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Hätte er anders geheißen, wäre es gar nicht so weit gekommen. Im Grunde genommen, hängt die ganze Geschichte mit seinem Namen zusammen. Sein Name war schuld. Und vielleicht noch, dass er sagte, er wisse, was ihn erwartet. Hätte er das nicht gesagt, wäre er eine halbstündige Episode in meinem Leben geblieben, eine unangenehme Erinnerung, vielleicht wäre er mit etwas Abstand sogar zu einer Anekdote geworden, die ich bei guter Gelegenheit zum Besten hätte geben können.
Aber, dass er sagte, er wisse Bescheid und mir dabei geradewegs ins Gesicht sah, provozierend, als ginge es darum, wer zuerst blinzelt, das war des Guten zuviel. Er saß in meiner Küche, saß auf meinem Stuhl, aufrecht, als hätte er einen Stock verschluckt, beugte sich dann ein kleines Stück nach vorne, gerade so, als warte er nur darauf, dass ich widerspreche. Ganz begierig schien er darauf zu sein, meinen erwarteten Widerspruch zu entkräften. Die Argumente dafür lagen ihm förmlich auf der Zunge. Ich gönnte ihm den Triumph nicht, mich zu überzeugen und fragte lediglich: Sie wissen also Bescheid? Er nickte. Ja, sagte er, ich denke schon. Dann nickte er ein weiteres Mal.
War mir schon sein Name unsympathisch und seine aristokratische Körperhaltung in hohem Maße unangenehm, so gab diese Äußerung den Ausschlag, dass ich meinen Plan, ihn aus meiner Küche, meiner Wohnung hinauszukomplimentieren über den Haufen warf. Ich dachte so etwas wie: Den nehme ich mit in den Sarg. Und wie ein alternder Westernheld fügte ich gedanklich hinzu: Und wenn es das letzte ist, was ich tue.
Ich schätzte ihn auf Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig, auf jeden Fall gute zehn Jahre jünger als ich.
Er trug einen dunkelblauen Anzug, der so dunkelblau war, als wollte sein Träger von vornherein jeden möglichen Zweifel an seiner Seriosität ausräumen. Dazu ein weißes Hemd und eine blau-grün karierte Krawatte. Seine Schuhe waren aus dunkelbraunen Leder und so sauber, dass ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, er trage sie heute zum ersten Mal. Er wirkte, als hätte er sich für ein Vorstellungsgespräch bei McKinsey angezogen. Sogar seine Haare waren frisch gewaschen. Locker fielen ihm einige Strähnen in die Stirn. Mit geübter Geste legte er sie immer wieder zur Seite. Wahrscheinlich fielen ihm seit seiner Kindheit die Haare in die Stirn. Er sah aus wie ein Schauspieler aus den 50er Jahren mit seinen hohen Wangenknochen und seinem fein geschnittenen Gesicht. Ich überlegte, wann mir zuletzt einmal etwas wichtig gewesen war. Wahrscheinlich an meinem letzten Schultag. Vor zwei Jahren. Als ich Köchner sagte, dass ich nicht mehr kommen werde. Dass ich kündige. Ich hatte mich eine Woche lang nicht gewaschen, nicht die Kleidung gewechselt, sie sogar zum Schlafen anbehalten, nur um mein äußeres Erscheinungsbild mit meinem inneren Zustand in Einklang zu bringen. Alle Fragen nach meinen Beweggründen sollten sich bei meinem Anblick erübrigen. Das war mir wichtig gewesen. Seitdem gab es nur noch Dinge, die nötig waren, aber nicht wichtig, so wie das Bezahlen der Miete.
Es ging um ein Zimmer: 23 qm² groß, Südwest-Ausrichtung mit Balkon. Küche und Bad waren mit mir zu teilen. So wie mein Gegenüber aussah, konnte er sich problemlos eine ganze Wohnung in Südwest-Ausrichtung leisten, ohne dass er irgendetwas mit irgendjemandem teilen müsste. Aber er hatte geradezu darauf bestanden, sich das Zimmer anschauen zu dürfen. Ich hatte ihm bereits am Telefon gesagt, dass das Zimmer im Grunde schon vergeben sei. Es sei folglich sinnlos, sich extra herzubemühen, eigentlich sei es vergebliche Mühe. Er sagte, es stelle sich meistens erst im Nachhinein heraus, ob etwas vergeblich gewesen sei, und so weit sei man ja noch nicht, und eine Mühe sei es für ihn keinesfalls herzukommen, und selbst wenn es sich als eine Mühe herausstellen sollte, so würde er sie gerne in Kauf nehmen, auch wenn sich hinterher erweisen sollte, dass sie vergeblich gewesen sei. Ich dachte, der Kerl ist entweder bekloppt oder verdammt nervös. Wenn jemand nervös ist, vergisst man viel, man fühlt sich nur noch bemüßigt, demjenigen etwas Gutes zu tun, ihm zu helfen. Also sagte ich, gut, bitte schön, er könne sich das Zimmer gerne angucken, aber trotzdem - allzu große Hoffnungen möge er sich nicht machen. Schön, sagte er, und da erst fiel mir wieder ein, dass ich ja überhaupt gar nicht an einen Mann vermieten wollte. Ich hatte noch keine Adresse genannt, es war noch nichts passiert, ich konnte sagen, tut mir leid, ein Missverständnis, nichts für ungut und den Hörer auflegen. Alles, was übrig geblieben wäre von diesem Gespräch, wäre ein peinliches Gefühl, das sich aber irgendwann wieder verflüchtigt hätte.
Übrigens, heiße er Theo Von, sagte er.
Theo von was, fragte ich.
Von nichts, sagte er. Einfach von. Theo Von. Vorname Theo, Nachname Von. Ob er sich lustig machen wolle über mich, fragte ich. Das sei doch kein Name: Theo Von.
Es sei ein Name über den man sich lustig machen könne, so wie man sich auch über das Aussehen oder die Kleidung von Menschen lustig machen könne, sagte er am Telefon. Wenn man kleingeistig ist, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. Aber es sei seiner Meinung nach kein Name, von dem er denke, dass er einer Zimmerbewerbung im Wege stünde. Es sei denn, man sei ein Namenskonventionalist oder ein Namensfaschist. Das Wort Faschist schoss geradezu durch den Telefonhörer. Das S, das er wie eine züngelnde Schlange in die Länge gezogen hatte, schien in der Leitung zu verharren. Um Gottes Willen, nein, sagte ich und auch ich schoss Gottes Willen in die Leitung, als könnte der Wille schwach werden, wenn er zuviel Zeit verlor. Meine Stimme erklomm unbeabsichtigte Höhen, was mich ärgerte, denn nun erinnerte mich meine Stimme an meine Mutter, die beide Hände über dem Kopf zusammenschlug und mit schriller Stimme Um Himmels Willen Nein rief, wenn man sie fragte, ob man in der Küche helfen dürfe. Außerdem ärgerte ich mich, dass ich überhaupt glaubte, beteuern zu müssen, kein Faschist zu sein. Was für eine abstruse Provokation, auf die ich eingegangen war. Und natürlich musste ich nun auch noch zugeben, dass der Name einer Zimmerbewerbung keineswegs abträglich sei, und selbstverständlich könne er morgen gerne kommen. Dennoch dachte ich, dass das Gespräch nicht so enden dürfte, nicht mit einer Entschuldigung meinerseits, schließlich war ich derjenige, der etwas anzubieten hatte.
Aber eins sage ich Ihnen gleich, nur dass Sie sich keine falschen Hoffnungen machen, zu neunzig Prozent ist das Zimmer vergeben.
Dann geben Sie mir schon 10 Prozent, ohne dass Sie mich kennen. Das ist viel. Ich komme. Das Telefongespräch war nicht sehr lang gewesen, aber nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, beschlich mich das Gefühl, einen Wettkampf verloren zu haben. Ich wollte ihn zurückrufen, ihm sagen, dass ich mir sicher sei, er sei ein Idiot und ich hätte mich jetzt schon entschieden, an Idioten würde ich keines Falls vermieten, er solle jemand anderen vollquatschen und im Übrigen sei sein Name bekloppt, bekloppter ginge es kaum.
Vielleicht war es eine blöde Idee, im Pyjama die Tür zu öffnen. Ich dachte, ich würde damit ein Zeichen setzen, nach dem Motto: Gestern war gestern, heute ist heute. Aber er stolperte gleich zwei Schritte rückwärts bei meinem Anblick, entschuldigte sich auch sofort, als wäre es gar keine Frage, dass es seine Schuld war, dass ich noch im Pyjama herumlief. Er meinte, er sei wohl doch zu früh, es tue ihm leid, fragte, ob er später wiederkommen solle, und auch als ich mehrmals beteuerte, dass alles in Ordnung sei, und ihn fragte, ob er nicht eintreten wolle, fragte er noch, ob er die Schuhe ausziehen soll. Wir hatten noch kein vernünftiges Wort miteinander gewechselt, und er war schon bereit, seine Schuhe auszuziehen. Das war mir nicht geheuer. Nicht nötig, sagte ich, so gut kennen wir uns noch nicht. Ich bat ihn herein und lotste ihn in die Küche. Dort stand er herum, bis ich einen Stuhl vom Tisch rückte und ihn bat, Platz zu nehmen. Er setzte sich, schlug die Beine übereinander, faltete seine Hände und legte sie in seinen Schoß. Er sah sich nicht um, sagte nicht, schön haben Sie’s hier, fragte nicht, wie lange wohnen Sie schon hier oder: ist das eine echte Bahnhofsuhr, oder: warum denn auch noch eine Kuckucksuhr? Nichts dergleichen, nein, er sagte nichts. Er saß einfach da und sagte nichts. Ich bot ihm einen Kaffee an. Er machte eine abwehrende Handbewegung und schüttelte den Kopf. Ich goss ihm dennoch eine Tasse ein und stellte sie vor ihm auf den Tisch. Er sagte nichts. Mich überkam das Gefühl, dass vielleicht auch er, Theo Von, sich in einem Wettkampf wähnte und nun diesen Kampf fortführen wollte. Vielleicht ging es ihm gar nicht um das Zimmer, sondern um irgendeine dämliche Wette, die er abgeschlossen hatte. Vielleicht wollte er mich nur provozieren, meine Reaktion testen. Vielleicht filmt er mich mit versteckter Kamera, dachte ich. Aber er hatte keine Tasche dabei, nicht mal einen Mantel, in dem man etwas verstecken oder platzieren konnte. Ich dachte: Wenn er nichts sagt, sage ich auch nichts.
Es war halb elf. Der Kuckuck würde sich erst in dreißig Minuten melden. Er hing einen halben Meter über dem Heizkörper. Ich setzte mich Theo Von gegenüber. Er saß aufrecht, den Kopf bewegungslos, als balancierte er einen Krug Wasser auf dem Kopf. Nur seine Augen wanderten abwechselnd von der blauen Kaffeetasse vor ihm und mir hin und her. Ich rückte den Stuhl ein Stück vom Tisch weg und legte meine Beine quer auf den Tisch. Die Pyjamahose rutschte mir fast bis zu den Knien. Ich wackelte mit den Zehen. Mit meinem rechten Fuß rieb ich hin und wieder mein linkes behaartes Schienbein. Die Arme streckte ich ab und zu über meinen Kopf, als müsste ich meinen Kreislauf in Schwung bringen. Die Pyjamajacke rutschte mir dabei bis über den Bauchnabel. Theo Von saß unbewegt. Es kam mir aber so vor, als betrachtete er mich mit einem gewissen Interesse. Fast wie bei Köchner, dachte ich. Auch er hatte mir gegenübergesessen, unbewegt, mich lange nur angestarrt, schließlich aber gesagt: Sie waren mal voller Enthusiasmus. Genau das Gleiche hat meine Frau vor einer Woche auch gesagt, hatte ich geantwortet, dann ist sie gegangen. Jetzt gehe ich. Mit diesen Worten war ich aufgestanden.
Keiner von uns beiden sprach ein Wort. An der Wand über der Spüle hing eine Bahnhofsuhr. Sie zeigte Zehn Uhr siebenunddreißig. Das Ticken des roten Sekundenzeigers, der unablässig seine Runden drehte, hallte durch den Raum. Der Wasserhahn von der Spüle tropfte. Alle vierzehn Sekunden ein Plopp. Vier Komma zwei Plopps pro Minute. Einundzwanzig Plopps nach fünf Minuten. Je mehr Minuten verstrichen, desto wohler fühlte ich mich. Die Situation war so absurd, dass ich sie gut zu finden anfing. Wenn er doch irgendwo eine Kamera versteckt hielt, so hatte ich bislang keine schlechte Figur abgegeben. Ich hatte mich durch sein Schweigen nicht provozieren lassen. Ebenfalls zu schweigen war die beste aller Möglichkeiten, dachte ich. Das Telefon klingelte. Ich ließ es klingeln und fing an, mit meinem Stuhl zu kippeln. Theo Von zog kaum merklich die Augenbrauen hoch. Mir war klar, was dieses kaum merkbare Hochziehen der Augenbrauen signalisieren sollte: Überlegenheit. Spott. Ein spöttisches Hochziehen der Augenbrauen wie das beiläufig hingeworfene Na, wenn du meinst meiner Mutter in ihrer zerrütteten Ehe, als mein Vater ihr seine zum ersten Mal von ihm selbst gekauften Kleider zeigte.
Zugegeben, seine Reaktion versetzte mir einen Stich. Es war in der Tat lächerlich, nicht ans Telefon zu gehen. Ich beschloss, zurückzuschlagen. Wie ein Picador wollte ich ihn erst mit ein paar Lanzenstichen im Nackenbereich verwunden, was ihn zum Absenken seines Kopfes zwingen würde, zum Verlust seiner Hochnäsigkeit, bevor ich dann als Matador in die Arena schreiten würde, nur mit einem Degen ausgestattet, einen Paso Doble im 3/8 Takt tanzen würde, bevor ich ihm den Degen tief zwischen die Schulterblätter ins Herz stieß. Schwer atmend sollte er zur Tür wanken. Ich öffnete ihm die Tür und wünschte alles Gute für den weiteren Lebensweg.
Die Entscheidung, ihm das Zimmer auf gar keinen Fall zu geben, war längst gefallen, ich überlegte nur, wie ich es ihm sagen konnte, so dass er sich gedemütigt fühlte. Nach fünfzehn Umdrehungen des roten Sekundenzeigers und dreiundsechzig Wassertropfen sprang ich auf. Es war acht Minuten vor elf.
Ich stand auf, streckte meinen Rücken gerade, rückte meinen Pyjama zurecht und sagte: Vielen Dank, dass Sie sich so lange Zeit genommen haben, Herr Von. Das war interessant, aufschlussreich, hilfreich. Ich denke, ich konnte mir ein ganz gutes Bild von Ihnen machen, und werde mich die nächsten Tage bei Ihnen melden. Ich streckte ihm meine Hand entgegen. Er erhob sich langsam von seinem Stuhl, ergriff meine Hand, und so, wie er sie drückte, überkam mich das mulmige Gefühl, einen Fehler gemacht, etwas Wichtiges nicht bedacht zu haben. Er sah mir geradewegs ins Gesicht, ich spürte jeden seiner Finger und da wurde mir bewusst, dass er meine Hand so schnell nicht wieder loslassen wollte. Er hielt sie fest, drückte sie und sagte: Gescheiterte Existenz, was.
Wie?, fragte ich. Bitte? Ich versuchte mich aus seinem Handgriff zu lösen, aber er machte gar keine Anstalten seinen Griff zu lockern, unverdrossen hielt er meine Hand fest, so als wollte er mich dazu zwingen, meine Aufmerksamkeit ganz auf ihn zu richten. Er fing nun sogar an, meine Hand zu schütteln, lächelte und schüttelte meine Hand, als gelte es, seine vermeintliche Erkenntnis zu besiegeln.
Wie kommen Sie darauf?, fragte ich und versuchte seinem Blick standzuhalten. Doch dann merkte ich, dass meine Frage eine offene Flanke darstellte, eine Einladung, den Kopf zu senken und mich auf die Hörner zu nehmen, als wäre das, was er gesagt hatte, als Möglichkeit durchaus in Betracht zu ziehen. Das war absurd, genauso absurd, wie die Idee, die Frage zurückziehen zu können.
Sie haben mich nichts gefragt, sagte er. Nicht, was ich mache, noch was ich gelernt oder studiert habe, nicht, wie ich meinen Lebensunterhalt bestreite, ob ich kochen kann, wie ich es mit dem Putzen halte, ob ich Stehpinkler bin, ob ich regelmäßig Besuch bekomme, ob ich laut Musik höre, welche Art von Musik ich überhaupt höre, nichts, gar nichts haben Sie mich gefragt. Sie wollten nicht einmal wissen, ob ich schwul bin, obwohl ich vermute, dass Sie das brennend interessiert, so wie Sie dasaßen in ihrem Pyjama und sich permanent an ihrem Bein gekratzt haben. Nun könnten Sie entgegnen, dass Sie das alles nicht interessiert. Einen Moment lang habe ich das in Betracht gezogen, gedacht, den interessiert das alles nicht, aber dann dachte ich, das kann nicht sein, so verrückt sind Sie nicht, dass Ihnen die persönlichen Lebensumstände Ihres potentiellen Mitbewohners egal sind. Auch wenn Sie jetzt mit den Schultern zucken, nein, ich glaube, so verrückt, oder sollte ich sagen fahrlässig, sind Sie nicht. Es sei denn, fuhr er fort, Sie hatten schon längst entschieden, nicht an mich vermieten zu wollen. Aber worauf hätten Sie diese Entscheidung gründen sollen, da Sie kein Wort mit mir gewechselt haben. Doch nur auf mein Aussehen oder meinen Namen. Aber was würde das für einen Sinn haben, mich einzuladen, wenn Sie sich schon gegen mich entschieden haben. Nein, soviel Schizophrenie passt nicht zu Ihnen. Also, dachte ich, muss es einen anderen Grund für Ihr Schweigen geben. Theo Von machte eine kleine Pause, meine Hand hielt er fest.
Sie schämen sich, sagte er dann. Sie sind gescheitert und Sie schämen sich dafür. Sie haben mich gesehen in meinem Anzug und meinen Schuhen, und nun fühlen Sie sich minderwertig. Sie haben mich nichts gefragt, damit ich Sie nichts frage. Sie wollten nicht zugeben, dass Sie wahrscheinlich Künstler oder so sind. Sehen Sie, jetzt weichen Sie zurück, suchen Halt am Küchenbuffet. Der wunde Punkt. Jetzt müssen Sie sich wehren, zurückschlagen, nicht wahr? Er ließ meine Hand los, wie zum Zeichen, dass er bereit war, meine Schläge entgegenzunehmen. Ich setzte mich. Er ging zwei Schritte zurück und lehnte sich dann gegen die Spüle. Die Arme verschränkte er vor seiner Brust. Der Sekundenzeiger tickte und der Wasserhahn entließ einen Tropfen. Die blecherne Spüle fungierte als Hallkörper. Wo blieb der Kuckuck?
Reden Sie eigentlich immer so geschwollen daher?, fragte ich. Er zuckte mit den Schultern. Ich stand wieder auf, nahm die Espressokanne, die in der Mitte des Tisches auf einem Holzbrett stand, und goss mir noch einen Kaffee ein. Er war kalt, ich trank ihn trotzdem.
Also bitte, sagte ich, wenn es Ihnen hilft, dann frage ich sie jetzt: Was machen Sie? Ein, zwei Sätze reichen, nicht zu kompliziert, fassen Sie sich kurz, dann können wir die Geschichte abschließen. Ich stellte die Tasse wieder auf den Tisch. Theo Von lächelte nicht, keine Spur von Genugtuung in seinem Gesicht. Nicht einmal seine Hände steckte er in die Hosentaschen, wie das Menschen gerne tun, denen die Brust schwillt.
Ich bin Lehrer, sagte er.
Lehrer, wiederholte ich langsam, so als wäre ich mir nicht sicher, ihn richtig verstanden zu haben.
Einfacher und kürzer kann ich’s nicht sagen, sagte er.
Ob er denn wüsste, worauf er sich da einließe, fragte ich.
Theo Von nahm seine Hände von der Brust, stützte sich mit ihnen an der Spüle ab, stieß sich mit einem leichten Stoß nach vorne und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
Der Kuckuck. Elfmal. Theo Von wandte seinen Blick dem Kuckuck zu. Ich sah zur Bahnhofsuhr. Der große Zeiger sprang mit einer kleinen Verzögerung auf die zwölf. Geradezu majestätisch, als wollte er den Betrachter auffordern, die Zeit angemessen zu würdigen. Nachdem der Kuckuck wieder in seinem Haus war, sagte Theo Von: Ich wüsste nicht warum nicht. Doch, doch, ja, ich weiß, was mich erwartet.
Ich richtete mich wieder auf und lehnte mich mit dem Rücken gegen den Kühlschrank. Die Hände legte ich auf meinen Bauch. So, so, sagte ich, wissen Sie das.
Ja, sagte Theo Von, ich weiß Bescheid. Er nickte, als wollte er seine Aussage noch einmal bestätigen und sah mir geradewegs ins Gesicht.
Er hatte seine Hände auf die Tischplatte gelegt, so als sei er jeden Moment bereit, aufzuspringen und mich zu stützen. An seinem gleitenden Blick merkte ich, wie er versuchte, meine Reaktion einzuordnen. So schlimm?, fragte er. Ich meine, Sie sind kein Schüler von mir. Ihnen braucht nicht schlecht zu werden. Dann lachte er. Er lachte über seinen eigenen blöden Witz und ich hatte keinen Zweifel mehr, dass er tatsächlich Lehrer war. Dann aber sprang er tatsächlich von seinem Stuhl auf, offenbar besorgt über meinen Zustand und fragte: Brauchen Sie Hilfe?
Danke, sagte ich und schüttelte den Kopf, wahrscheinlich der Kaffee. Ich drehte mich um und rannte auf die Toilette. Dort lehnte ich mich an die Wand, atmete tief durch. Ein Fehler. Ich hatte einfach nicht daran gedacht. Die Möglichkeit, dass Theo Von Lehrer sein könnte, nicht in Betracht gezogen. Warum hatte ich mich nicht schon am Telefon erkundigt, was er beruflich macht? Es hätte zu dieser Situation gar nicht kommen müssen. Ich hätte gleich sagen können, dass ich an Lehrer nicht vermiete. Jawohl, hätte ich gesagt, es ist mir schnurz, ob ich ein Berufsfaschist bin, aber, ob es Ihnen passt oder nicht, Lehrer, das ist ein Beruf, der einer Zimmerbewerbung im Wege steht. Vielleicht hätte ich noch schlechte Erfahrungen hinterher geworfen, bevor ich aufgelegt hätte, und es wäre nicht gelogen gewesen. Aber nun war es zu spät. Was sollte ich tun? Mir blieb nicht viel Zeit, ich musste eine Entscheidung treffen.
Ich brauchte Geld. Alleine konnte ich die Wohnung nicht halten. Die Aussichten auf finanzielle Besserung waren so gering wie meine Chancen, noch eine Spenderniere zu bekommen. Entweder musste ich umziehen oder untervermieten. Einen Umzug wollte ich mir nicht antun. Ich schaute in den Spiegel. Was sehe ich, fragte ich mich. Ich betrachtete meine schmalen Lippen, meine eingefallenen Wangen. Nur das, was aus dir geworden ist. Nicht das, was du mal warst, sprach ich laut vor mich hin. Ich hatte an eine Frau gedacht. Zum Ende hin eine Frau. Meine Perspektiven im Großen und Ganzen waren trübe. Da wünscht man sich etwas Liebliches, Sanftes um einen herum, jemanden, der nicht nur aufräumt, sondern es auch mal ein bisschen schön macht. Allerdings war bei den Frauen, die sich bisher beworben hatten, keine dabei gewesen, die ich als lieblich und sanft wahrgenommen hätte, oder sie hatten einen festen Freund und vermittelten den Eindruck, dass sie, wenn überhaupt, es nur für ihn ein bisschen schön machen wollten. Ich wusste, dass man sich mit einer Frau in der Wohnung auf einem schmalen Grat bewegte. Was, wenn ich mich verliebte? Die Gefahr, sich zu verlieben, war groß, wenn das Ende absehbar war. Der Trübsinn wäre vorgezeichnet. Dennoch hatte ich allen männlichen Bewerbern schon am Telefon abgesagt. Das Zimmer sei schon vergeben, sorry. Alle hatten die Absage klaglos hingenommen. Bis auf einen Menschen in einem aseptischen Anzug, der nun in der Küche darauf wartete, dass ich wiederkam. Und wenn der nicht so einen dämlichen Namen hätte, hätte auch der keinen Schritt in die Wohnung gesetzt. Es war nicht nur sein Aufzug, der mich verwirrte. Seine ganze Art, seine arrogante Haltung, sein schnöseliges Gequatsche. Es kam mir so vor, dass alles an ihm nur darauf ausgerichtet war, mich bloßzustellen. Ich hatte mich von ihm vorführen lassen. Von Anfang an. Selbst sein Angebot, sich die Schuhe auszuziehen, war Teil des Plans gewesen. Es war die subtile Inanspruchnahme einer Wohnung, die ihm nicht gehörte. Mit dem Angebot, sich die Schuhe auszuziehen, hatte er seinen Willen gezeigt, die Wohnung mit Sorgfalt zu behandeln. Aber nur mit Dingen, die einem gehören, geht man so sorgfältig um. Es war ein Test gewesen. Ich hatte das Angebot abgelehnt, war in seinen Augen also der Wohnung nicht würdig. Test nicht bestanden. Man konnte es nicht anders sagen: Er war ein Depp. Und ein Lehrer. Ein Lehrerdepp. Und er meinte Bescheid zu wissen. Das war vielleicht das Schlimmste. Es mangelte ihm an Demut.
Was ging ich für ein Risiko ein?
Ich kehrte zurück in die Küche. Theo Von saß noch immer aufrecht auf seinem Stuhl und starrte aus dem Küchenfenster, als ich in die Küche trat. Sofort wandte er seinen Blick zu mir. Besser? Er schaute mich fragend an.
Sogar gut, sagte ich und streichelte über meinen Bauch. Er nickte.
Sie können das Zimmer haben, sagte ich, aber nur unter meinen Bedingungen.
Und die wären?, fragte er. Er räusperte sich.
Auf jeden Fall flexibel, sagte ich. Ich wusste in dem Moment selbst nicht, was ich mir eigentlich vorstellte, welche Bedingungen ich stellen könnte. Mir war dieser Satz einfach so in den Sinn gekommen. Aber er gefiel mir und da wollte ich ihn auch nicht gleich relativieren. Theo Von schaute mich an und da er keine Reaktion zeigte, sagte ich: Nebenkosten würden geteilt, Müll ginge an Sie. Ich weiß, wie das ist bei Lehrern, mit dem ganzen Papier und so. Ich war mir sicher, Theo Von’s Adamsapfel zucken gesehen zu haben. Das reichte. Wenn er nicht darauf einginge, das Zimmer absagte, sollte es mir auch recht sein.
Theo Von stand auf, steckte die Hände in die Hosentaschen und sagte: Ich würde mir das Zimmer gerne einmal ansehen.
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