Willkommen im Jahr 1
Das Jahr nach dem "großen Zittern"
Wie überaus passend, dass ausgerechnet "Die Unvollendeten" diesen Eröffnungsabend musikalisch einbegleiteten und Moderator Christian Ankowitsch seine erst im letzten Jahr begonnene Moderatoren-Tätigkeit nicht gleich wieder an den Nagel hängen musste. "Eine wunderbare Musik, aus aller Herren Länder", so Ankowitsch über "Die Unvollendeten" in diesem "Jahr 1 nach dem großen Zittern". Der ORF garantiere - laut ORF Generaldirektor Alexander Wrabetz im Programmheft - mit seinen Kooperationspartnern die "langfristige" Absicherung des Bachmannpreises. "Wenn das keine gute Nachricht ist", meinte Ankowitsch und ergänzte: "Herr Wrabetz wird uns übrigens am Sonntag besuchen".
Danach begrüßte ORF-Kärnten-Landesdirektorin Karin Bernhard "alle Ehrengäste", die Autorinnen und Autoren, vor allem aber "Ulrike Fink, die Witwe von Humbert Fink, ohne den es den Bachmannpreis nie in dieser Form geben würde".
Eine "paradiesische Insel" der Literatur
Bernhard stellte das Ingeborg Bachmann-Zitat: Es sind nicht immer die Schiffbrüchigen, die auf Inseln Zuflucht suchen in den Mittelpunkt ihrer Rede, "da wir uns hier auf einer Art Insel befinden und keineswegs Schiffbrüchige sind – im Gegenteil – wir wollen alle auf diese temporäre, paradiesische Insel der Literatur , die Klagenfurt in den Tagen der deutschsprachigen Literatur ist."
ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz wäre im letzten Jahr während "schwerer Turbulenzen" hinter dem Bachmannpreis gestanden und hätten damit "den Fortbestand dieser einmaligen Literaturveranstaltung gesichert", so Bernhard. Die Landesdirektorin betonte außerdem die Wichtigkeit der Kooperationspartner, ohne die der Bewerb nicht stattfinden könne. Vor allem zu nennen sei die Stadt Klagenfurt, die von Anfang an "an Bord" sei und die Landeshauptstadt mit ihren zahlreichen Aktivitäten rund um den Bachmannpreis zur Literaturmetropole mache, wie auch der "jahrzehntelanger Partner" Kelag mit Werner Pietsch.
Namentlich begrüßte Landesdirektorin Karin Bernhard außerdem 3sat-Redaktionsleiterin Petra Gruber, den Technischen Direktor des ORF Michael Götzhaber. Vizebürgermeister und Kulturreferent Albert Gunzer, Landeshauptmann Peter Kaiser, Kulturreferent Christian Benger.
Auch das Land sei weiterhin als Kooperationspartner dabei. "Ein Telefonat habe genügt", um die Bank für Kärnten und Steiermark "in den schwierigsten Zeiten auf der literarischen Insel" Bachmann-Preis landen zu lassen. Dass der Klagenfurter Wettbewerb von "internationaler Bedeutung" sei, beweise, dass heuer auch "Julius Meinl" Partner dieses Literaturereignisses sei. "Herzlich willkommen in Klagenfurt, Jürgen Ellensohn". Last but not least habe der Bachmann-Preis auch die "Unterstützung der hohen Geistlichkeit" in Form des anwesenden Superintendenten Manfred Sauer sowie des Militärpfarrers Manuel Longin. Bernhard richtete außerdem einen "besonderen Gruß" an die deutschsprachige Literaturszene, ohne die der Bewerb nicht denkbar sei.
Unmöglich? "Treten wir hier den Gegenbeweis an"
Bernhard: "Unsere literarische Insel ist etwas außergewöhnlich, schwergewichtig und glitzert – wie sie hier sehen. Und sie steigen überall herum, die echsenhaften Saurier und vielleicht sind die Tage der deutschsprachigen Literatur, der Bachmannpreis, so etwas wie Saurier, etwas das aus der Zeit fällt, aber alles andere als ausgestorben oder versteinert ist, wie unsere Kulissensaurier. Gerade das macht die literarische Insel Klagenfurt so einzigartig. Hier existiert etwas, das es in der üblichen medialen Landschaft einfach nicht gibt. Etwas, das manche für einen Anachronismus halten, ich bin davon überzeugt, das ist die Besonderheit. Im Meer der schnelllebigen Nachrichten, in Zeiten in denen Lesen – noch dazu live im Fernsehen – für unmöglich gehalten wird, treten wir hier den Gegenbeweis an."
Nicht Finanzierbarkeit sondern Inhalte im Mittelpunkt
Dann trat Vizebürgermeister und Kulturreferent Albert Gunzer ans Rednerpult. "Kaum eine andere Literatur- und Kulturveranstaltung erweckt so viel Aufmerksamkeit wie der Bachmann-Preis", so Gunzer, der sich freute, dass nach den Diskussionen im Vorjahr über die Finanzierbarkeit des Bewerbs nun wieder die Inhalte der Texte im Mittelpunkt stünden. Was den Bachmannpreis angehe, würden alle Beschlüsse im Stadtsenat "einstimmig" fallen, die Stadt stehe - samt Kaufmannschaft und Stadtmarketing - voll hinter dem Bewerb und versuche, die Aufmerksamkeit des Publikums bereits vor dessen Beginn auf den Bewerb zu lenken. Nicht zu vergessen sei dabei die Förderung des literarischen Nachwuchses beim nunmehr 18. Klagenfurter Literaturkurses und das "Public Viewing" im Lendhafen. Gunzer dankte dem ORF Kärnten, dem ORF Österreich und wünschte "viel Erfolg, alles Gute und spannende Lesetage" beim Bachmann-Preis.
26 Jahre LESEN LIVE auf 3sat
Eine Besonderheit des Wettlesens ist die Fernseh-Liveübertragung im deutschsprachigen Raum - und das seit 26 Jahren. Petra Gruber, die Redaktionsleiterin von ORF/3sat betonte die Wichtigkeit der Veranstaltung und wurde dabei aktionistisch: Sie hielt Tafeln mit Piktogrammen (Smiley, Herz, Thumbs UP) hoch, um darauf hinzuweisen, wie heutzutage die meiste Zeit "kommuniziert" werde - und wie anders es doch in Klagenfurt zugehe. Dabei sei man vom Ende der Schriftkultur nur noch einen Wimpernschlag entfernt in einer Welt, in der Inhalte die meiste Zeit als "audiovisuelle Häppchen" daherkämen.
Geistige Inhalte vor dem 'Zur-Ware-Werden' schützen
"Um wie viel ärmer wäre unsere Welt ohne fremde literarische Welten". Deshalb müsse man "geistige Produkte und kulturelle Errungenschaften vor dem zur Ware werden" schützen, so Gruber. Über die Welt nachzudenken und sie zu beschreiben sei zwar "nicht rasend ökonomisch" - aber notwendig. Auch der Bachmannpreis sei im Fernsehen "nicht hitverdächtig und quotenträchtig". 20.000 bis 25.000 Zuschauer habe der Bewerb, das sei "wenig und viel zugleich" weil der Bewerb die Frage nach der Relevanz von Kultur aufwerfe. "Einem Sender wie 3sat muss die Sprache ein Anliegen sein, die Kultur in all ihren Facetten - und so darf bei uns live gelesen werden". Der Bachmann-Preis sei nicht nur Kultur, sondern mittlerweile auch "Kult", weil er dem "monetär orientierten Markt" den "Reichtum der Sprache" entgegensetze, so Gruber.
Was lesen Sie gerade?
Schließlich rief Moderator Christian Ankowitsch Julius Meinl-Vorstand Jürgen Ellensohn, die Vorstandsdirektorin der BKS-Bank Herta Stockbauer, den Marketingleiter der Kelag, Werner Pietsch sowie Landeshauptmann Peter Kaiser und Kulturreferent Christian Benger auf die Bühne, um sie zu ihren Lesegewohnheiten interviewen. Als erster - weil neu in der Runde - an der Reihe war Jürgen Ellensohn von Julius Meinl. Danach gefragt, warum "Julius Meinl" den Bachmannpreis sponsere, antwortete er, dass gerade beim Kaffeetrinken schon viel und Großes an Literatur entstanden sei, Meinl "inspiriere Autoren seit 1862", man fühle sich als "Botschafter der Kaffeehauskultur". Er selbst lese gerade Michael Niavaranis: "Der frühe Wurm hat einen Vogel".
"Erfrischend-anachronistisches Wettlesen"
Herta Stockbauer betonte, dass die Treue zur Literatur der BKS nicht auf ökonomische Überlegungen zurückzuführen sei. Der Wert des Wettbewerbs sei für die BKS nicht bezifferbar, man sehe das Sponsoring nicht unter dem "Mantel der Ökonomie" sondern verstehe das Engagement als "Beitrag an das Land Kärnten". Sie lese übrigens gerade "Madita". Bei Kelag-Marketingleiter Werner Pietsch liegt - neben vielen anderen Büchern -Thomas Bernhards "Holzfällen" auf dem Nachttisch. "Man sei als Sponsor "nicht im 30sten, aber im 13 Jahr und sehr stolz", das "erfrischend-anachronistische Wettlesen" als Sponsor zu begleiten.
Landeshauptmann Peter Kaisers "schönste Erinnerung" an den Wettbewerb im letzten Jahr? - "Der Moment, als Alexander Wrabetz "nach heißen Diskussionen" öffentlich verkündet habe, dass der Bachmann-Preis in Kärnten bleibe. Und Landesrat Christian Benger sagte, es gelte Kreativität und kritisches Hinterfragen zu üben, der Bachmannpreis sei "nur ein Bekenntnis des Landes Kärnten zur Literatur" - neben dem Arbeitsstipendium für Literaten, dem Ausbau des Literaturarchivs und der auf neue Beine gestellten Verlagsförderung.
Ein "Neuer" in der Jury: Arno Dusini
Neues gab es an diesem Eröffnungsabend auch wieder in Sachen Jury zu berichten: Arno Dusini wird das Juroren-Septet heuer erstmals vervollständigen, daneben treten erneut Meike Feßmann, Hildegard Elisabeth Keller, Juri Steiner (er ist zum zweiten Mal dabei), Daniela Strigl, Hubert Winkels und Vorsitzender Burkhard Spinnen in Sachen Literatur an.
Eröffnungsrede Burkhard Spinnens
Burkhard Spinnen sprach im Namen der Jury die Eröffnungsworte und beklagte sich, dass Petra Gruber seine Antrittsrede quasi schon vorweg genommen habe, beinah "deckungsgleich" sei das gewesen mit dem, was er habe sagen wollen. Auch Landesdirektorin Karin Bernhard habe "schön daran erinnert", was allen im letzten Jahr ans Herz und an die Nieren gegangen sei - "es war vor zweieinhalb Jahren schon schwer", dann sei es "noch schwerer" geworden.
Wollte mir Bachmannpreis von Ranicki schenken lassen
Spinnen erinnerte an Wolfgang Herrndorf und Marcel Reich Ranicki, mit dem einer der letzten Gründerväter des Bachmann-Preises gestorben sei. Er habe im letzten Jahr das Bedürfnis verspürt, zu diesem nach Haus zu fahren, um sich den Bachmann-Preis von diesem "geistigen Gründervater" schenken zu lassen - "dann gehörte er mir und es gäbe andere Verhandlungsgrundlagen". Spinnen erinnerte auch an die "Gruppe 47", die nach dem Krieg das literarische Leben quasi neu erfand und die an die Vorläufer vor 1933, an die literarischen Salons und die Fontane-Zeit angeknüpft hatte: Einem Menschen falle etwas auf, er schreibe es auf, andere würden zuhören und "neben der Sache auch den ästhetischen Eindruck" beurteilen - das sei eine "anthropologische Konstante" , so Spinnen, die nicht überflüssig gemacht werden könne durch irgendwelche Veränderungen in der Medienlandschaft.
Karen Köhler bleibt krankheitsbedingt fern
Schließlich stellte Christian Ankowitsch Reinhard Taurer vor, der heuer das Bühnenbild gestaltet hat, und musste dann auch noch eine schlechte Nachricht überbringen: Karen Köhler könne nicht am Wettbewerb teilnehmen, sie leide an einer Kinderkrankheit, nichts Außergewöhnliches zwar, wenn man Kinder habe und nichts Schlimmes - eine Teilnahme sei ihr aber dennoch unmöglich. Die letzte Lesung am Samstag entfalle deshalb, es gebe drei Lesungen am Stück. Die Preisverleihung finde am Sonntag, dem 6. Juli, ab 11.00 Uhr statt: Preise und Preisstifter
Damoklesschwert Lesereihenfolge: Wer liest als erster?
Wie jedes Jahr hing auch an diesem Eröffnungsabend die Auslosung der Lesereihenfolge als "Damoklesschwert" über den Autoren, die in diesem Jahr also nur zu dreizehnt sein werden: Die LESEREIHENFOLGE 2014
Haderlap: "Sprechen, Denken, Schreiben vom Rand her"
Dann ging es mit Maja Haderlaps "Rede zur Literatur" zum zweiten Höhepunkt des Abends. Haderlap stellte das Phänomen des literarischen Sprachwechsels in den Mittelpunkt ihrer Rede und ihrem Vortrag die Frage voran: "Kann man heute von einem Rand aus sprechen, nachdenken oder schreiben, in einer Zeit, in der Räume und Entfernungen gleichsam implodiert sind, die Welt im Zustand der Verflüssigung erscheint, neue territoriale Einheiten geschaffen und alte Grenzen verwischt werden?"
Sie wolle versuchen, "von einer Peripherie aus, von der deutsch-slowenischen Sprachgrenze, die für Kärnten prägend ist", darüber nachzudenken. In den vergangenen drei Jahren hätten drei Autorinnen den Bachmann-Preis gewonnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Ganze Wissenschaftszweige hätten sich dieses Themas angenommen, eine wahre Flut an Etikettierungen versuche das Phänomen zu erfassen. "Fast scheint es, als wären die in eine Sprache eingewanderten Autoren das Produkt einer internationalen Transaktion, herausgerissen aus ihren sozialen, kulturellen, sprachlichen Verankerungen und an neue Sprachufer gespült." Dabei, so die Autorin, könnten die Gründe, die zu einem Sprachwechsel der Autorinnen und Autoren führen würden, unterschiedlicher nicht sein. "Am Ausgangspunkt steht viel zu oft die Flucht vor politischer Verfolgung oder Krieg, die Flucht aus Armut und sozialer Misere, ein Studium, eine neue Arbeit, die Liebe mit ihren nachhaltigen Bindungskräften, eine mehrsprachige Lebenssituation."
Identitätsfrage aus dem "Wunsch nach Abgrenzung"?
Die ständig sich wiederholenden Fragen nach der Identität der Autoren würden aber auch einen Hinweis darauf geben, dass sich hier möglicherweise ein "Wunsch nach Abgrenzung" bemerkbar mache, nach einer Markierung des angestammten literarischen Territoriums. Sie habe fast das Gefühl, sich in einer Ruhe vor dem Sturm zu befinden, "in dem man den dazugekommenen Schriftstellerinnen entgegenrufen möchte, sie sollten sich auf ihre Geschichten und Bemühungen nicht allzu viel einbilden, schließlich gebe es noch die angestammten Autoren, denen die Zuflucht-Sprache eigentlich gehöre."
Welcher Kultur sich zugehörig fühlen?
Ihre Erfahrungen nach dem Gewinn des Bachmann-Preises hätten ihre Einschätzung bestätigt, dass ein Sprachwechsel "ein äußerst schwieriger Prozess ist", notgedrungen verbunden mit kulturellen und persönlichen Konflikten. Haderlap ist slowenischer Muttersprache, ihren Roman "Engel des Vergessens" hat sie auf Deutsch geschrieben. Darüber seien ihr viele Fragen gestellt worden, etwa welcher Kultur sie sich zugehörig fühle. "Die Situationen glichen einer fortdauernden Grenzkontrolle." In Kärnten sei die Sprachfrage noch dazu eine ideologische, politische Kategorie gewesen. Sie habe schon als Kind nicht verstanden, warum es besser sein sollte, einsprachig zu sein. Auf Slowenisch zu schreiben, habe sie in den achtziger Jahren auch deshalb getan, um das Zurückweichen des Slowenischen in Kärnten aufzuhalten. Das Schreiben auf Deutsch wiederum habe schließlich "einen Weg aus der Enge der fortwährenden nationalen und sozialen Zuschreibungen" bedeutet. Haderlap ging dann auch auf den Begriff des "Schreiben zwischen den Sprachen" ein. Dies klinge auf den ersten Blick einleuchtend, könne aber das Phänomen nicht erfassen: "Man befindet sich, solange man schreibt, nie außerhalb einer Sprache und ihrer Traditionen." Am Ende zähle aber, wie man mit seinen Identitäten umgehe. An die Stelle von Herkunft und Biografie sollte das literarische Werk treten, denn "es ist der geschriebene Text, der zählt".
Allenthalben geäußerte Thesen, die Sprachwechsel der Autorinnen und Autoren seien Ausdruck der Globalisierung, weist Haderlap zurück. Die Sprache habe ihren Ort, betont sie, der Ausgangspunkt jeder Geschichte liege im Topographischen, ein abgewandeltes Bachmann-Zitat aus der Erzählung "Drei Wege zum See", wo es am Beginn heißt: "Der Ursprung dieser Geschichte liegt im Topographischen."
- MAJA HADERLAP: IM LICHT DER SPRACHE (PDF-DOWNLOAD)
Schließlich erklärte Moderator Christian Ankowitsch das Buffet, die "fünftwichtigste" Sache des Abends, für eröffnet. "Ich weiß den Weg zwar nicht, aber sie werden ihn sicher finden."