Matthias Senkel Jurydiskussion
Winkels fand Preis für die Satire "zu hoch"
Eine Kuranstalt für Schriftsteller mit Schreibblockade, in der sich ein gescheiterter Finanzjongleur auf der Flucht versteckt, ist in Senkels Geschichte der Schauplatz des Geschehens, zu der wieder einmal Hubert Winkels als erster etwas zu sagen hatte: „Eine kluge und witzige Geschichte, intelligent und gut gebaut – fast schulbuchmäßig“ – wobei der Witz der Geschichte dann doch irgendwann „etwas vorhersehbar“ für ihn geworden sei. Man merke sehr bald, dass einfach alles, was erzählt werde, Teil der Geschichte oder seiner verschiedenen Versionen sei. Die Realität hier sei ein “Möbiusband“, eine Unendlichkeitsschleife, was zwar „ganz schön durchgeführt“ worden sei, gleichzeitig aber auch das Problem illustriere, was passiere, wenn man "zu viel" auf zu engem Raum zeigen wolle: Die Sprache erstarre zum Protokollstil, „das macht einen auf Dauer verdrossen“, so Winkels: „Die starre Sprache hier ist der Preis für die Satire – mir ist er zu hoch“.
Feßmann gelangweilt: Kein ästhetischer Mehrwert
„Eine typische Klagenfurtgeschichte über das Schreiben“, begann Meike Feßmann, der man bereits in den ersten Sätzen anmerkte, dass sie sich für Senkels Geschichte so gar nicht begeistern konnte. „Der Witz funktioniert, aber nur über die Idee. Der Autor hat keinen Stil und sobald die Idee begriffen wurde, worum es hier geht, wird es langweilig“. Der Autor ziehe sich zwar „intelligent aus der Affäre“, die Geschichte bleibe letztendlich aber ohne ästhetischen Mehrwert.
Caduff hätte gerne mehr gehört: In der Idee liegt viel
Corina Caduff hätte im Gegensatz zu Kollegin Feßmann gerne „mehr gehört“. „In der Idee liegt viel“, diese werde hier aber nicht ausgeschöpft , was ebene ein Platzproblem sei: „Viel Substanz und Stoff“ werde hier in einer Art „Exposé“ mit „vielen Lücken und Sprüngen“ und „sehr komprimiert“ vorgeführt, wobei das Thema locker für einen Roman von 100 bis 200 Seiten gereicht hätte. Die Jurorin sah deshalb „zu wenig Raum“ für diese Art von Literatur, die sich nicht ausreichend habe entfalten können.
Jandl: "Protokollstil" ist Mittel der Satire
Da schaltete sich – nicht zum letzten Mal in dieser Diskussionsrunde – Paul Jandl ein: Der von den Kollegen bemängelte Protokollstil sei doch Mittel der Satire, das „zurückhaltende Sprechen“, mache das Setting der Geschichte erst so richtig deutlich und sei auch notwendig. Würde die Sprache auch noch „hyperventilieren“, funktioniere dieses Spiel über den „paranormalen Literaturbetrieb“ doch gar nicht. Das sei mit „subtilem Witz“ erzählt, woraufhin ihn Meike Feßmann unterbrach: „Das ist doch sprachlich arm und ganz und gar nicht subtil!“ Dabei bekam sie auch noch Schützenhilfe von Corina Caduff.
Unbeeindruckt davon, hielt Paul Jandl weiter an seinem Autor fest: Der Text illustriere anhand seiner Fragmente und Paratexte die Schöpfung von Literatur und Welt und funktioniere als Nachdenken über Literatur: „Das muss in dieser literarischen Kuranstalt (gemeint war der Klagenfurter Bewerb selbst) ja noch möglich sein!“
Strig verlor Satire "zu schnell an Fahrt"
Daniela Strigl bemerkte: Sie wundere sich etwa über die Unersättlichkeit, mit der heuer bei Texten nach „mehr“ verlangt werde. Sie selbst erfahre in diesem „subtil gewobenen“ und „raffiniert gemachten“ sowie „intelligenten Text“ schon wieder fast zu viel, wobei ihm seine Sprache eben „nicht vorwerfbar“ sei – „absolut legitim, mit dieser konzilen Sachlichkeit zu erzählen“, so Strigl. „Trotzdem verliert diese Satire, so rasant sie beginnt, an Fahrt“.
Keller bemängelte zu viele "Stoßrichtungen"
Hildegard Elisabeth Keller bemängelte den „hybriden Charakter“ der Geschichte, die „zu viel Stoßrichtungen“ aufweise: zuerst historisches Drama, dann Satire auf den Literaturbetrieb, dann auf das Bankwesen, schließlich Thriller oder doch ein Text über die Kolonialzeit – man gerate von einem Aha-Effekt in den nächsten. „Der Text riss mich beim Lesen immer wieder in eine neue Richtung“, was ihre Haltung zum Text, der „zu komprimiert“ sei, etwas gespalten mache: „Etwas inflationär“ das alles, und zu wenig subtil.
Spinnen: Abneigung gegen Texte über literarische Schaffenskrisen
„Ich bin wieder einmal fasziniert davon, wie ich wieder einmal allem was gesagt worden ist, zustimmen kann“, begann Burkhard Spinnen, der aber auch aus seiner „Abneigung gegen Texte über literarische Schaffenskrisen“ kein Hehl machte. Immerhin ergehe es ihm als Autor „täglich nach dem Aufstehen“ so. Außerdem sei die Frage zu stellen, „wie ergiebig“ solche Texte sein könnten. Spinnen verglich Senkels Text mit der Arbeit eines Jongleurs: „Er zeigt, dass er mit allen zwölf Keulen jonglieren kann – hat aber das gleiche Problem wie der Jongleur, nämlich, dass er jedes Ding nur ganz kurz berühren kann. Das ergibt zwar tolle Effekte, doch die Rätsel des Universums bleiben letztendlich ungelöst. Dieser Finanzjongleur gerät dahin, wo er eigentlich hingehört, in einen Ort für gescheiterte Künstler“. Das nötige ihm zwar insgesamt Respekt ab, er gehe aus dem Text aber raus „wie aus einer Zirkusvorstellung“.
Jandl: Texte wegen ihrer Intelligenz nicht misstrauisch beäugen
Da holte Paul Jandl noch einmal zum Gegenangriff aus: „Es darf doch wohl nicht so sein, dass Texte ihrer Intelligenz wegen, misstrauisch beäugt werden“. Spinnen: „Das haben sie jetzt aber nicht in meine Richtung gesagt?“ Worauf Jandl - wieder einmal äußerst bissig - zurückwarf: „Nein, ihr Interesse an Intelligenz ist mir geläufig“. Nach einem Diskurs über die Möglichkeiten eines Textes - reicht das Thema für einen Roman oder doch nur für eine Erzählung aus? – war Jandl dann auch das Schlusswort vorbehalten, das schon fast wie ein Plädoyer bei der Preisverleihung klingen sollte: „Dieser Text von sieben Seiten wirft seine Kugeln bravourös in die Luft und hält sie am Ende alle in der Hand“.