Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Silvio Huonder, Autor (Bild: Johannes Puch)
SILVIO HUONDER
Sprache des Textes überzeugte wenig
Der Schweizer Silvio Huonder las auf Einladung Martin Ebels einen titellosen Text über die folgenreiche Zufallsbegegnung zweier Menschen vor. Der dritte Text an diesem ersten Lesetag konnte die Jury sprachlich nicht überzeugen.
Silvio Huonder, Autor (Bild: Johannes Puch)
Ernst Grandits, Silvio Huonder
Ursula März Erzählerfigur ohne "Sound"
Ursula März erinnerte der Text an das "Exempel eines moralischen Problems: "Zwei Leute treffen sich im Kino, haben einen One-Night-Stand, die Frau wird schwanger - was geschieht? Dieser Fall sei zeitgenössisch, interessant und aktuell, so März. "Wir sehen diese Leutchen vor uns".

Gegen das Sujet, das Modellhafte der Geschichte sei nichts einzuwenden, wohl aber gegen die Erzählweise. Der Text werde "lehrhaft" und ganz ohne Firlefanz "runtererzählt". Die Erzählerfigur könne keinen "Sound" vermitteln.
Ilma Rakusa "Gesicht und Charakter" fehlen der Geschichte
Ilma Rakusa schloss sich diesem Urteil an, auch sie habe am Sujet nicht auszusetzen, aber an dessen "Wie".

Sie stellte die Frage nach dem "Mehrwert des Textes": "Wo ist der Sound, der diesen Text irgendwie anders macht, etwas, das ihm ein Gesicht und Charakter verleiht?". Sie habe sich die Story schon nach dem ersten Lesen sehr gut merken können, meinte aber: "So what?"
Karl Corino "Nicht sensationell", aber verdient "Respekt"
Karl Corino meinte: "Ich finde die Geschichte ziemlich gut, aber nicht sensationell". Sie sei lakonisch im Ton und doch "unterirdisch mit einem Zittern versehen".

Die gebrauchten Bilder wären "sparsam eingesetzt und doch von einer vorausweisenden Kraft". Die Story sei "gut beobachtet", er wolle dem Text seinen "Respekt nicht versagen".
Karl Corino, Juror (Bild: Johannes Puch)
Karl Corino
Iris Radisch "Tragödie des modernen Lebens"
Iris Radisch widersprach: Die offensichtliche Sparsamkeit und Leidenschaftslosigkeit im Ton des Textes täusche, es wimmle von "Umstandsangaben", der Text sei sehr genau gearbeitet.

Diese Welt werde umstandskrämerisch und kleinteilig abfotografiert. Der Ton sei ein wenig schwerfällig, dies stehe jedoch in einem schönen Spannungsverhältnis". "Mehr Autoreparatur als Geburt", meinte Radisch über diese "Tragödie des modernen Lebens".
Burkhart Spinnen "Todtraurig und etwas überinstrumentalisiert"
Burkhart Spinnen kritisierte die Leseweise des Autors: "Sie lesen den Text extrem runter!" Man warte darauf, die Gründe dafür zu erfahren, warum dieses Kind überhaupt geboren werde.

Der Versuch des Protagonisten, mit der Schwangerschaft mitzuleiden, sei "shakespearehaft" zu nennen.

Die Menschen im Text würden "stille Zeichen setzen und wie die Schnellzüge nebeneinander hersausen". Ein todtrauriger Text, der eine Weltvision umsetzt, wie sie schwärzer nicht sein könnte, so Spinnen. Dennoch sei der Text an manchen Stellen "überinstrumentalisiert" - was jedoch kein starkes Argument gegen ihn sei.
Heinrich Detering, Juror (Bild: Johannes Puch)
Heinrich Detering
Heinrich Detering "Nicht so gut gemacht wie gedacht"
Heinrich Detering widersprach: Huonders Text sei "nicht so gut gemacht wie gedacht". Der Text erzähle die "Geschichte eines ausbrechenden Wahnsinns" beinah nur aus der Innensicht der Figuren.

Man trete mit der Geschichte gleichsam "in die Figuren" ein, was jedoch einen "fast zu didaktischen Ansatz" darstelle.

Detering unterstellte dem Text "Spannnungsarmut", der durch dessen "erzählerische Mechanik" entstehe. "Das klappert bis zum Schluss so dahin", schloss Detering.
Daniela Strigl "Gewisse Lakonie wäre wünschenswert"
Daniela Strigl betonte die "symbolische Logik der Geschichte", in der mit dem "Abschneiden eines Fingers" dem ungeborenen Kind zum Leben verholfen" werden soll.

Allerdings sei der Text - auch durch seinen eher positiv angelegten Schluss - nicht todtraurig zu nennen. Sie vermisse in dessen sprachlicher Arbeit "eine gewisse Lakonie", der Autor habe zu oft "zu naheliegende Formulierungen" gewählt.
Stilleben (Bild: Johannes Puch)
Stilleben mit Brille
Klaus Nüchtern Kritik an "bravem Runtererzählen"
"Wir pumpen hier zuviel Existentialismus hinein, das entweicht wieder", so Klaus Nüchtern. "Mir ist es beim Lesen wie beim Betreten einer perfekten Wohnung gegangen", der Text werde zu "brav runtererzählt", dessen "Ohrfeigen kämen entschieden zu spät".

Es sei natürlich ein Kalkül des Textes, "nicht in die Psyche der Personen vorzudringen", aber gerade die hätte ihn interessiert. Außerdem stelle sich die Frage: "Vielleicht bin ich zu primitiv? Aber dass es ganz schön kalt ist in der Welt, wissen wir".
Martin Ebel "Hochkomischer Text"
Martin Ebel machte den Versuch, eine andere Lesart vorzuschlagen. Der Juror lobte den Text wegen seines Spannungsverhältnisses zwischen dem "Wunsch des Machbaren und dem sich tatsächlich Ereignenden".

Der Text erzähle vom "konsequenten Aneinandervorbeireden und gegenseitigen Verkennen" der beiden Protagonisten - "Das ist kein todtrauriger, sondern ein hochkomischer Text", widersprach Ebel seinen Jurykollegen.