Stefan Moster (FIN) Jurydiskussion
Was bleibt vom Leben? Was wird erzählt?
Schreiben, um das Chaos im Kopf zu bändigen: Stefan Mosters Text „Der Hund von Saloniki“ eröffnete die 36. Tage der deutschsprachigen Literatur an diesem ersten Klagenfurter Lesevormittag. Der Text stellte den TDDL 2012 die Frage voran, welche Ereignisse in einem Menschenleben sich an dessen Ende zur individuellen Lebensgeschichte verfestigt haben und prägend sein werden: Große Kontroversen bei der Jury, die sich am Ende zumindest darauf einigen konnte, dem Text weder in der völlig negativen, noch in einer völlig positiven Leseweise gerecht zu werden.
Es war einmal einer… in Kärnten
Ein Hundebiss ins Bein, wieder erinnert, wird zum Ausgangspunkt der Erzählung. Den Protagonisten verschlägt es nicht nur nach Saloniki, sondern auch nach Kärnten, das sich damit gleich zu Beginn des Wettlesens zum Ort für die Literatur, zum literarischen Ort, verdichten sollte.
„Eine erzählerische Meditation über das Erinnern und Vergessen“ sei dieser Text, meinte Hubert Winkels. Hier gehe es um die Formen des Erinnerns in unserer Kultur, ein Plädoyer für das Erzählen als Aufhebung des Vergessens.
Das sei „ruhig und intensiv vorgetragen, ruhig und intensiv erzählt“, wobei sich der „konkrete Stil des Textes „großer Reflexionen“ enthalte. Das sei dem ersten Anschein nach die „etwas harmlose Rückblende“ eines Vaters. Bei mehrmaligem Lesen erst zeige sich, dass da etwas nicht stimmt, weshalb er „große Bewunderung für den inneren Bau der Geschichte“ entwickelt habe. In seiner „mitteleuropäischen Einsamkeit und Isolation“ erinnere ihn der Protagonist der Geschichte an einen der „verlorenen Helden“ bei Camus. Die Pointe der Geschichte sei, dass sich der Held an eines der Schlüsselereignisse in seinem Leben, an einst mit Bedeutung geladene „Lebenskostbarkeiten“, wie es im Text heiße, zuerst gar nicht erinnere, weil diese so undramatisch gewesen seien.
Keller: "Es darf gebellt werden"
„Es darf gebellt und gejault werden“ hob Hildegard Keller mit ihrer Kritik an. Sie habe es interessiert, wie hier die Zeitebenen miteinander verzahnt werden. Hund und Mann und Hund und Tochter – das alles sei sehr anregend um über das Handwerk des Schreibens nachzudenken. In der Binnenerzählung des Textes würden die 80er Jahre wie im Traum und dabei doch realistisch erzählt.
Caduff forderte schärfere Konstruktionskonturen ein
Er war ein Hund. Was für ein wunderbar-lapidarer Satz! Das braucht Mut“, meinte Corina Caduff, die sich zu Beginn auch noch „begeistert von den beiden Eröffnungsszenen des Textes“ zeigte. Ihr Problem habe sie mit dessen Mittel- und dem Schlussteil: „Die Freuden und Leiden der Interrail-Generation“ hätten da an Substanz verloren, der Text verfolge seine Spur nicht konsequent genug, man müsse regelrecht suchen. Sie, hätte sich „schärfere Konstruktionskonturen“ gewünscht – auch wenn sie die Sprache sehr geschätzt habe. Trotzdem: da sei zu viel an den Haaren herbeigezogen.
Selten gehörte Wörter, aber zu wenig Realismus für Strigl
„Ich habe auch so empfunden“, meinte dann Daniela Strigl. Wörter wie „trollen“ höre man nur noch selten. Einzelne schöne Sätze hätten sie beeindruckt, so die Jurorin. Der Hund sei natürlich ein psychoanalytisches Symbol, stelle in der Traumdeutung den Eros dar. Dieses Moment werde allerdings nicht ausgelotet. Hier werde der Hund auf der realistischen Ebene erzählt, wobei sie die Attacke des Hundes auf einen Schlafenden ausgesprochen unrealistisch gefunden habe. Jeder außer der Protagonist würde Tollwutangst bekommen haben.
Spinnen lobte unendlich traurigen Text
Hier schaltete sich Burkhard Spinnen ein: Ihm sei bei der ersten Lektüre auch alles etwas „harmlos eingerichtet“ erschienen, doch Hubert Winkels habe den Kern der Geschichte getroffen: Warum erlebe ich mit 18 eine solche Katastrophengeschichte und alles geht schief? Mit großem erzählerischem Aufwand erzählt, zeige die Geschichte das fatale daran, wenn Reflexion und Erleben zusammenfallen. „Ein unendlich melancholischer und trauriger Text über unser Leben“, so Spinnen. „Alles was wir an Bedeutung aufbauen ist unsicher in Bezug darauf, ob es am Ende wirklich diese prägende Kraft für unser Leben haben wird. Eine „große Kapitulation: die gefühlt-großen Momente taugen dafür gar nicht“.
Feßmann: "Des Guten zu viel, alles ist hier Besonders"
Meike Feßmann zeigte sich da viel skeptischer: Ihr sei das alles des Guten zu viel, dauernd werde erzählt „wie besonders“ alles ist. Die Konstruktion mit der Tochter gehe nicht richtig auf, sie solle als Pendant des Vaters wirken, werde jedoch behandelt wie ein Kindergartenkind. „Ich glaube dem Text nicht“, so Feßmann, das sei „reines Dekor“, Das Grundproblem: Die realistisch erzählte Hundesezene werde in einen Traum reingepflanzt: „Sentimental“ .
Jandl ortete "motivische Auslegware"
„Kein Tier kann so wenig es selbst sein, wie der Hund: Er ist nie einfach nur ein Hund, sondern steht immer für irgendetwas“, meinte der ebenfalls skeptische Paul Jandl. Das sei „motivische Auslegware“, die Hundegeschichte werde zur Existenziellen „hochgejubelt“, mit dem dementsprechenden Material der existenziellen Literatur wie der sengenden Sonne, der Einsamkeit, wobei die Lage des Protagonisten von Motiv zu Motiv damit „bebildert“ werde. „Die Exemplifizierung des Sprichwortes: Den Letzten beißen die Hunde“, so Jandl bissig.
Außerdem: Wenn jemand gebissen werde, müsse doch eine Narbe bleiben, die an das Erlebnis erinnere, wie könne man das vergessen? , so Jandl, der sich von Spinnen für seine Kritik gefallen lassen musste, wie ein "stalinistischer Zollbeamter" an den Text herangegangen zu sein.