Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Kevin Vennemann, Autor (Bild: Johannes Puch)
KEVIN VENNEMANN
Kontroversielle Jury-Meinungen
Als zweiter Autor dieses ersten Lesenachmittags trug Kevin Vennemann seine Erzählung "In Komponierhäuschen" vor. Der in Wien und Berlin lebende deutsche Autor war von Ilma Rakusa nach Klagenfurt geholt worden. Die Diskussion der Jury verlief kontroversiell.
Täter und Opfer Scheinbar umgekehrte Machtverhältnisse
Vennemann beschreibt - im Rahmen der Kärntner Minderheitenproblematik - das abermalige Aufeinandertreffen von Täter und Opfer. Jetzt haben sich die Machtverhältnisse scheinbar umgekehrt, denn das ehemalige Opfer steht seinem inhaftierten Peiniger nun als Therapeut gegenüber.
Kevin Vennemann, Autor (Bild: Johannes Puch)
Kevin Venemann
Iris Radisch "Unglaublicher Diskursmischmasch"
"Mich lässt der Text ratlos zurück", begann Iris Radisch. "Was hier passiert, ist uns aufgegangen: ein Opfer begegnet seinem Peiniger wieder, im Grunde haben sich die Machtverhältnisse verkehrt, aber was sich zeigt, ist, dass der ehemalige Folterknecht das Zepter sprachlich in der Hand behält. Er verfügt über sämtliche Diskurse, der Therapeut ist wieder Opfer."

Der Text sei ein "unglaublicher Diskursmischmasch", der sie nicht überzeugen könne, so Radisch, in der sehr viele Worthülsen "durcheinandergesampelt" würden.

Die gesamte Thematik habe für sie keine Dringlichkeit, der Text lasse es an einer Dialektik zwischen "Herr und Knecht" vermissen. Der Knecht bleibe bis zum Schluss eine völlige "Leerstelle".
Iris Radisch, Juryvorsitzende (Bild: Johannes Puch)
Heinrich Detering Machtgeschehen sprachlich "nicht gelungen"
Detering kam sich hinsichtlich des Textes "etwas merkwürdig" vor. Dieser greife mit Entschlossenheit noch immer aktuelle politische Themen auf, was ihn in die seltsame Lage bringe, "ihm mit stilkritischen Bemerkungen zu kommen".
Vennemann wiederhole das Machtgeschehen im Text auf sprachlicher Ebene, allerdings sei dies nicht gelungen. Die Rede des Täters Pflügler sei keine "Gegensprache", er könne sich die Sätze, der ihm der Autor in den Mund lege, "beim besten Willen nicht" als die eines Neonazis vorstellen.
Martin Ebel "Fühle mich dem Text ausgesetzt"
"Es soll ja auch intelligente Neonazis geben - leider", entgegnete Ebel. Hier eigne sich der Täter die Sprache seines ehemaligen Opfers an. Der Therapeut merke die Absicht, sei jedoch machtlos. Die Macht des Täters liege im "Wissen um die Notwendigkeit der sprachlichen Inszenierung, um einen Persilschein zu bekommen".

Der nochmalige Missbrauch des Opfer korrespondiere mit der Ohnmacht des Lesers, der im "Neonazi-Therapeuten-Jargon" des Textes ertrinke. "Ich fühle mich dem Text ausgesetzt und kann nicht sagen, dass mir das missfällt", schloss Ebel.
Martin Ebel, Juror (Bild: Johannes Puch)
Martin Ebel
Karl Corino "Nicht harmonische Synthese"
"Ironisch formuliert müsste man sagen, dass dieser Text genau auf Klagenfurt zugeschrieben wurde - da schmeißt einer mit der braunen Wurst nach der Speckseite Bachmannpreis", kritisierte Juror Corino. Er habe sich bemüßigt gefühlt nachzurecherchieren. Der Autor hätte mit den den Störaktionen, die während der Wehrmachtsausstellung in der Rittergalerie stattgefunden hätten, einen "wahren Fall" aufgegriffen.

Literarische Fiktion mische sich mit der Realität, was auch dessen "Durcheinander der Diskurse" erkläre. Der Text gerät zu einer "nicht harmonische Synthese", der literarisch "nicht gelungen" sei.
Daniela Strigl Schwierigkeiten mit "pathetischer Tonart"
Auch Daniela Strigl meinte in der Tatsache eines "intelligenten Neonazis" noch keinen "Widerspruch in sich" erkennen zu können und zog die Parallele zu Bombenleger Franz Fuchs. Der Text beginne wie eine "Bernhardtirade" und mache dann einige Stil- und Tonwechseln, die nur auf den ersten Blick als misslungen einzustufen wären.

Das vom Autor gewählte politische Thema sei durchaus legitim und begrüßenswert, allerdings habe sie mit der Transponierung in eine höhere Tonart, die dem Text seinen pathetischen Ton verleihe, ihre Schwierigkeiten. Der Text heische auf beiden Seiten nach Mitleid, während die plakative Textur Widerstand zu leisten versuche.
Daniela Strigl, Jurorin (Bild: Johannes Puch)
Daniela Strigl
Burkhard Spinnen "Höchst respektables" Ansinnen
"Eines muss doch festgehalten werden. Dieser Text riskiert ein wenig mehr als so mancher andere gehörte", schaltete sich Burkhard Spinnen in die Diskussion ein.

Die Komposition einer Generalstimme implementiere den Versuch einer Generalsicht auf die Geschichte. Diese sei wie die Ouvertüre einer Oper komponiert: "Der Text greift in seiner Anstrengung ziemlich hoch", so Spinnen, dessen Ansinnen sei "höchst respektabel" zu nennen.
Ilma Rakusa Lob für "hohe stilitische Eigenständigkeit"
Ilma Rakusa schloss sich Spinnens Meinung an: Der Text sei von hoher "stilistischer Eigenständigkeit" und "stark rhythmisch strukturiert".

Das Psychologische des Textes habe Nachrang, dessen Risiko liege in seiner "schwebenden, flirrenden Vielstimmigkeit".