|
|
|
Manchmal herrscht Stille. Ein Mann leert den Inhalt der Papierkörbe in einen Wagen, den er zwischen den Schreibtischen hindurchschiebt. Aus vielen kleinen Geräuschen, aus gelassenen Gesprächen, leisen Rufen, Tastengeklapper, Seufzern, elektronischen Telefonmelodien webt sich ein Tag. Über jedem der halbhohen Büromöbel schwebt ein Kopf, der manchmal von seinem Besitzer in die Luft gehoben und durch die Gänge getragen wird. Es gefällt mir, daß ich jetzt einer dieser schwebenden Köpfe bin, daß ich an diesem blanken, reinlichen, wohlgeordneten Leben Anteil haben darf. Ich freue mich, daß die Köpfe mitsamt den dazugehörigen Körpern Namen haben, daß sie Walter Wermuth, Laura Lippolis, Bernard Guggisberg und Markus Blümli heißen. Schöne Namen sind das, Namen, die jedem Roman zur Ehre gereichen würden, und die nun erfreulicherweise gar nicht erst erfunden werden müssen, denn der Romancier ist schon hier gewesen und hat seine Figuren in diesem Hause verstreut, hat jeder einen modernen Schreibtisch und einen Drehstuhl zugeteilt und sie dann sich selbst überlassen. In dieser engen Freiheit finde ich sie vor und schlage ihnen vor, obwohl sie offensichtlich niemandes Obhut bedürfen, mich ihrer anzunehmen, ihnen mein Blickfeld als Trainingsplatz zu überlassen, in ihren Raumdurchquerungen ein Planetensystem, ein Geduldspiel, eine jeden Tag von anderen Linien zerfurchte Graphik zu erkennen und in Worten festzuhalten. Das Großraumbüro kommt wie fast alles aus Amerika. Das einzige, was nicht aus Amerika kommt, sondern — jedenfalls zu einem guten Teil — aus Europa, ist Amerika selbst, auch wenn die Amerikaner das nicht wahrhaben wollen. Ich kannte bisher nur das europäische Kaninchenstallbüro, in dem man sich höchstens einmal umdrehen kann, nämlich um den Hut zu nehmen und zu kündigen. Nun sitze ich im amerikanischen Großraumbüro, allerdings in einer ganz ganz kleinen Schweizer Weltstadt, was die Ausmaße des Ganzen dann doch wieder ins Menschlich-Überschaubare zurückschraubt. In den Schränken reihen sich Zahnmodelle, Kunststoffgebisse, elfenbeinfarbene, hufeisenförmige, in Kartons verwahrte Zahnreihen, von denen es unilaterale und bilaterale gibt. Rechterhand wird in einen Apfel gebissen, wodurch außer einem hübschen, aber vergänglichen Zahnabdruck ein saftiges kleines Geräusch entsteht.
Ob man auf meinen Tisch, wo zu beiden Seiten noch viel leerer Platz ist, zu Vorführungszwecken ein « Rührei » stellen könne, werde ich gefragt. Das « Rührei » ist zweifarbig, blau und grau, und ähnelt keineswegs einem Rührei, wohl aber einem überdimensionalen rohen oder gekochten Ei in einem hochmodernen Eierbecher. In seinem Inneren werden keine Omelettes, sondern zahnfüllende Pasten angerührt. Als einer von ihnen aus Südamerika Bohnen mitbrachte, die sich bewegten, waren sich die Surrealisten uneinig, ob es wohl besser sei, den Grund dieser dem üblichen Bohnentemperament nicht eigenen Sprunghaftigkeit zu kennen oder von Gründen nichts wissen zu wollen, um besser über das merkwürdige Bohnenverhalten rätseln zu können. Das sind Poetenfragen, die hier in der Dental-Abteilung nichts zu suchen haben. Soll man vielleicht die Dinge mit Gewalt dazu bringen, ihr Geheimnis zu bewahren? Man könnte denken, es gebe genug Geheimnisse in der Welt, und eine künstliche Geheimnisvermehrung sei folglich nicht vonnöten. Zudem muß gesagt werden, daß Erklärungen, beispielsweise naturwissenschaftlicher Art, erstaunlich wenig zur Geheimnislüftung beitragen. Den Firmendirektor kenne ich noch nicht, doch gibt es keinen Grund für mich, daran zu zweifeln, daß es ihn gibt. Wo käme man da hin, wenn man an allem zweifeln wollte, was man noch nie gesehen hat? Jedenfalls wohl kaum je in ein Großraumbüro. Mit dem Direktor verhält es sich wahrscheinlich so, daß man ihn sogar anfassen kann. Ich glaube, nicht falsch zu liegen, wenn ich behaupte, daß er, wenn nicht von mir, so doch von anderen, deren Aussagen ich keinen Grund habe in Frage zu stellen, bereits erblickt und angefaßt wurde. « Gibt es den Direktor wirklich? » ist zudem keine Frage, die zu stellen dem Zweifler besonders leicht fiele. Offenbar ist, um in einem Großraumbüro und wahrscheinlich überhaupt in der menschlichen Gesellschaft zugelassen zu werden, eine Art Urvertrauen erforderlich und erfreulicherweise auch so gut wie angeboren. Von hinten dringt die außerirdische Stimme eines Kehlkopfoperierten an mein Ohr. Ich weiß schon, wem sie gehört und schaue mich nicht um. Der Anstand gebietet wohl, daß man über diese Dinge nicht redet und so tut, als sei es die größte Selbstverständlichkeit der Welt, über die Stimme eines Roboters zu verfügen. Jeder bleibt mit seinem Entsetzen allein, der Besitzer der Roboterstimme und wir, die wir ihm begegnen, und am Ende nutzt sich das Entsetzen ab und zurück bleiben eine leichte Unruhe, ein Kratzen im Hals, ein inneres Erröten. Von den Großraumbewohnern abgenutzt und gebändigt, geht auch das Entsetzen auf im allgemeinen Geborgenheitsgefühl. Wieder ertönt in meinem Rücken die Stimme des Stimmlosen. Sie fällt nicht weiter auf zwischen all den leisen Büromaschinen- und Computergeräuschen. Im Raum liegt nun etwas, das weder Mitleid noch Entsetzen ist, sondern dem Stimmlosen wortlos und ohne viel Aufhebens seine Menschenstimme wiedergibt. Im Großraum wird viel auf englisch telefoniert. Wer englisch spricht, wird augenblicklich zu einem jovialen, die Dinge gelassen im Griff habenden Amerikaner, weshalb ein Sprachkurs durchaus lohnend sein kann. In jedem von uns steckt vermutlich auch ein Bilderbuch-Japaner, der nur darauf wartet, daß wir seine Sprache lernen, um aus seinem sanften Dornröschenschlaf zu erwachen. Aber lassen wir all diese fremden Gestalten einstweilen schlummern und wenden wir uns der Weltrevolution zu, auch wenn diese wohl kaum von einem Schweizer Großraumbüro ausgehen wird. Solange es hohe Berge gibt, glaube ich nicht an eine Gerechtigkeit, sagte Herbert Achternbusch. So gesehen geht es in der Schweiz noch ungerechter zu als anderswo. Solange es eine Sonne gibt, die auf alle gleichermaßen scheint, glaube ich an eine Gerechtigkeit, hätte er natürlich auch sagen können, streichen uns doch bei Frühlingsanfang die Sonnenstrahlen wie warme, trockene Hände über den Schopf. Das ist nun fast schon zu viel der Gerechtigkeit für unser nahezu weltweit verbreitetes Wirtschaftssystem. Auch kann es eigentlich nicht mehr lange dauern, bis die verbleibende Natur sowie die öffentlichen Straßen und Plätze ihrerseits privatisiert und der Allgemeinheit bis auf weiteres, jedenfalls in ihrer bisherigen Unentgeltlichkeit, entzogen sind. Dann werden wir wohl länger sparen müssen, um uns noch hin und wieder einen Sonnenstrahl zu leisten oder ein Regentröpfchen zu erhaschen. Der Mond ist schon quadratmeterweise zum Verkauf freigegeben: Sollte tatsächlich etwas die Menschheit daran hindern können, auch die Sonne zu verscherbeln? Die Weltrevolution rückt an einen immer ferneren Horizont, der voraussichtlich selbst bald in die Hände des Kapitals fallen wird. Revolution bedeutet Drehung. Bisher ist immer nur eine Drehung um 360°, nie eine 180°-Wende gelungen. Im Großraumbüro ist man nicht am Umsturz interessiert, sondern am menschlichen Gebiß. Zähne hat jeder, zumindest gehabt. Der Zahnmarkt dehnt sich folglich über die ganze Erdkugel aus. Er ist um so einträglicher, als er von mehreren anderen, unter anderem dem Gummibärchenmarkt, kontinuierlich angekurbelt wird. Aus moralischen Gründen wird es jedoch bisher vermieden, das Gummibärchen- und das Zahngeschäft zusammenzulegen, obwohl aus verwaltungstechnischen Gründen manches für eine solche Rationalisierungsmaßnahme spräche, wie ja meistens auch Waffenindustrie und Wiederaufbau in denselben Händen liegen. Für die Waffen-, die Tabak- und die Alkoholproduktion böte sich natürlich auch eine Fusionierung mit der Pharmaindustrie an und darüber hinaus — nach dessen vollständiger Privatisierung — mit dem Gesundheitswesen. Am Ende wird es voraussichtlich nur noch zwei mächtige Konzerne geben, einen, der das Monopol des Zerstörens, und einen anderen, der das Monopol des Reparierens hat. Und obwohl sie einander so dringend brauchen, wird der Stärkere nicht umhin können, den Marktgesetzen zu folgen, und den Schwächeren früher oder später zu schlucken, und das wird das Ende des Kapitalismus sein. Zwei Leute niesen in derselben Sekunde, was auf der Welt wahrscheinlich ständig, in einem Großraumbüro aber so gut wie nie vorkommt. Von allen Seiten ruft es « Gesundheit » und « santé ». Aus einem mir unbekannten Grund gibt es in jeder Sprache auf das Niesen eine allseits bekannte und gebräuchliche Antwort, während man den übrigen menschlichen Grimassen, vor allem dem Weinen, immer mehr oder weniger ratlos gegenübersteht. Ein bärtiger Physiker und Sozialdemokrat tritt in den Raum und wird von einem verirrten Sonnenstrahl erfaßt; an die Heilige Dreieinigkeit glaubt er wahrscheinlich nicht. Er erklärt mir, jedes flüssige Element brauche um sich zu verfestigen eine Spur Schmutz, ohne die es nicht wisse, wo es mit der Verfestigung anfangen solle. Zu sauberes Wasser friere nicht schon bei null, sondern eben erst bei minus 50°C, behauptet er, jedenfalls theoretisch oder im Weltall, denn, damit seine Behauptung stimme, dürfe sich das saubere Wasser nicht in einem Behälter befinden, sondern müsse ohne jegliche Begrenzung frei durch das Universum fliegen, und zwar deshalb, weil sich physikalisch gesehen jede Behälterwand zu dem Wasser wie Schmutz verhalte. Natürlich haben Naturwissenschaftler auch nicht immer recht. Fragt sich dennoch, ob in der sauberen Schweiz die Gefriergrenze vielleicht tiefer liegt als in anderen Ländern? Jedenfalls theoretisch, das heißt, wenn man sich das Schweizer Wasser alleine im Weltall unterwegs vorstellt? Im Asche & Metall-Betrieb zieht das Sonnenlicht, das durch die Jalousien dringt, den Angestellten, egal, in welcher Etage sie tätig sind, möglicherweise also auch dem Direktor selber, Sträflingsuniformen an. Die einzigen, die bei schönem Wetter nicht diese gestreifte Einheitskluft tragen, sind die Arbeiter, die bei künstlichem Licht im Untergeschoß beschäftigt sind. Damit wir uns gegenseitig erkennen können, wenn wir uns auf den Gängen begegnen, tragen wir alle am Kragen oder am unteren Pulloversaum unser Bild und unseren Namen. Auf den kleinen blauen Schildern sind außerdem in Schreibschrift, wie von jedem mit der Hand hinzugefügt, die Worte « We care personally » zu lesen, was ungefähr « Wir kümmern uns persönlich um Sie » oder « Von ihrem Anliegen oder Schicksal fühlen wir uns persönlich betroffen » oder « Hier bekommen Sie eine persönliche Behandlung » bedeuten kann. Diesen Satz ruft man gewissermaßen seinem Gegenüber zu, ohne ihn noch genauer in Augenschein genommen zu haben, was durchaus zuvorkommend scheint, wenn man bedenkt, daß wohl fast jeder gerne Gegenstand einer Betroffenheit oder einer fürsorglichen Pflege wäre. Das Englische gibt dem Pflege- und Betroffenheitsangebot eine weltmännische Note, die ebenfalls immer willkommen ist. Die Großrauminsassen sind insofern zu beneiden, als sie in allen Situationen zu wissen scheinen, was sie zu tun haben. Nicht, daß sie alle Entscheidungen von ihren Vorgesetzten abgenommen bekämen; aber was in ihrer Gewalt liegt, können sie kraft ihrer fachlichen Kenntnisse und Erfahrung ohne langes Zögern selbst entscheiden. Aus dieser beruhigenden Gewißheit erwächst ihnen etwas wie ein innerer Lehnstuhl. Die Handlungen haben ein klar definiertes Ziel. Unwillkürlich verhalte ich mich in dieser Umgebung, als wüßte auch ich, worum es geht. Mit dem Physiker rede ich heute über Ordnung und Unordnung und erfahre, daß man auch Metalle überlisten kann, indem man sie einschmilzt, was die Anordnung ihrer Atome durcheinander bringt. Nun werden sie in einem Spezialverfahren derart schnell abgekühlt, daß sie sich verfestigen, noch bevor ihre innere Ordnung wieder hergestellt ist. Auf diese Weise werden sie dazu gezwungen, in dem chaotischen Zustand, in den sie vorsätzlich gebracht worden sind, bis auf weiteres zu verharren. Womöglich hat auch in mir ursprünglich einmal eine klare Ordnung geherrscht, die von einer unsichtbaren Hand in nicht erkennbarer Absicht über den Haufen geworfen wurde. Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mit dem Durcheinander abzufinden und so zu tun, als habe es in mir schon immer so zusammenhangslos ausgesehen. Ende März steht morgens ein Schokoladen-Osterhase auf meinen Schreibtisch: 2320 Kalorien und besonders große, ineinandergeschmolzene Ohren. Am Rücken entlang über die Nase bis hinunter zu den Vorderpfoten führt eine feine Naht: wie der Mensch scheint auch der Osterhase ursprünglich aus zwei Hälften bestanden zu haben, nur daß der Mensch dazu verurteilt ist, ein Leben lang seine fehlende Hälfte zu suchen und nach seiner verlorenen Vollständigkeit zu streben, während es dem Osterhasen gelungen ist, seine zwei Hälften fabrikmäßig wieder zusammenfügen zu lassen. Der Mensch hat nicht nur im Laufe der Jahrtausende nichts derartiges bewirken können, es schwebt auch nach wie vor das von Zeus angedrohte, im Gastmahl nachzulesende Schicksal über seinem Haupt, noch einmal zweigeteilt, beziehungsweise — insgesamt — gevierteilt zu werden. Er, der ja Platon (und Darwin) zufolge einst ein Vierfüßler gewesen sein muß, könnte dann nur noch auf einem Bein durch die Landschaft hüpfen. Der Osterhase auf meinem Tisch erinnert mich an einen Freund, auf dessen Schreibtisch jahrelang ein Igel saß, der ihn am Schreiben eines äußerst wichtigen und von den Lesern und Rezensenten ungeduldig erwarteten Buches hinderte. In seinem Unglück hatte mein Freund noch Glück: Es hätte ja auch ein Ameisenbär oder ein Rhinozeros sein können. Da der Igel nicht weichen wollte, sah er sich gezwungen, statt des äußerst wichtigen und erwarteten Buches ein anderes äußerst wichtiges und bald ebenso erwartetes Buch zu schreiben, in dem der Igel die Hauptperson war. Angesichts der Tatsache, daß Geltungsbedürfnis eine weit verbreitete Eigenschaft ist, kann man sich berechtigterweise fragen, warum eigentlich nicht auf jedem Schriftstellerschreibtisch jemand sitzt, der gerne einmal die zentrale Figur eines Buches wäre. Möglicherweise ist einfach noch niemand auf die Idee gekommen, und ich habe nun mit meiner Frage einigen Profilierungssüchtigen, deren Anzahl nur durch die Geringfügigkeit meiner Leserschaft Grenzen gezogen sind, den Floh ins Ohr gesetzt, sich selbst bald als Floh in einem Ohr oder auf einem Schreibtisch niederzulassen. Die Schriftsteller werden mich verfluchen, wenn erst vor jedem von ihnen ein leibhaftiger angehender Romanheld sitzt. Der Osterhase ist bald aufgegessen; dann ist mein Tisch wieder sauber und leer. Die Großraumwelt ist nicht « noch », sie ist die Ordnung. Indessen habe ich eine Idee von der heutigen Arbeitswelt, die ich mir nicht nehmen lasse. Ich weiß Bescheid über Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, soziale Spannungen, Massenentlassungen. Mit Staunen muß ich aber feststellen, daß die Wirklichkeit, der ich mich nun einmal ausgiebig stelle, sich weigert, meine vorgefaßten Vorstellungen zu bestätigen. Was sie mir statt dessen zu bieten hat, ist eine heile Welt, die angesichts der wohlbekannten herrschenden Zustände auf geradezu lächerliche Weise unglaubwürdig wirkt. Ich hatte also recht, ihr zu mißtrauen. Nun, da die Probe aufs Exempel gemacht ist, kann es ruhig einmal laut und deutlich gesagt werden: Die Wirklichkeit ist eine treulose Tomate, der es gelingt, sich dauerhaft an unseren kümmerlichen Wahrnehmungsorganen vorbeizuwinden und letztlich keinem der Bilder, die wir von ihr haben, zu entsprechen. Zuletzt war sie es wahrscheinlich leid, immer in grellen Farben von einer Kinoleinwand abgemalt zu werden. Also schob sie mir einen Bürostuhl auf Rollen unter und rollte mich in ein friedliches, sauberes und zufriedenes Leben hinein. Die Krawatte ist ein Stabilitätsfaktor. Wem eine um den Hals geknüpft ist, der braucht nicht zu wanken noch zu schwanken: den ganzen Tag über hält ihn der stracke Stoffstreifen aufrecht. Auf die Dauer ist dieses Gleichgewicht natürlich nicht gewährleistet: Der Krawattenpfeil zeigt unerbittlich in die Richtung, die sein Träger einst einschlagen, anders gesagt, auf die Erde, in der er früher oder später verschwinden muß. Wirtschaftlich geht es dem Asche & Metall-Unternehmen glänzend, was hoffentlich kein Betriebsgeheimnis ist, sondern eine frohe Nachricht, die getrost von mir in die Welt hinausposaunt werden kann. Zu lesen ist diese Information in der Firmenzeitung, in der neben den Umsatz-Prozentzahlen dicke Pfeile einen erfreulichen Trend nach oben anzeigen. Daneben sind wohlgefüllte, halbgeöffnete Säcke abgebildet, aus denen Goldmünzen hervorquellen. Fernrohre stehen für Prognosen. Ob der Computer auch ein Symbol für den Bankrott bereithält? Auf Seite drei und vier der Firmenzeitung ist ein Interview zu lesen, das ich mit mir selbst gemacht habe. Als Symbol für mich und meine Tätigkeit hat man eine große bunte Schnecke gewählt. Jeden Abend, wenn der erste aufsteht und sich anschickt, nach Hause zu gehen, antworten die Zurückbleibenden « Ade », « Bonsoir » und « Schönen Abend » in einer Reihenfolge, die immer leicht variiert. Dann steht der nächste auf und grüßt, und wieder erheben sich die ruhigen, ein bißchen müden, manchmal, je nachdem, wie sehr ihre Besitzer noch in die Arbeit vertieft sind, nur murmelnden Stimmen der übrigen wie die nacheinander angeschlagenen Töne eines mit abnehmendem Tageslicht immer dünner werdenden Abschiedsakkords. Der letzte erhebt sich schweigend, niemand wirft ihm ein Grußwort nach; in der Feierabendstille, die über den verlassenen Schreibtischen liegt, erreicht er gemessenen Schrittes die Tür. Durch den Saal wird wie jeden Nachmittag ein großer Papierkorb auf Rollen geschoben, in den unsere roten, individuellen Papierkörbe geleert werden. Oder: Durch den Saal wird von Papierkorb zu Papierkorb ein langer roter Nachmittag gerollt. Oder: Die Nachmittage werden in die Papierkörbe geleert und spielen dort ihre roten, individuellen Rollen. Am Himmel schwelt heute schon lange ein Gewitter, der Donner, wen wundert es, kann schweizerdeutsch, ausgiebig rollt er sein r über den Jura, spricht ein Machtwort mit seiner undeutlichen, tiefen Bergbauernstimme, vielleicht ist es aber auch die Stimme des Direktors, die jetzt plötzlich laut wird, weil ich seiner Firma, ihrem Asche & Metall-Charakter, ihrem Image oder Challenge oder Input-Output-Wesen bislang nicht gerecht geworden bin. Noch nicht einmal den Wassertropfen, die auf einer Leine vor dem Fenster zum Trocknen hängen, sind Sie gerecht geworden, höre ich ihn sagen. Und wohin haben Sie eigentlich das Gold, unser reines, unvorstellbar wertvolles Firmengold getragen?
|
|
|