Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Claudia Klischat, Autorin (Bild: Johannes Puch)
CLAUDIA KLISCHAT
"Sprachlich solide" mit Detailschwächen
Claudia Klischats Text "Stillstand" eröffnete den zweiten Lesetag des Bachmannpreises 2006. Die in Leipzig lebende Autorin war auf Einladung Heinrich Deterings nach Klagenfurt angereist.
Die Geschichte eines Obdachlosen
Klischats Text erzählt vom Obdachlosen "Fechter", der an einem "guten Tag" "wieder auf die Beine kommen will", während er die Wirklichkeit als undurchschaubar erfährt.
Claudia Klischat, Autorin (Bild: Johannes Puch)
Claudia Klischat
Ursula März "Eine schwierige und komplizierte Expedition"
"Hier wird eine Expedition beschrieben, die schwieriger und komplizierter nicht sein könnte - der Weg aus der Obdachlosigkeit", so Ursula März.

Der Text sei "ökonomisch" und "plausibel", die Erzählperspektive liege "nah an Fechter", obwohl man "nicht ganz in ihm drin sei".

März drückte dennoch ihr Bedauern über die "Tonlosigkeit", in der diese Expedition erzählt würde, aus. Die Sprache sei derart "anonym" gehalten, dass man beim Lesen an eine "gute Dokumentation auf Arte" denken müsse.

"Die Formulierungen leisten nicht mehr, als ihre Inhalte zu erledigen", bemängelte März. "Der Text trifft keine Entscheidung für eine Erzählweise", kritisierte die Jurorin.
Publikum TDDL 2006 (Bild: Johannes Puch)
Martin Ebel Änlichkeit mit "Hyliker Text"
"Sie fordern etwas von dem Text ein, was er nicht sein will", konterte Martin Ebel. Dies sei ein Text eines Menschen, der in einer undurchschaubaren Wirklichkeit Fuß zu fassen versuche, "der kämpft und strampelt".

Gefallen habe ihm, Ebel, die "Binnendifferenzierung der porträtierten Figuren Fechter, Schwend und Berger" und jene Momente im Text, "in denen Sand ins Getriebe gestreut" würde.

Trotzdem: "Der Text greift nicht an, er verteidigt nur", vielleicht habe man es hier wieder mit einem "Hyliker Text" zu tun, der nicht "aus dem Unterholz herausfinde". Denn: Der Protagonist sei ein richtiger "Gutmensch", ein "allzu braver Kerl", um aus seiner Misere auch wieder herauszufinden.
Klaus Nüchtern "Kommentierender Erzähler" im Text vermisst
Nüchtern widersprach, das sei kein "Hyliker-Text", das wahre Drama bestehe darin, dass sich der Protagonist als "arbeitswillig verkaufen müsse", während hinter ihm schon die "Reservearmee" warte.

Das sei "stimmig und schön gemacht", so Nüchtern, aber: "Wo ist der kommentierende Erzähler im Text?" Die gezeichneten Figuren wären manchmal zu klischeehaft geraten, "da werden Pappfiguren durch die Kulissen geschoben".
Klaus Nüchtern, Juror (Bild: Johannes Puch)
Klaus Nüchtern
Daniela Strigl "Es hapert im Detail"
Daniela Strigl meinte, hier werde die Geschichte eines Menschen erzählt, der sich selbst mit dem "Zopf aus dem Sumpf" ziehen möchte, während seine Freunde "ihn zurückhalten wollen, weil sie selber nicht hinausfinden".

Sie habe die "nicht geradlinige Erzählweise" als störend empfunden, da werde teilweise nicht "präzise genug" erzählt: "Es hapert im Detail", so Strigl.
Publikum TDDL 2006 (Bild: Johannes Puch)
Das ORF-Studio war immer voll besetzt
Karl Corino "Sprachlich solide"
Juror Corino sagte, der Text würde die "Musik versteinerter Verhältnisse" innerhalb des labilen Gefüges eines "Ost-Milieus" präzise reflektieren. Dies sei präzise und sprachlich solide beschrieben worden, obwohl es "manchmal etwas verrutscht".

Der von der Autorin gewählte, "relativ kleine literarische Rahmen" würde recht gut ausgefüllt.
Iris Radisch "Jede Spiegelreportage wäre anspruchsvoller"
Radisch meinte eingangs ironisch: "Schön, das wieder mehr geweint wird, unsere Arbeitswelt scheint nur noch zum weinen zu sein", um dann die "ketzerische" Frage aufzuwerfen: "Warum ist das Literatur?"

Dieser Text stehe in direkter Konkurrenz zum Journalismus, jede Spiegelreportage wäre "literarisch anspruchsvoller" gestaltet.

Ihr behage der "Horizont der Bescheidenheit" des Textes nicht, nie werde "der Kopf gehoben". Der Versuch radikal dokumentarischen Schreibens "reiche hier nicht", die Geschichte sei insgesamt zu "matt", deren Bescheidenheit schlage nicht in Qualität um.
Iris Radisch, Juryvorsitzende (Bild: Johannes Puch)
Iris Radisch
Heinrich Detering "Eindrucksvolle Sätze des Stillstands"
Heinrich Detering verteidigte: die Autorin versuche die völlige "Zurücknahme aller Kunstmittel", um eine "gläserene Schattenwelt" zu kreieren.

Der Text sei durch "eindrucksvolle Sätze des Stillstands" geprägt, der "kunstvollen Verzicht auf Action übe, wo sie sich angeboten" hätte.

"Weil hier auf der Stelle getreten wird", so Detering, "Der Held ist eine Ich-Ag ohne Ag", schloss er.
Burkhard Spinnen "Unübersichtlichkeit" ersetzt Depression
Spinnen schloss sich dem an: Der Text erzähle aus der "Perspektive eines Schicksallosen", die Arbeitslosigkeit werde als Form von Armut dargestellt, in der "traditionelle Schicksalsgarantien" nicht mehr vorkämen. Die "Unübersichtlichkeit der Verhältnisse" sei an die Stelle der Depression getreten.
Ilma Rakusa, Jurorin (Bild: Johannes Puch)
ilma Rakusa
Ilma Rakusa Teilweise "recht gut gemacht"
Ilma Rakusa wünschte sich vom Text "mehr Radikalität". Der sprachliche Minimalismus wäre noch stärker zu akzentuieren gewesen.

Der Text besitze eine gewisse Stimmigkeit und sei teilweise "recht gut gemacht" und besitze "feine Details", dennoch hätte der ästhetische Minimalismus weiter verfolgt werden müssen. "Die weitere Zurücknahme der Mittel wäre ein gangbarer Weg gewesen", so Rakusa.