Der 36. Ingeborg Bachmann-Preis ist eröffnet

"Gnadenlos groovy und funky" war die Musik, die auch heuer die Tage der deutschsprachigen Literatur einläutete: "Sass n Brass" war im 36. Jahr des Ingeborg Bachmann-Wettbewerbes angesagt.

Jeden Sommer aufs neue wird Klagenfurt zum Sehnsuchtsort des Literaturbetriebs und - für einige wenige Tage - zur "Literaturhauptstadt" Europas. Und so mache sich jedes Jahr "ein ganz eigener Wanderzirkus" auf zum "Familienausflug der Literatur" nach Kärnten, so Moderatorin Clarissa Stadler, nie nunmehr schon zum vierten Mal das literaturaffine Publikum im ORF -Theater begrüßte.

TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)

"Erster" Bachmannpreis für Landesdirektorin Bernhard

Der "erste" Bachmann-Preis ist es heuer hingegen für die neue Landesdirektorin Karin Bernhard, die meinte, sich ganz außerordentlich auf diesen "besonderen Menschenschlag" zu freuen - "und das, obwohl der Literaturbetrieb wie die Occupy-Bewegung in Klagenfurt einfällt", lächelte Stadler.

Karin Bernhard_Eroeffnung TDDL 2012 (JohannesPuch)Karin Bernhard_Eroeffnung TDDL 2012 (JohannesPuch)

Seit 20 Jahren dabei: Juryvorsitzender Burkhard Spinnen

In ihrer Eröffnungsrede hieß Karin Bernhard die Autoren und die "hochkarätige Jury" willkommen und verriet dabei auch, dass einer in diesem Jahr schon 20 Jahre dabei ist: Juryvorsitzender Burkhard Spinnen. Dann hob Bernhard ganz bewusst eine Frau in den Vordergrund, die sich wie immer bescheiden in die hinterste Reihe gesetzt hatte: Ulrike Fink, die Witwe des Bachmann-Preis-Erfinders Humbert Fink. Der zweite, ganz besondere Ehrengast des Abends sei die Schriftstellerin und Holocaust-Überlebende Ruth Klüger, die sich mit dem wohl berühmtesten Bachmann-Zitat auseinandersetzen werde: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar". Die Literatur spreche Wahrheiten aus und rege zum Nachdenken an, so Bernhard - das sei bei der Vorjahres-Gewinnerin Maja Haderlap - die sich ebenfalls unter den Eröffnungsgästen befand - besonders deutlich geworden. Mit Hugo Ramnek sei wieder ein aus Kärnten stammender Autor dabei.

Unverwechselbares und einzigartiges Aushängeschild

"Das Wettlesen ist der Beweis, dass es noch Denker gibt. Der Bachmann-Preis ist der Beweis für den gelebten Bildungsauftrag des ORF und eines der bedeutendsten Literaturereignisse im deutschsprachigen Raum", so Bernhard. Die Landesdirektorin erinnerte auch an den Anfang des Jahres verstorbenen Bühnenbildner H. P. Maja, der den Tagen der deutschsprachigen Literatur 25 Jahre lang ein Gesicht gegeben hat und hieß gleichzeitig das neue Gesicht Hanno Kautz willkommen.

TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)

"Es gibt viel zu hören und zu sehen"

Der Bachmann-Preis wird seit 24 Jahren live auf 3sat übertragen. Es sei eine Besonderheit, dass Literaturkritik live vor laufender Kamera stattfinde, so Bernhard, die Hubert Novak, dem 3sat-Redaktionsleiter dafür ihren Dank aussprach. Ohne Sponsoren wie Kelag, BKS und Uniqua sei das alles nicht möglich.

"Wir sind alle vom Literaturvirus befallen", gestand schließlich
Vizebürgermeister Albert Gunzer: Ihm sei es ein großes Anliegen, die junge wie die ältere Bevölkerung Kärntens miteinzubinden. Besonders erfreut zeigte sich Gunzer über den Umstand, dass sich auch Klagenfurts ehemaliger Stadtschreiber Karsten Krampitz unter den Eröffnungsgästen befand. Er sprach dem - noch unbekannten zukünftigen Publikumspreisträger die Einladung aus, nach Klagenfurt als Stadtschreiber zu kommen. Literatur ohne Kritik sei wie Suppe ohne Salz, dementsprechend freue er sich auf spannende Tage der deutschsprachigen Literatur.

TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)

... was "die Schuld von 3sat und ORF" ist

"Dass der Ingeborg Bachmann-Preis gehört und gesehen werden kann, ist die Schuld von 3sat und ORF". In diesem Sinne bat Clarissa Stadler den Redaktionsleiter von 3sat Österreich, Hubert Nowak, auf die Bühne. Coram publico machte er sich "ein paar Gedanken" über die Wahrheit, die für Ingeborg Bachmann immer ein großes Thema gewesen sei.

TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)

"Alles was du tun musst, ist einen wahren Satz zu schreiben"

"Alles was du tun musst, ist einen wahren Satz zu schreiben - so einfach ist das. Daraus entsteht die wahre Geschichte als Teil des wahren Lebens. Aber jeder der schreibt kennt sie: die Angst vor dem weißen Papier, dem ersten Satz, der ersten Wahrheit", so Nowak, dabei Ernest Hemingway zitierend. Und "das alles nur, damit dieser erste Satz, diese Wahrheit hier zerpflückt werden kann - manchmal zu Recht, manchmal damit sich der Zerpflücker erhabener fühlen kann". Was Wahrheit sei, sei eine Frage, die die Menschheit schon länger als 2000 Jahre beschäftige - "dabei ist es eigentlich so einfach oder nicht?", so die - rhetorische Frage - Nowaks, der schließlich hinzufügte: "Als Ernest Hemingway glaubte, diese Hürde, die Suche nach den Wahrheit in den Sätzen nicht mehr überpringen zu können, hat er sich erschossen".

Der "wahre Satz von Klagenfurt" werde über Fernsehen, Radio und Internet verbreitet, der falsche allerdings auch. Zwischen Olympia und anderen Sport-Events würden mit dem Bachmannpreis nun die "wahren Sätze" ihre Chance gekommen: Jetzt ist ihr Zeitfester gekommen, die Arena ist bereit".

TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)

Die Klagenfurter Rede von Ruth Klüger

Schließlich las Ruth Klüger ihre mit Spannung erwartete Rede - was die über 80-Jährige allerdings nicht vom Papier tat, wie bisher alle anderen Redner vor ihr, sondern von ihrem Tablet-PC. Klüger beschäftigte sich mit dem wohl am häufigsten verwendeten Zitat Ingeborg Bachmanns, dem Satz: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar" mit der Schwierigkeit der Wahrheitsfindung in Literatur und Leben. Die Dichtung möge ja ein Labyrinth von Irrwegen sein, die jedoch immer noch einen Ausweg, den Weg zur Wahrheit, in Aussicht stellen würden.

TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)

RUTH KLÜGER: KLAGENFURTER REDE ZUR LITERATUR

Die Autorin, die den Holocaust überlebt hat, schloss ihre Rede mit einer Aufforderung an die Teilnehmer am Bachmann-Wettbewerb: "Ich wünsche Ihnen für die nächsten Tage Wege zu See, er ist da, man muss nur hinfinden wollen."

"Sich der Wahrheit über die Sprache zu nähern, wie Ruth Klüger es so souverän ausgeführt hat, wird in den nächsten Tagen auch die Aufgabe der Juroren sein", meinte Clarissa Stadler, die damit auch das neue Mitglied der Jury vorstellte: Corinna Caduff sei als langjähriges Mitglied des Literaturclubs im Schweizer Fernsehen durchaus "fernseherprobt".

Spinnen: "Schön dass sie mich immer noch ertragen...

Schließlich ging Burkhard Spinnen daran, seine Eröffnungsrede zu halten. Er nahm sein 20 Jahr in Klagenfurt zum Anlass, zurückzublicken.

TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)

"Das ist mein 20 Jahr, 1992 habe ich als Autor hier gelesen, damals war alles noch sehr neu, es war meine fünfte oder sechste öffentliche Lesung überhaupt". In diese vergangenen 20 Jahre falle nicht nur seine primäre Familienphase und er habe 20 Bücher bekommen - auch die Weltgeschichte habe so einiges abgeliefert. Damals, zu Beginn seiner Bachmann-Zeit, habe der yugoslawische Staat begonnen zusammen zu brechen und so mancher habe den Geschützdonner über die Karawanken herauf gehört. Es sei - weit mehr als heute - in ideologischen Kategorien gedacht worden. "In der großen Lücke, die die Ideologien hinterlassen haben, hat sich die Ökonomie hineingedrängt", so Spinnen. Die Welt sei heute durch und durch von der Ökonomisierung geprägt, so Spinnen, der die Finanzmärkte heute mit den Göttern der griechischen Mythologie verglich.

Die Ökonomie als Gottheit unserer Zeit

Die Ökonomisierung sei selbstverständlich auch in das Metier der Literatur eingedrungen. Gerade deshalb kehre er auch nach 20 Jahren so gerne nach Klagenfurt zurück, so Spinnen: Trotz des vielen Sprechens über literarische Castingshows und das Produzieren von Bestsellern, gehe es im Wesentlich darum, Leuten zuzuhören. Dabei sei davon auszugehen, dass es der vorlesenden "Jugend" nicht um ein "ökonomisches Lebenskonzept" gehe, sondern dass sie ein "unabhängigter Drang dazu gebracht hat". Wer zuhöre, tue das "um zu verstehen - bis man am Ende sagt: dem wünschen wir das Beste" so Spinnen. "Tun wir für ein paar Tage mal so, als gingen wir dahin zurück, wo wir mal waren, in die Kindheit, wo uns jemand was vorgelesen hat, um es am nächsten Tag am Schulweg jemanden zu erzählen", so Spinne, der seiner Eröffnungsrede den lapidaren Nachsatz hinzufügte: "Schön dass sie mich immer noch ertragen...

"Solange sie da sind, kann dem Bewerb nichts passieren"

"Solange sie da sind, kann dem Bewerb nichts passieren, meinte Clarissa Stadler dann, bevor es zur Auslosung der Lesereihenfolge ging: LESEREIHENFOLGE 2012

Mit Hinweisen auf den ersten Lesetag - Beginn ist um 10.15 Uhr - und die Live-Übertragung in 3sat und Internet wurde schließlich das Kelag-Gartenfest mit Buffet eröffnet.

TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)TDDL 2012 Eroeffnung (Bild: Johannes PUCH)

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