Heimspiel für Haderlap
Für die Kärntner Slowenin Maja Haderlap und ihren Text "Im Kessel" sollte der Sonntag der Preisverleihung in Klagenfurt zu einem "Heimspiel" werden. Auch sonst war 2011 ein "starker Jahrgang" zu nennen - hier die Laudationes der Jury auf alle Preisträger.
Sieben Autoren auf der Shortlist
Nur knapp eine Stunde blieb der Jury Zeit, die
Sieger zu küren. Leicht machte man es
sich trotzdem nicht - es kam mehrmals zum Stechen, bevor die Sieger feststanden. Clarissa Stadler hatte zu Beginn der Preisverleihung mit der "Shortlist" jene Autoren präsentiert, die es in die bis zuletzt geheim gehaltene Vorauswahl der Jury geschafft
hatten. Abgestimmt wurde damit unter den Autoren Nina
Bußmann, Gunther Geltinger, Maja Haderlap, Thomas Klupp, Steffen Popp, Julya Rabinowich und
Leif Randt.
Bachmann-Preis bleibt in Klagenfurt
Eine sichtlich gerührte Maja Haderlap konnte den Ingeborg-Bachmann-Preis schließlich unter Bravo-Rufen des Publikums von Klagenfurts Bürgermeister Christian Scheider und
Vizebürgermeister Albert Gunzer entgegen nehmen, die Maja Haderlap ihrerseits überaus
herzlich gratulierten. Kein Wunder, bleibt der Hauptpreis der Veranstaltung damit doch auch in
der Stadt Klagenfurt, die gerade in letzter Zeit ihre Bemühungen zur Literaturstadt heranzuwachsen, sichtlich verstärkt hat.
Daniela Strigl: "Eine notwendige Geschichte"
Die von den Ereignissen sichtlich bewegte Jurorin Daniela Strigl sagte in ihrer Laudatio: "Es
gibt Glücksfälle in der Literatur. Wenn jemand etwas zu erzählen hat und lange
nicht kann und irgendwann drängt der Stoff, drängt die Geschichte zur
Gestaltung und findet eine Autorin, deren sprachliche Mittel ihr auch gewachsen sind. In 'Im Kessel' entdeckt eine Tochter, das ihr Vater ein Verwundeter ist,
ein Gezeichneter, einer auf den man sich nicht verlassen kann. Stark sind in
diesem Dorf, in diesen Familien, die Frauen.
Maja Haderlap hat die Geschichte ihrer Familie im Wald ihrer Kindheit ausgegraben und damit auch die Toten. Es sind Tote, über die hierzulande lange geschwiegen wurde. Die Geschichte des militärischen Widerstands der Kärntner Slowenen, der Partisanen, gegen die deutsche Wehrmacht ist freilich längst geschrieben. Doch in der Literatur ist sie ein kaum beschriebenes Blatt.
Maja Haderlap hat sich dieses Blatt vorgenommen, sie beschreibt es mit großer Genauigkeit, bedächtig und ohne Hass. Es ist eine in jeder Hinsicht notwendige Geschichte, ich möchte dir dafür recht herzlich danken".
Meike Feßmann: "Leuchtende Spur gezogen"
Der Übergabe des Kelag-Preises für Steffen Popp folgte folgende Laudatio Meike Feßmanns: "Steffen
Popp erzählt von einem Dorf im Thüringer Wald, das es wirklich gibt. Er schickt
dort ein seltsames Trio hin, eine junge Frau mit dem Shakespeare-Namen Cordelia,
die im Westen aufgewachsen ist, und zwei jungen Männer: Berthold, ein eher
nachdenklicher Charakter und Dirk, der Berthold ein wenig lästig ist, weil er
ihm mit seinem Pragmatismus immer wieder in die Quere kommt. Diese drei
erkunden das Dorf, die Spuren seiner Geschichte und legen dabei selbst eine
neue Spur. Wie K. in Kafkas 'Schloss' ist auch Berthold der Erzähler ein Landvermesser,
der an der Undurchschaubarkeit dessen, was er vermessen und also beschreiben
will, beinahe scheitert und dann den Sprung nach vorne wagt: in eine
entschlossen-poetische Sicht der Dinge.
Früher wurde in diesem Dorf Glas hergestellt. Steffen Popp begreift das nicht nur als ausgestorbene Fertigungskunst, sondern erkennt darin die Seele des Dorfes und formt daraus seine Poetologie. So findet er seine ganz eigene Sprache, ebenso poetisch wie exakt, und setzt damit die Tradition jener DDR-Autoren wie Volker Braun und Wolfgang Hilbig fort, die Lyrik und Prosa zu einer Sprache der Erkenntnis verbinden. Steffen Popps Geschichte, die voller starker Bilder ist, verbindet auf verblüffende Weise Beharrlichkeit und Offenheit. Mit einer Offenheit, die er durch die bewegliche Perspektive seines zugleich handelnden und schreibenden Erzählers erreicht, der nicht ich sagt, sondern sich selbst in guter lyrischer Tradition als einen Affizierten, Angesprochenen begreift, als ein Du also. Aufbewahren heißt nicht archivieren, sondern transformieren. Erst wenn die Geschichte durch das Nadelöhr eines Bewusstseins hindurch ist, und dieses Bewusstsein Spuren an der Geschichte hinterlassen hat, ist sie in der Gegenwart angekommen. Steffen Popp ist einer Spur gefolgt und hat eine neue Spur gezogen - eine leuchtende Spur, die wir nun in unseren Köpfen haben".
Schneller Entscheid beim 3sat-Preis
Anders als vorher,
ging es bei der Ermittlung des 3sat-Preises dann ganz schnell: Nina Bußmann setzte sich
mit vier Stimmen gegen Leif Randt (drei Stimmen) und Julya Rabinowich (eine
Stimme) durch.
Jandl: "Dialektik des Zeigens und Verbergens"
Juror Paul Jandl sagte
in der Laudatio über seine Autorin: "Wer das wilde
Leben sucht, das wilde Denken, der wird es mit einigem Glück bei sich selbst entdecken.
Wahrscheinlich allerdings ist, dass er es in der Literatur findet. In den
Räumen der Imagination, in den Utopien und Weltverdammungen liegt eine
Freiheit, die noch freier wäre, wenn da nicht noch die Moral ihr Haupt erhöbe.
Bei Nina Bußmann ist aus dem biblischen Paradies ein kleiner vorstädtischer
Garten geworden, in dem das Unkraut wuchert, ein Mann der jätet, aber er meint
damit nicht allein die Kriechpioniere und Eindringlinge in den Rabatten,
sondern das wilde Leben überhaupt. Die jungen Menschen und alten Mütter, eigene
Wünsche die nur durch kardinale Tugenden in Schach gehalten werden können,
durch Sorgfalt und Anstand. Wir wissen, dass es damit nicht so einfach ist. Von
einem Lehrer und seinem Schüler erzählt Nina Bußmann in "Große
Ferien" - ein Kammerspiel der Andeutungen, radikal wie David Lynch und
sprachlich so genau, wie Literatur überhaupt nur sein kann. Aus dem Schatten des Menschlichen werden die
Schattierungen der Wörter, aus Botanik wird Psychologie. Das Dilemma der Moral
zeigt Nina Bußmann in einem Text von geradezu atemberaubend-unspektakulärer Brillanz. Große Ferien ist Reduktion und Übermaß zugleich, Zurückhaltung und
enorme Begabung. Die Dialektik des Zeigens und Verbergens wird in diesem Text
auf ihre psychologische Spitze getrieben - ist ein Verbrechen geschehen? -
möglicherweise. In der Erzählung bleibt manches im Dunklen, doch sie selbst erhellt in schönster Weise, wie
es um die Literatur bestellt ist. Es steht gut. Die Tugend der Genauigkeit ist
nicht allein das schale Laster der Vorgarten-Gärtner, sondern Basis dessen,
wovon wir hier reden. Wir sollten das nicht vergessen. Nina Bußmann erinnert uns in eindrücklicher Weise daran - ein
wunderbarer Text, ich gratuliere herzlich".
Sulzer: "Wir wollen mehr geheimes Wissen"
Den Ernst-Willner-Preis ging an Leif Randt, dem sein Juror Alain Claude Sulzer durch alle Abstimmungen hindurch die Treue gehalten hatte. Sulzer begründete das folgendermaßen:
"Stil darf sich nicht lautstark aufdrängen, Stil muss beiläufig sein. Wir sollten die Existenz, die Originalität eines Stils, wenn überhaupt, erst dann bemerken, wenn alles schon vorbei ist. Dann nämlich, wenn uns beim Lesen etwas stutzig macht und zugleich unterhält. Wir wollen mehr davon, mehr Futter, mehr geheimes Wissen, mehr von diesem Zauber, den wir nicht genau benennen können. Genauso erging es mir mit Leif Randt, beim wiederholten Lesen wurde das Gefühl noch stärker - wie geht es weiter? Mehr von dieser distanzierten Sicht und beiläufigen Sprache, die uns von einer Welt unterrichtet, die nicht die unsere ist, bei dir wir aber vielleicht gerade dabei sind, diese vorzubereiten. Eine Welt der nahen Zukunft vielleicht. Dieses Stück aus einem Roman imaginiert und kritisiert nicht mit dem wissenschaftlich oder moralisch erhobenen Zeigefingern, sondern ganz subtil - erst kaum merklich, dann zunehmend irritierend. Dabei unterhaltsam, frisch und glasklar und so, dass man unbedingt den ganzen Roman lesen möchte. Was kann man von einem kurzen Text mehr erwarten. Der Autor hat mit diesem kurzen Ausschnitt den Boden der Neugierde für den ganzen Text bestens bereitet und somit jeden Preis verdient".
Publikumspreis für glücklichen Thomas Klupp
Sichtlich bewegt reagierte auch
Thomas Klupp, der Gewinner des diesjährigen Publikumspreises. Der Autor rief lauthals "Danke" ins
Publikum und strahlte über das ganze Gesicht, als ihm Phillip Daniel Merckle
den VILLIglas-Publikums-Preis übergab.