Romana Ganzoni (CH) Jurydiskussion
Ganzoni wurde von Hildegard Elisabeth Keller eingeladen, in Klagenfurt vorzulesen. Die Jurykollegen kritisierten die Art des Vortrags heftig.
"Zerschlagen vom platten Vortrag"
Ignis Cool erzählt von einer Autopanne auf einem Pass, die Hauptfigur – eine „Abbrecherin von allem, was man privat und öffentlich“ abbrechen kann überlegt dabei, ob sie ihre Mutter töten soll – und wie. Ob am Ende Mord und Selbstmord stehen, bleibt unklar – der Text bricht vorher ab.
„Im Stillen las ich von einer Frau, die auf einem Berg stehen bleibt“, begann Meike Feßmann, die dabei ein „cooles“ Bild vor Augen gehabt habe, wie sie sagte. „Dieser Kleinwagen bebt vor lauter Energie“ dieser Frau, und der kleine Innenraum sei angefüllt mit einer „lässig-schnoddrigen“, „abgrundtiefen Mutter-Tochter-Geschichte“. Ein Eindruck, der sich durch den Vortrag der Autorin schlagartig zerschlagen habe. „Platt und breit“, habe jeder Satz des Textes seine Dynamik verloren. „Im Stillen“ habe er ihr gefallen, jetzt finde sie ihn „unendlich langweilig“.
"So kaputt gelesen wie man das nur machen kann"
Juryvorsitzender Burkhard Spinnen schälte dann - ganz gegen seine eigentliche Gewohnheit - eine „Tendenz“ des heurigen Bewerbes heraus. „Ich breche hier langsam ein“. Neben Hunden, Fischen, Müttern und Asyl würden sich viele Texte „um Frauen, die nicht mehr ganz jung sind, und sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen“ drehen. Heute Morgen sei das ein monolithischer Schicksalsschlag gewesen (Birgit Pölzl), nun sei es das Ungenügen an sich selbst. Doch die Autorin habe ihr Figur „so kaputt gelesen, wie man es nur machen kann“ und jeden Satz „gefeiert“. „Ich bin geradezu erschüttert: Wie können sie ihre eigene Figur so missverstehen? Ich bin völlig hilflos.“
Vor dem Vortrag habe er dem Text, wie dem Pölzls, eine „beschränkte Aufgabe“ zubilligen wollen, nun sei ihm das unmöglich – obwohl er - nicht allzu risikoreich zwar - eigentlich „handwerklich gut gemacht“ sei. Er gab der Autorin den Rat mit, an ihrem Vortrag zu arbeiten, „oder mir erklären, was der Vortrag mit der Figur zu tun hat“.
"Zu wenig cool"
„Zu viel Ignis, zu wenig cool“ meinte dann auch Daniela Strigl – sie rede aber über den Text, nicht über den Vortrag. Hauptfigur Bruna gewinne zwar an Gestalt und man könne mit ihr mitfühlen, wenn sie „das Böse aus sich herauskratzen wolle“ – das werde „nachvollziehbar“ gezeigt. Auch gebe es schöne Passagen über rennende Kühe, aber der Baufehler der Geschichte sei vertrackterwesie das, worauf sie hinauslaufe. „Das Problem, der Selbstmord geht aus dieser Art der Suada nicht logisch hervor, er kommt wie bestellt und zu abrupt und nimmt vom gelungenen Aufbau wieder viel weg.“
Hildegard Elisabeth Keller gab zu, dass Klagenfurt immer die Gefahr einer „klaffenden Lücke“ zwischen Text und Vortrag berge. Was ihr gefallen habe: Die Figur trage den Text, Setting des Ganzen sei ein Pass, also eine „Schwelle zwischen Hüben und Drüben“. Gerade dort bleibe sie mit dem Auto - dem Symbol der Fremdbestimmung im Text - stehen. Das sei eine „Odyssee im Stillstand“, mit einer guten und interessanten Ausgangslage. „Eruption“ sei das Grundprinzip des Textes, der von Gewalt durchwirkt sei. Gerade das Ende, die „Sache mit dem Kanister“ bleibe offen.
"Mutter und Tochter trinken einen Molotow-Cocktail"
Juri Steiner zeigte sich nach seiner „gestrigen Krise“ mit Mutter und Tochter-Geschichten versöhnt, „weil sie hier zusammen einen Molotow-Cocktail trinken“. Der Text habe „Urban Legends“ eingebaut und komme, weil er 2003 spiele, „etwas verstaubt“ daher. Das sei eine Geschichte, die man sich erzählt, diese brauche also den „Zauberspruch“ – weshalb ihn der „übertriebene“ Vortrag „überhaupt nicht gestört“ habe, dieser treibe die „Surrealität“ des Textes noch weiter.
Arno Dusinis Problem mit dem Text? Der „Strukturkern“, aus dem sich die ganze Geschichte entfaltet. Die Geschichte sei in einem einzigen Satz zusammen zu fassen: Bruna saß in ihrem Auto. Den Selbstmord sehe er aber noch nicht, die Frage sei in dieser Hinsicht doch: „Was macht ein Text mit mir? Wenn er genau dort abbricht, heißt das: Hör mir weiter zu.“ Der Versuch, eine Erzählung über das Erzählen zu machen, er frage sich aber „wie lange das tragbar ist“ und: „Warum ist die nicht einfach ausgestiegen?“
„Ich brauchte den Vortrag nicht, um gelangweilt zu sein“, hob Hubert Winkels an, um gleich wieder zu enden: Das seine eine „an den Haaren herbeigezogene Geschichte“ voll „Bedeutungsgeschwurbel“.
Spinnen: "Leser fühlt sich genasführt"
Hier schaltete sich noch einmal Meike Feßmann ein und fragte, ob das Ende nicht auch symbolisch gelesen werden könne: Der Benzinkanister stehe zuerst auf der Handbremse und dann auf dem Schoß Brunas – „immerhin möchte die Mutter Enkelkinder“, so Feßmann.
„Ist der Kanister voll oder leer?“ fragte da Burkhard Spinnen und erntete Lacher. Er habe das Gefühl, hier zeige jemand einen Karton oder Kasten mit Erinnerungsstücken an sein Leben vor, nur dass es eben negative Erinnerungen wären. „Es wird ein Karton aufgemacht, die Figur besetzt all das und ich sitze als Leser da“. Dieser „Gestus der Prätention“, des Vorzeigens, lasse in ihm als kritischer Leser das Gefühl aufkommen, „genasführt“ zu werden.
Hier versuchte Keller noch einmal zu retten: Gerade das von Spinnen kritisierte sei für sie der Kern von Literatur, die Frage sei eben, ob man darauf einsteige. „Das hängt von der Kooperationsbereitschaft ab“ – die Figur nicht zu mögen sei leicht, sie punkte nicht mit ihrem Leben oder Versagen, sondern „breite viele Dinge vor einem aus, die sie eigentlich gar nicht ausbreiten möchte.“