Anne Richter (D) Jurydiskussion

Anne Richters Text "Geschwister" wurde von Hildegard E. Keller nach Klagenfurt eingeladen. Sie las als zweite dieses letzten Wettbewerbstages. Die Jury war geteilter Meinung.

Anne Richter (Bild: Johannes Puch)Anne Richter (Bild: Johannes Puch)

Videoporträt
Lesung
Diskussion

 

Sulzer: "Schrill und leise zugleich"

Eine Beerdigung in Thüringen ist Ausgangspunkt der Erzählung über das ökonomische Sterben einer Region - eine "klassische Ausgangslage" so Alain Claude Sulzer: Eine Geschichte über die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln, über Geschwisterliebe. Alles in allem bis auf wenige Ausnahmen "gut gemacht". Probleme hätten ihm die teilweise klischierten Figuren bereitet: Also, so eine Onkologin, die so unsäglich reagiert, gibt es in Wirklichkeit nicht, die gehört sonst weggesprengt".

Der Text sei "schrill und leise zugleich", alles in allem aber "doch etwas brav". "Das interessiert mich nicht so brennend", so Sulzer, für den Text weder stilistisch noch inhaltlich etwas Neues bot.

Daniela Striegl (Bild: Johannes Puch)Daniela Striegl (Bild: Johannes Puch)

Strigl: "Blutleer und behäbig"

"Ja man hätte - ausgehend von der Beerdigung - etwas mehr machen müssen, um Fahrt zu gewinnen", schloss sich Strigl dem an. Die Geschichte dieser "dünnflüssigen, leicht blutenden Familie" erscheine ihr selbst etwas "blutleer" und "behäbig" zu sein - ihr fehle die Stringenz, da sich sonst die "Muffigkeit" der Familiengeschichte in den Stil einzuschleichen drohe.

Feßmann: "Gut erzählt"

Eine Lanze für den Text brechen wollte hingegen Meike Feßmann. Diese Geschichte über ein Dorf in Thüringen sei "längst nicht so eigensinnig wie die Popps" und auch eher naiv zu nennen, es gehe im Kern aber darum, wer sich um die zurückbleibenden Alten kümmere, wenn "alle abhauen" - das sei "gut erzählt". Entscheidende Leerstelle sei die Mutter, von der es nur heiße, dass sie sich habe vom Vater scheiden lasse. Der ältere Bruder übernehme daraufhin ihren Platz. "Sehr schön" sei das erzählt.

Hildegard E. Keller (Bild: Johannes Puch)Hildegard E. Keller (Bild: Johannes Puch)

Winkels: "Ein erzählerisches Unglück"

"Ich finde diesen Text nicht leise, sondern sehr schrill", hob Hubert Winkels an. In seiner "Genauigkeit und Drastik" sei der Text "effektheischend", die "Kunst der Aussparung" werde nicht beherrscht, alles sei "genau ausgepinselt". "Ein erzählerisches Unglück, das hier zu besichtigen ist".

Keller: "Emotions- aber nicht herzlos"

Unbeirrt setzte Hildegard E. Keller zur Verteidigung an: Die Autorin, die in "Pastell"- aber auch nur in "Grautönen" erzähle, könne "froh und freudig" hier sitzen. Im individuellen Sterben werde das Sterben einer ganzen Gegend geschildert. Es gehe um zwei Geschwisterpaare, womit eine lebenslange Beziehung in den Mittelpunkt gerückt werde, dargestellt an der Beziehung des Vaters zu einem Bruder und den beiden Geschwistern. Die Geschichte spiele zwar in der DDR, das aber nur wie "hinter Milchglas", sie könne überall passieren.

Auf "sachliche", "emotions- aber nicht herzlose Art" erzähle die Autorin mit dem Sterben von einer menschlichen Grunderfahrung. Diese kleinen Dramen wären "gewiss nicht sensationell" aber in jedem menschlichen Leben wahrnehmbar. Zentral sei auch, wie hier Erinnerung verarbeitet werde.

Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)Burkhard Spinnen (Bild: Johannes Puch)

Spinnen: "Erscheint mir nicht gelungen"

Burkhard Spinnen schloss sich trotz dieser Ausführungen eher dem Urteil seiner Kollegen an.  Wenn in der Realität gestorben werde, sei das weil der Tod die "biologische Zutat" zum Leben sei. In der Literatur würde er jedoch immer "für etwas" eingebaut. Hier sei es die sterbende Region, die sich im Zerbrechen und Sterben der Familie widerspiegle. 

Der Text sei auf klassisch-traditionelle Art gebaut, so Spinnen, wobei er der Autorin ihre "Diskretion" hoch angerechnet sehen wollte. Leider sei ihm der Text beim Lesen "vielfach auseinandergedriftet", die Beziehungen seien für ihn "nicht mehr wahrnehmbar" gewesen. "Mir scheint das nicht gelungen zu sein".

Jandl bleibt unbefriedigt zurück

Und Paul Jandl setzte nach: "Klar wird nicht, warum etwas passiert. Alles bedeutet im Kleinen etwas, im Großen aber wieder nichts. Über die bloße Beschreibung hinaus lässt mich das unbefriedigt zurück".

 

Barbara Johanna Frank

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