Mirjam Richner Jurydiskussion

Mirjam Richner war die dritte im Bunde, die mit ihrem Text den ersten Lesevormittag bestritt. Die Schweizerin wurde von Jurorin Meike Feßmann nominiert und las aus dem Text "Bettlägerige Geheimnisse" vor. Einigkeit über die Ausrichtung und Qualität des Textes gab es keine.

Mirjam Richner (Bild: Johannes Puch)Mirjam Richner (Bild: Johannes Puch)

Realität oder Fiktion?

„Gott ist Schriftsteller“, stellt die Protagonisten der Schweizer Autorin Mirjam Richner fest, um diese Erkenntnis gleich wieder zu verwerfen. Ist die Lehrerin doch gemeinsam mit ihrer Freundin gerade von einer Lawine in einer Hütte verschüttet worden. Oder doch nicht? Denn es bleibt unklar, ob Richners Text „Bettlägrige Geheimnisse“ nun eine surreale Geschichte ist oder doch einen realistischen Hintergrund besitzt.

Strigl: "Man träumt nicht so säuberlich"

Diesmal begann Daniela Strigl: mit den genannten Literaturen wie Marlen Haushofers „Die Wand“ oder Markus Werners „Zündels Abgang“ würden die Referenzen des Textes gleich offen gelegt. Es gebe eine Extremsituation, zwei Menschen würden mit sich selbst konfrontiert, wobei es eben darum gehe, ob man "genug Luft in einem abgeschlossenen Raum" habe. Aber, so Strigl, der Text habe ein „gravierendes Glaubwürdigkeitsproblem“, z.B: „Wie ist es möglich in einem selbst gegrabenen Tunnel zu ersticken? Was treibt die Figur zu ihren Handlungen, etwa dazu, sich ein Messer in die Hand zu rammen? Fragen, die für sie bei diesem eigentlich realistisch erzählten Text unbeantwortet blieben. Das alles sei nicht logisch, überhaupt werde hier die „Selbstdiagnose“ (es geht um „emotionale Kälte“) zu überdeutlich betont. Das positive Gegenbeispiel: Vor einigen Jahren habe man von Kathrin Passig einen Text gehört, der zwischen Wahn und Realität changiert – hier, sei dieses Wechselspiel nicht geglückt. Dieses Burn out zweier Lehrerinnen sei „zu sehr im Alltäglichen verhaftet“, um funktionieren zu können. „Ich wage zu behaupten: Man träumt nicht so säuberlich“.

Daniela Strigl (Bild: Johannes Puch)Daniela Strigl (Bild: Johannes Puch)

Das alles ergebe sich nicht aus der Logik, überhaupt werde hier die „Selbstdiagnose“ – es gehe um „emotionale Kälte“ – zu überdeutlich betont. Das positive Gegenbeispiel: Vor einigen Jahren habe man von Kathrin Passig einen Text gehört, der zwischen Wahn und Realität changierte – hier, sei dieses Wechselspiel nicht geglückt. Dieses Burn out zweier Lehrerinnen sei „zu sehr im Alltäglichen verhaftet“, um funktionieren zu können. „Ich wage zu behaupten: Man träumt nicht so säuberlich“.

Winkels: Wo die Basis des Textes ist, bleibt unklar

Auch Hubert Winkels war die Basis des Textes „unklar“, da die inneren Vorgänge der Figur inkonsistent geschildert würden. Ganz nach dem Motto: „Alles geht – bei dieser Metaphorisierungsmaschine“. Deren Thema: „Was passt an Gedanken in ein Gehirn, und soll ich sie loslassen“. Wobei die Figur „total stabil“ sei, während rundherum Chaos herrsche: Das sei die Vorführung der „totalen Souveränität über das Chaos“.

Jandl: Das ist gegen den strich gestriegelt"

„Das ist nicht nur gegen den Strich gebürstet, ich wage zu behaupten das ist gegen den Strich gestriegelt“, schien Paul Jandl zu anfangs noch heiter gestimmt, um schließlich mehr oder weniger kurzen Prozess mit der Geschichte zu machen und „mehr Vernunft“ für diese „Wahnsinnsgeschichte“ einer „kognitiven Dissonanz“ einzufordern. Denn ohne Referenzpunkt in der Wirklichkeit lasse sich einfach alles erzählen. „Die Frage ist doch, wo ist der Rahmen, was bleibt von der Wirklichkeit übrig?“.

Caduff: Mainstreamig-saloppe Sprache im "Hanni- und Nanni-Stil"

Die Sprache sei hier „recht salopp, lapidar und ein bisschen mainstreaming“, urteilte Corina Caduff, keinen Wahn, sondern eine „lockere Konversation“ erkennend. Der „Hanni -und- Nanni-Stil“ des Textes sei auf ein ernsthaftes Thema appliziert worden, was der Geschichte "gute Reibungsmöglichkeiten" eröffne. An die Autorin direkt gerichtet ging der Rat, die in die Geschichte eingestreute Lyrik wegzulassen. „Trauen sie ihrer Prosa!“so der Rat Caduffs an Richner - was in den Gedichten vermittelt werde, müsse direkt in die Geschichte integriert werden.

Paul Jandl, Corina Caduff (Bild: Johannes Puch)Paul Jandl, Corina Caduff (Bild: Johannes Puch)

Keller: Der Text wuchert in alle Richtungen

Hildegard Elisabeth Keller sah die Jury mit dem Text „irgendwo auf dem Weg“, wobei die widerstreitenden Assoziationen zeigen würden, dass dieser zu sehr auseinander klaffe. „Der Text wuchert in alle Richtungen“, so Keller, die Frage sei nur: Welcher Strang, welche Stimme soll stärker werden?“. Denn: Ansätze zu einer starken Gestaltung wären da, wenn es auch noch viel Unentschiedenes im Text gebe. So komme die existenzielle Dramatik einfach nicht zum Tragen. Zwei eingekesselte Menschen scheitern aneinander am Berg – „sofern das überhaupt stattgefunden hat“.

Keller "verblüfft" über Lesart der Kollegen

Meike Feßmann, die Richner nach Klagenfurt eingeladen hatte, zeigte sich „verblüfft“ über die Lesarten ihrer Kollegen. Schon der Titel „Bettlägrige Geheimnisse“ zeige doch, worum es hier gehe: eine morgendliche Fantasie, kurz nach dem Aufwachen. Das „Bunte“, „das Hin und her“ des Textes sei gerade seine Qualität. „Ein völlig surreales Setting erlaubt alles: „Denkend, forschend, untersuchend“ bewege sich der Text fort, in dem sich das ICH als „Behälter für Schöpfung“ wahrnehme. Das Ich ließe sich als Wahrnehmender, als schreibender Mensch charakterisieren, der sich frage: Was habe ich alles? Das surreale Setting werde zwar von der realen Lebenswirklichkeit zweier Junglehrerinnen durchbrochen , wie ein „Strauß bunter Luftballons“ sei der Text aber vielfältig und spiegle die Kreativität des Schriftstellers wider. „Das ist listig gemacht“, so Keller.

Spinnen nicht überzeugt

Ganz überzeugt hatte sie Juryvorsitzenden Burjhard Spinnen mit ihren Ausführungen aber nicht: Grundsätzlich habe ihm die „ein bisschen girliehafte Junglehrer-Alltagsrealität“ gefallen, die dann von einer Katastrophe durchbrochen werde. Er fühle sich in puncto “Surrealität“ aber an einen Deutscharbeit erinnert, die man schreiben müsse und am Ende bemerke: „Scheiße vergessen, nicht gemerkt – das wird eine Sechs“. „Das könnte was haben und hat an manchen Stellen auch was“, so Spinnen . Leider „fasere diese mit surrealen Reflexionen durchwobene „alltagsrealistische Darstellung“ zu sehr aus.