der den Bogen zum Film schlug. Dennoch sei der Text an "vielen Stellen nicht gelungen". "Hoch anzurechnen" sei dem Text aber, dass er eben keine moralische Position einnehme und damit auch kein "eindeutiges" Opfer erzeuge. Erkennbar sei das daran, dass das Opfer männlicher Gewalt, Silke, sofort in dieselben Machtstrategien verfalle, sobald sie Gelegenheit dazu bekomme.

Karin Fleischanderl (Bild: Johannes Puch)Karin Fleischanderl (Bild: Johannes Puch)

Jandl:  "Sprache ist Komplize der Gewalt"

"Das ist vollkommen konventionell und im Grunde uninteressant erzählt", meinte Paul Jandl, der dem Text - möglicherweise auch seinem Autor -  einen großen Vorwurf machte als er so weit ging zu behaupten, dass die Sprache des Textes sich hier zum  "Komplizen der Gewalt" mache. "Mehr Gewalt, weniger Gewalt - das würde an dem Text nichts ändern", so Jandl, da das Geschehen durch die Sprache nicht relativiert würde.

"Ein Ausschnitt an Gewaltmöglichkeiten, der einem, so paradox das klingen mag, fast schon wieder egal ist."

"Beklemmung ist eine Wohltat"

Karin Fleischanderl wagte einen letzten Rettungsversuch, der allerdings auch nichts mehr an der Meinung der Kollegen ändern sollte: "Mir ist der Text nicht egal, gerade weil er so unangenehm ist. Neben Gefälligkeit, Konventionalität und braven Bildern ist Beklemmung eine Wohltat" - die anderen blieben jedoch dabei: "Das geht nicht richtig auf" (Hubert Winkels).

 

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