Bachmannbuch: "...wie auf wunden Füßen"
Die Erzählungen einer alten Dame standen am Anfang des Buchs über Ingeborg Bachmanns frühe Jahre: Die Kärntner Slowenin Magdalena Lipusch leistete bei der Familie Bachmann zwischen 1939 und 1941 ihren Reichsarbeitsdienst. Regina Schaunig hat sie interviewt. "Sie hat erzählt, dass sie in den 14 Monaten, in denen sie dort gearbeitet hat, nie ein Wort mit Ingeborg sprach. In der Früh stand Ingeborg auf, klopfte an ihre Türe und rief immer: Aufstehen, aufstehen. Ich habe sie gefragt, was sie machen musste und sie erzählte mir über die schwere Arbeit. Sie musste Kohle und Holz aus dem Keller heraufbringen und alle Öfen einheizen, die Wäsche waschen - diese ganzen Arbeiten eben, die eine Magd zu tun hat."
Es gibt in dem Buch "… wie auf wunden Füßen" ganz bewusst fast keine Fotos. Umso mehr berühren die beiden Fotos von Magdalena Lipusch auf der Seite 210. Wenn man nicht genau hinsieht, könnten es zwei verschiedene Menschen sein. Auf dem ersten sieht man ein Mädchen mit kurzen Haaren und einem ganz dunklen Kleidungsstück. Höchstens zwei Jahre später, also um 1942, ist das zweite Foto entstanden. Lange, aufgesteckte Haare, ein geblümtes Kleid, eine wirklich hübsche junge Frau.
Ein Buch als "Grenzzaun" in der Schulbank
Kaum Kontakt zu Ingeborg Bachmann hatten in dieser Zeit aber auch ihre Mitschülerinnen. "Die Bachmann war jemand, der zum Teil sehr unnahbar war. Sie hatte in der Schulbank ein Buch neben sich aufgestellt, damit man nicht sehen konnte, was sie macht - vielleicht hat sie Gedichte geschrieben. Sie hat ziemlich klar zwischen Freundinnen und Nichtfreundinnen unterschieden. Es gibt eine Mitschülerin, die denselben Schulweg hatte - sie sind nie zusammen gegangen. Sie ist auch immer sehr spät gekommen und sofort gegangen. Manches Mal wollte sie plötzlich irgendwie Kontakt haben und sie (Anm.: ihre Mitschüler) haben es als aufdringlich empfunden, weil sie sich, etwa bei einem Ausflug nach Kraig, zu sehr an sie anklammern wollte."
Englisch-Lernen im Mädchen-Klub gegen die Nazis
Regina Schaunig hat mit den Bachmann-Freundinnen Ingeborg Haak, Sigilda Schnitzer, Lieselotte Zwenig und Lore Flaschberger Interviews geführt. "Ihre beste Freundin war Ingeborg Frei, später Ingeborg Haak, die heute in Amsterdam lebt. Sie hat erzählt, dass sie in der Oberstufe einen Klub gegen die Nazis gegründet haben. Eine Dreiergemeinschaft, die heimlich zum Englischunterricht bei einer alten Dame am Alten Platz gegangen ist. Man wusste ja nicht, warum Ingeborg Bachmann ein wenig Englisch konnte".
Diese Frage beantwortet das Buch von Regina Schaunig. Viele Fragen werden aber auch nach dem Lesen des Buches offen bleiben, offen bleiben müssen. Der zweite Schwerpunkt des Buches liegt auf einer sehr genauen Analyse der frühen Texte Ingeborg Bachmanns. Regina Schaunig wollte keine Biografie schreiben und keine vollständige Geschichte Ingeborg Bachmanns erzählen, sondern die Texte für sich selbst sprechen zu lassen und sich daran entlang bewegen.
Im frühen Schreiben J.F. Perkonig nachgeeifert
Der Titel des Buches, "... wie auf wunden Füßen", stammt aus einem frühen Text der Autorin. Es ist ein Zitat aus Ingeborg Bachmanns frühem Text "Briefe an Felician". Ingeborg Bachmann himmelt in diesen Texten 1945 den Schriftsteller Josef Friedrich Perkonig an. Es ist die Rede von einem "Geliebten", einem "Herrn", einem "herzallerliebsten Mann". Josef Friedrich Perkonig stand dem Nationalsozialismus sehr nahe. Er spielt beim um 1944 entstandenen Text "Das Honditschkreuz" eine wichtige Rolle. Regina Schaunig: "Man muss davon ausgehen, dass Josef Friedrich Perkonig dieses Buch ganz massiv gefördert hat, dass er sich mit ihr getroffen hat, wie er es auch mit anderen Schülern gemacht hat und ihr ganz konkrete Vorschläge für den Text gegeben hat. Sie hat z.B. Textpassagen aus Perkonigs Werken mit anderen Namen versehen und fast übernommen, sie hat Figuren übernommen. Die Geschichte, die sie erzählt ist aber fast ein wenig kritisch gegenüber Perkonig und der damaligen Blut- und Boden-Literatur."
Der Schmerz verbindet alles miteinander
Ingeborg Bachmann wollte, betont Regina Schaunig, dass ihre Texte gedruckt werden. Sie wollte als Schriftstellerin und als schreibende Frau anerkannt werden. Das gelang weder bei der Erzählung "Das Honditschkreuz" noch bei dem Drama "Carmen Ruidera". Erst 1946 wird die Erzählung "Die Fähre" in der Kärntner Illustrieren abgedruckt. "Man sieht im Prozess ihres Gedichteschreibens, dass das ein wichtiger Moment für sie war, sie stark an Selbstvertrauen gewonnen hat, dadurch, dass sie gedruckt wird. Sie hat zum diesem Zeitpunkt gerade eine Gedichtsammlung zusammengestellt und man muss sagen, es waren eigentlich Schmerzensgedichte und ganz andere als solche, als sie Josef Friedrich Perkonig vielleicht gebilligt hätte. Sie hat begonnen, ihre privaten Texte herauszugeben." Diese Texte erzählen teilweise eine ganz eigene Geschichte. Sie erzählen von Schmerz und Traumatisierung. Regina Schaunig hat ein Gedicht Ingeborg Bachmanns dem Buch vorangestellt:
Frühes Bachmann-Gedicht als Beginn
Ich aber liege allein
im Eisverhau voller Wunden
Es hat mir der Schnee
noch nicht die Augen verbunden.
Die Toten, an mich gepresst,
schweigen in allen Zungen.
Niemand liebt mich und hat
für mich eine Lampe geschwungen"
... "der hat meine Kindheit zertrümmert"
1938 - Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Ingeborg Bachmann schreibt: "Es hat einen bestimmten Moment gegeben, der hat meine Kindheit zertrümmert. Der Einmarsch von Hitlers Truppen in Klagenfurt." schreibt Ingeborg Bachmann. Schaunig vermutet jedoch, dass die Ursachen für die Traumatisierung Ingeborg Bachmanns nicht allein in den Erlebnissen während der NS-Zeit zu finden sind: "Natürlich wurde bis jetzt gesagt, dass der Nationalsozialismus und die Geschichte schuld an der Zerstörung wären, aber wenn man es in der Zusammenschau sieht und Texte und Zeitzeugenberichte liest, muss man davon ausgehen, dass das nicht allein der Grund sein kann - dass es auch im privaten Umfeld etwas gegeben haben muss, das diese Traumatisierung hervorgerufen hat."
Schreiben - Von Beginn an eine Flucht
In Ingeborg Bachmanns Texten verbindet der Schmerz die späten Werke mit den frühen Texten. Schaunig: "Dieser Schmerz zieht sich durch, angefangen bei der 16-Jährigen. Er ist omnipräsent und man sieht, dass sie sich nur über das Schreiben die Literatur über diesen Schmerz erheben kann. Das Schreiben ist eine andere Welt für sie, es ist von Beginn an eine Flucht."
Am Ende ihres Lebens schließt sich für Ingeborg Bachmann der Kreis. "Was sehr auffällt ist, dass das früheste Werk - die Lyrik, die sehr authentisch ist, wo man sieht, es wird unmittelbar nach einem Ausdruck für den Schmerz gesucht - sich wieder mit den letzten und späten Gedichten trifft. Diese können oft gar nicht mehr als Gedichte bezeichnet werden, oft steht nur da: Ich kann nicht schreiben und ich möchte sterben, was man als Rotz und Tränen bezeichnet hat. Hier berührt es sich." Und damit auch die Menschen, die diese Texte lesen. ".. wie auf wunden Füßen. Ingeborg Bachmanns frühe Jahre" ist im Verlag Heyn erschienen.
(Michaela Monschein, "Servus Srecno Ciao" / Radio Kärnten)