Verena Rossbacher (A)

Ein österreichisches "Alphabet der Indizien" beendete die Lesungen der diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur:  Verena Rossbacher ging mit dem Romanauszug "schlachten" (sic!) als letzte an den Start.

Der experimentelle Text ließ die Jurydiskussion zwischen "Ethnosachen", "Bibelstunde" und  "Grundsatzphilosophie" (Clarissa Stadler) pendeln.

Denkend würfelt da jemand eilig Buchstabe um Buchstabe, Wort und Leben durcheinander, lässt die Gedankenfraktale spazieren gehen, verliert die Kontrolle über den eigenen Kopf, einem "Rummelplatz" und  "Panoptikum der Kuriositäten", und stellt nebenbei die Frage nach Gott und der Stellung des Menschen in dessen Schöpfung.

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Lesung
Diskussion

 

"Auf Hochtouren laufende Sprachmaschine"

"Ich finde Verena Rossbacher ist eine auf Hochtouren laufende Sprachmaschine", machte Karin Fleischanderl den Anfang, "der ich die Qualität auch überhaupt nicht absprechen möchte". Trotzdem störe sie am Text das "Eurphorisierende", das "Gefühl in einem Flugzeug zu sitzen bevor es startet - jemand hält jedoch die Kupplung gedrückt und es findet deshalb keine Kraftübertragung statt". 

Verena Rossbacher (Bild: Johannes Puch)Verena Rossbacher (Bild: Johannes Puch)

Die Sprache erfasse, so Fleischanderl "keinen Gegenstand" und laufe deshalb ins Leere. Außerdem besäßen "die bundesdeutschen Kollegen", so Fleischanderl an die Jury im Allgemeinen und Burkhard Spinnen im Besonderen gerichtet, "wenig Gespür und Verständnis für den österreichischen Tonfall" in der Literatur, was im Klagenfurter Bewerb  oft dazu führe, dass die eingeladenen Autoren "entweder gar nicht verstanden" würden oder man sich - wie Burkhard Spinnen jetzt - habe "blenden lassen". 

Der Vorsitzende reagierte vorerst gelassen: "Ich weiß noch nicht was ich falsch gemacht habe, aber wir werden schon noch darauf kommen".

Feßmann: "Grauenhaft manirierter Text"

Aber auch Meike Feßmann war offensichtlich unzufrieden mit der Auswahl Spinnens, als sie anmerkte: "Ein grauenhaft manirierter Text, dessen Manierismus durch den affektierten Vortrag noch verstärkt wurde und der seine Hauptbotschaft wie eine Fahne vor sich herträgt oder wie eine Vuvuzela hinauströtet, nämlich:  Ich bin Kunst, ich bin Kunst, ich bin Kunst".

Jury (Bild: Johannes Puch)Jury (Bild: Johannes Puch)

Sulzer: "Nach drei Seiten aufgehört zu lesen"

"Ich habe beim ersten Mal lesen nach drei Seiten aufgehört", sagte Alain Claude Sulzer, der zwar "schöne Bilder" in dem Text erkannte, durch das Lesen der Autorin sei ihm der Text aber "total kaputtgemacht" worden: "Nach dem Zufallsprinzip" sei durch Rossmans Vortrag eine "Erregung" erzeugt worden, "es ging rauf und runter", so dass er davon ausgehen habe müssen, dass der Text , den er eigentlich für "interessant und gewagt" befunden habe, "doch anders gemeint" sei als er ihn letztendlich verstanden habe.

Jandl: "Lautgeklingel hat bald gelangt"

"Irgendwo im Text steht: Die Milch kochte über - da könnte man eigentlich schon aufhören mit der Argumentation", begann Paul Jandl, um sich schließlich doch noch zu entschließen, einiges  Erhellendes über die "biblischen Sexszenen" zu sagen.

Trotzdem: "Mir hat das Lautgeklingel bald gelangt. Das sind naive schöne Chagall-Bilder - ich bin nicht ergriffen".

Publikum (Bild: Johannes Puch)Publikum (Bild: Johannes Puch)

Winkels: "Chaostheoretische Selbstähnlichkeit"

Versöhnlichere Töne schlug Hubert Winkels an, der die Analyse seiner Kollegen erst am Anfang des Textes angelangt sah. Der Text Rossbachers sei in seiner "chaostheoretischen Selbstähnlichkeit" "Überschwang" und das "Vermischen und Verzerren" tausender Verben an sich: Die im Kopf des Mannes angesiedelte Erzählerin agiere "grenzensprengend".

Spinnen: "Menschen beim Denken zuschauen"

"Was habe ich da gelesen" habe er, Burkhard Spinnen, sich gefragt. "Zugegeben etwas weniger als meinen eigenen Versuchen den Dingen auf den Grund zu kommen". Aber, hier habe man es auch mit dem "größten literarischen Anliegen" überhaupt zu tun: Dem Versuch, Menschen beim Denken zuzuschauen. "Es wird in Sprache gedacht" und damit werde hier "ernst gemacht", und außerdem: "Ich finde schwangere Murmeln gut".

"Sprache und Text brauchen eine organisierende Instanz, die wird hier  - als kunstvolles Programm -  verweigert", kritisierte Hildegard Elisabeth Keller, weshalb der Text auf sie auch so "erschöpfend" gewirkt habe. Wie im Titel angedeutet werde der Leser mit der Sprache gleich "mitgeschlachtet".

 

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