Nadine Kegele (A) Jurydiskussion
Eine Mutter im Koma und Nachbarinnen, die „die Füchsin“ und „“Contessa“ heißen. Frauenfreundschaften, unglückliche Lebenskonstellationen, eine scheiternde Beziehung. Keine ganz angenehme Geschichte, wie schon der Titel des Romanauszuges verrät, die der Jury am ersten Lesevormittag Rätsel über Rätsel aufgab.
Feßmann: Rudimentäre Sprache als Thema des Textes
Meike Feßmann meinte zu anfangs „erstaunt über die rudimentäre Sprache mit vielen Fehlern“ gewesen zu sein. Dann aber habe sie gemerkt, dass der Text das zu seinem Thema mache: Eine Ich-Erzählerin habe ein Problem mit ihrer eher schlichten Herkunft und sei von einem Architekten schwanger, der das Kind aber nicht haben wolle. Feßmann: „Man möchte den Text retten, weil man Mitgefühl hat für all das Leid, dass hier auf engem Raum dargestellt wird." Dennoch habe sie ihre Probleme mit dem Text, der "literarisch nicht geglückt" sei, obwohl sie "Respekt für das Thema" aufbringe.
Strigl: Der Tag des Schamhaars
„Man muss den Text nicht retten“, widersprach Daniela Strigl. Das hier sei der Versuch dem Zwang, Opfer sein zu müssen, zu entkommen. Es gäbe aber noch viele andere Parameter, die fragmentarische Erzählweise sei dem Pathos des Themas entgegen gesetzt. Sie habe ihn aber dennoch um einiges leichtfüßiger gelesen, als es im Vortrag der Fall war. Der Text lasse, „mit kleinen feinen Beobachtungen“, auch Raum für Humor. „Außerdem scheint heute der Tag des Schamhaares zu sein“, so Strigl, die damit die Lacher auf ihrer Seite wusste.
Winkels: Ein Spurenlesen im Ungefähren
Hubert Winkels kritisierte, dass die Schwangerschaft der Protagonistin noch das Einzige sei, worauf man sich einigen könne. Alles andere – wer was ist und macht - könne nicht eingeschätzt werden. Es mangle der Geschichte komplett an Konsistenz. „Es ist ein Spurenlesen im Ungefähren“, „wir müssen hineinprojizieren was der Text verrätselt oder nicht hat – ich weiß es nicht zu sagen“.
„Es hat etwas mit Brüsten zu tun“, begann Paul Jandl. Das Geheimnisvolle des Textes habe etwas mit seiner reduzierten Sprache zu tun, die auf eine ganz eigene Weise prätentiös sei. Als Kompliment wollte der Juror das aber nicht verstanden wissen. „Die Haare lodern am Kopf, vor dem Fenster schießt ein Haus aus dem Boden, der Hahn füllt Noras Wasserglas auf" – dieser Text sei an manchen Stellen selbst verunglückt. „Er müsste neu geboren werden“, so Jandl.
Steiner hörte auf eine Story zu suchen
Als Mittelding zwischen Narration und Assoziation nahm Juri Steiner den Text wahr: Man verstehe nicht was geschieht, das habe „Traumcharakter“, gleichzeitig werde, auch anhand der eingeschobenen Paragrafen, der Versuch unternommen, „aus seinen Reizen etwas zu machen, was man protokollieren kann.“ Als er aufgehört habe eine Story zu suchen, habe er - auf Assoziationen und Sprache beschränkt – durchaus seinen Reiz an der Geschichte gefunden.
Spinnen sprang in die Bresche
Burkhard Spinnen musste gegen die doch herbe Kritik der Kollegen verteidigend eingreifen: Beim ersten Lesen sei es ihm auch so ergangen, nicht alle Fäden hätten sich als geschlossen erwiesen und er habe sich an Dingen gestoßen, die ihm nicht gelungen erschienen wären. Einerseits würde hier Texten ihr „Well-Made-Charakter“ vorgeworfen, wenn sich aber ein Text auf die zu erzählenden Beschädigungen sprachlich einlasse, werde ihm das ebenso zum Vorwurf gemacht. „Dann läuft er Gefahr, dass gesagt wird, das ist nicht ordentlich erzählt".Spinnen: "Ich bin unglücklich verliebt in den Text – die Figur ist oft schonungslos und peinlich, wo sie sich mit ihrem Kinderquatsch selbst ins Wort fällt". Schwer neurotische Dinge würden hier mitgeteilt bei dem Versuch, „Oberwasser“ zu bekommen. Doch: „Ich erfahre hier etwas über die Kinderlosigkeit der Gegenwart und darüber, warum dieser Wunsch nicht in Erfüllung geht". Das Bewusstsein der Figur und deren Haltung würden sehr konsequent und adäquat umgesetzt. „Das schrappt wie mit einem teuren Auto an der Leitplanke an Peinlichkeiten entlang, die Figur will ihren Zustand nicht aussprechen müssen."
Keller tappte im Nebel
Hildegard Elisabeth Keller betonte, sie gehöre zwar zu jenen Leuten, die sich beim Lesen gern an die Grenzen ihrer Lesefähigkeit bringen ließe. Aber mit der Zeit müsse der Leser auch eine Chance bekommen, die Stücke zusammenzusetzen. „Hier tappe ich im Nebel“, jeder könne sich alles zusammenreimen, das werde immer „loser“ und „zerfalle“.
Hier schaltete sich Daniela Strigl noch einmal ein: Sie sehe eigentlich nicht die große Schwierigkeit, den Text zu verstehen. „Der Texte pfeift eben auf Konsistenz“ und sei gar nicht so rätselhaft, wie von den Kollegen angenommen. Strigl meinte jedoch auch: „Wo der Text eindeutig ist, ist der auch am gelungensten“ und nannte dafür das Beispiel: „Die Schürze des Kellners ist keine Friedensfahne“. Das Kind sei hier das übergeordnete Thema: „Kind bleiben, nicht sein dürfen, eines bekommen…“